Eine Menschenschar schaut gebannt auf die Strasse: Ein Automobil rast vorbei - so schnell, dass es auf der Fotografie unscharf erscheint. Das Bild ist an der St. Gallerstrasse, Ecke Pflanzschulstrasse aufgenommen, es ist der 27. Juni 1902 am frühen Nachmittag. Das Publikum bestaunt die Teilnehmer des Autorennens Paris-Wien, das mitten durch Winterthur führt. Dieses war ein Test für die Leistungsfähigkeit der neuen Fahrzeuge, die allgemein als ein Spielzeug der Jeunesse dorée belächelt und verachtet wurden. Ab dem Start verfolgten die Winterthurer Medien das dreitägige Ereignis aufmerksam; mit ihrer Berichterstattung stimmten sie die Bevölkerung auf die Durchfahrt ein. Als dann die Rennwagen mit Getöse anbrausten und eine riesige Staubwolke hinter sich herzogen, verfehlten sie ihre Wirkung nicht. Der Landbote-Redaktor fand zwar in der Ausgabe vom 29. Juni 1902 «für diesen Auswuchs eines blasierten Geschlechts keine ausreichende Erklärung», meinte dann aber doch versöhnlich: «Auch Verrücktheiten bringen bisweilen die Menschheit vorwärts.» Und auch der Redaktor des «Neuen Winterthurer Tagblatts» nannte das Rennen «hirnverbrannt», urteilte aber geradezu visionär, das Automobil könne «zum Vehikel der Zukunft werden, nach seinen Leistungen zu urteilen, die man gerade am gegenwärtigen Wettrennen zu konstatieren vermag». So fuhr das Automobil fulminant in Winterthur ein. Aber sein «Siegeszug» liess auf sich warten: Noch im Jahr 1920 waren in der Stadt lediglich 122 Automobile registriert – heute sind es über 57 000.