KMU und Gewerbe
Druckerei Sailer
1913–2013
Das Unternehmen Sailer Druck am Eingangstor zur Winterthurer Altstadt, gegenüber dem Technikum (ZHaW), war eine Druckerei welche 100 Jahre lang von 1913 bis 2013 ihre Dienstleistungen erbrachte.
Adresse
Druckerei Sailer
Technikumstrasse 12
8400 Winterthur
1960: Ecke Steinberggasse /Holdergasse / Obergasse, Buchdruckerei F. Sailer vor Neubau, heute: Buchhandlung Obergass
Foto: winbib, Michael Speich (FotFol_003-001)
„Das Unternehmen Sailer Druck am Eingangstor zur Winterthurer Altstadt, gegenüber dem Technikum (ZHaW) war eine Druckerei, welche auf den ersten Blick klein erschien, aber mit grossen Maschinen arbeitete. Es ist nicht alltäglich, eine grosse Vierfarben Heidelberger Speedmaster für Format 72 x 102 cm und einen Sammelhefter, in einem mit rund 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern doch recht kleinen Betrieb zu finden. Der Betrieb sorgt für eine über hundertjährige Drucktradition, notabene eine Drucktradition, die eng mit der Stadt Winterthur verwoben ist." Dieser Text, aus einem undatierten Manuskript zur Vorstellung der neuesten Anschaffung, einer Ryobi 3304HA, ist ein Gütezeichen, das für Sailer Druck über Jahrzehnte gültig war.
Der Druckmaschinenpark war immer auf dem neuesten Stand. Der Name Sailer Druck ist noch nicht ganz aus Winterthur verschwunden. Als Aussenstation der Firma Schellenberg Druck AG Pfäffikon ZH können im ehemaligen Geiselweid-Postlokal an der Thurgauerstrasse 2 nach wie vor Druckaufträge erteilt werden. Die Firmengeschichte der Druckerei Sailer Geschichte war und ist immer von Menschen geprägt. Bei der Druckerei Sailer ist dies, wie es der Name sagt, die Familie Sailer. Die Geschichte einer Druckerei erstreckt sich aber auch auf ihre Unterbringungsorte und ihren Maschinenpark. Zusammengefasst könnte man die Entwicklung der Druckerei Sailer von 1883 bis ins 21. Jahrhundert vielleicht mit «Vom Mädchenheim zur modernen Druckerei» wiedergeben. Alles begann als am 29. Mai 1883 der Buchdrucker Jakob Kaufmann (1830-1908) das Haus «Zum Erzberg» an der Hintergasse 6 kauft (inzwischen ist aus der Hintergasse die Steinberggasse geworden). Der kleine Druckereibetrieb von Jakob Kaufmann ist als Ursprung der Druckerei Sailer anzusehen. Der Sohn von Jakob Kaufmann, Johann Kaufmann-Kobelt (1861-1902), übernimmt den väterlichen Betrieb 1892 und erwirbt vom Buchbinder und Papeteristen Daniel Attinger die beiden Häuser «Zum blauen Himmel» und «Zur Ordnung» an der Holdergasse 7 (heute Obergass Bücher GmbH).
Er verlegt den väterlichen Betrieb in diese grösseren Räumlichkeiten. Die Papeterie führt er teilweise weiter. Mit der Zeit kommt eine Lithographie-Einrichtung dazu. Nach dem Tode von Johann (Jean) Kaufmann im Jahre 1902 führt seine Frau das Geschäft unter dem Namen Jean Kaufmanns Witwe weiter. 1905 kommt Ferdinand Stephan Sailer-Steger sen. (12.03.1873-21.11.1947) als Geschäftsführer in die Firma. Ferdinand Sailer, in Baden AG aufgewachsen, ältester Sohn einer kinderreichen Familie, hatte in der Buchdruckerei Wanner eine Schriftsetzerlehre absolviert. 1895, zur Zeit des Eidgenössischen Schützenfestes in Winterthur, war er in die Eulachstadt gezogen, um in der Buchdruckerei Binkert den Posten eines ersten Akzidenzsetzers anzutreten. Durch den Besuch von kaufmännischen Kursen hatte er sich die Voraussetzung für die Übernahme dieses Geschäftsführerpostens geschaffen. Am 1. April 1913 erwirbt Ferdinand Sailer von Frau Kaufmann die Buchdruckerei samt Papeterie und Lithographieeinrichtung und gründet die Buchdruckerei F. Sailer.
Er führt den Betrieb mit Erfolg weiter, obwohl der Erste Weltkrieg die Entwicklung verzögert. Die Papeterie-Artikel und der Betriebszweig Lithographie werden liquidiert, dafür schafft die Druckerei Buchdruckschnellpressen an. Drei dieser Pressen und eine Tiegeldruckpresse sind für eine längere Zeit der Maschinenpark der Druckerei. 1922 kommt Ferdinand Sailer jun. (1899-1970) ins Geschäft. Er hatte zuvor die Sekundarschule Heiligberg besucht. Nach Institutsaufenthalten lernte er die Berufe eines Buchdruckers, Schriftsetzers und Buchbinders. Dem Haus Holdergasse 7 wird 1925 das dritte Obergeschoss aufgesetzt. Diese bauliche Veränderung ermöglicht eine zweckmässigere Einteilung des Betriebes, der sich seit der Jahrhundertwende auch noch auf das anstossende Gebäude erstreckt hatte. Diese baulichen Veränderungen ermöglichten 1929 die Aufstellung einer Schnellpresse mit Einlegeapparat als Ersatz für eine alte Maschine und 1941 die Anschaffung des ersten Tiegelautomaten, welcher eine kleine Schnellpresse ersetzt.
1909: Blick vom Rhein auf das Kloster Rheinau. Kalender der Druckerei J. Kaufmanns Witwe (nachmals Druckerei Sailer)
Foto: winbib (Signatur BildFol_002-023)
Ab 1949 beginnt eine allmähliche Erneuerung des Betriebes mit leistungsfähigeren Maschinen. So wird zum Beispiel die Setzerei durch eine «Monotype»-Setzmaschinen-Anlage erweitert. Das Haus Holdergasse 7 vermag den im Laufe der Zeit gewachsenen Anforderungen nicht mehr zu genügen. Es wird ein Büro- und Fassadenumbau projektiert. 1957 erwirbt die Firma F. Sailer von Frau Stürzinger-Krauer das Haus «Zum Hecht» am Holderplatz 6. An diesem neuen Standort wird ein Neubau geplant. Es kommt aber anders. Anstatt das Haus „Zum Hecht“ einem Neubau zu opfern, bietet die Stadtgemeinde der Firma Sailer 1958 die Liegenschaft „Mädchenheim“ an der Technikumstrasse 12 als Ersatz an. Der Tauschvertrag wird aufgesetzt und die Projektierung beginnt aufs Neue. Der Neubau auf dem neuen Grundstück an der Ecke Technikumstrasse/Durchgang zur Obergasse wird in Verbindung mit den städtischen Behörden projektiert.
Im August 1960 beginnen der Abbrucharbeiten an den Häusern Steinberggasse 1 («Vordere Rotfarb»), Technikumstrasse 14 («Zur Hintere Rotfarbe») und 12 («Im Winkel») sowie das Hinterhaus des «Mädchenheimes» (Buchbinderei und Papierlager der alten Druckerei). Im Dezember 1961 ist der Neubau an der Technikumstrasse 12/14 vollendet und wird bezogen. Gleichzeitig beginnt Stefan Sailer (1945-2016), Sohn von Alfred Sailer, eine Buchdruckerlehre bei der Firma Trüeb in Aarau. Stefan Sailer schliesst seine Buchdruckerlehre 1965 ab. Es folgen Wanderjahre bei verschiedenen Unternehmen: 1965 Sauerländer, Aarau; 1966 Druckerei Winterthur; 1967 Imprimeur Réunie, Lausanne. 1968 beginnt Stefan Sailer das Studium der Drucktechnik am Oskar-von-Miller-Polytechnikum in München, das er 1972 erfolgreich abschliesst.
In diesen Jahren wurde die Druckerei stetig mit neuesten Maschinen auf die Entwicklung der Drucktechnik angepasst und die Kapazitäten erhöht. Aus Platz- und Organisationsgründen bezieht man das bis anhin vermietete zweite Obergeschoss Ost. Es entsteht eine neue Offsetabteilung. Nach einem Volontariat in einer Werbeagentur tritt Stefan Sailer 1973 in die Firma ein. Gleichzeitig verlässt Frau Anna Sailer-Steger das Unternehmen. 1978 verstirbt sie. Die alten Buchdruckmaschinen und die älteste Offsetmaschine werden 1974 verschrottet und durch eine moderne Einfarben-GTO von Heidelberg ersetzt. Dazu kommt eine neue halbautomatische Zusammentragmaschine. Die Offsetabteilung zieht 1978 vom zweiten Obergeschoss Ost ins zweite Obergeschoss West. Dieser Umzug wurde durch den Erwerb einer Fotosatzanlage Eurocat und einer Reprokamera notwendig. Der Bleisatz wird daraufhin redimensioniert. Im Maschinensaal der Druckerei hält eine Zweifarben-Offsetmaschine Einzug (eine Roland Parva 2c, A 1). Stefan Sailer gründet 1988 als Tochtergesellschaft der Druckerei Sailer das Winterthurer Zentrum für elektronisches Publizieren (WIZEP). Mit Macintosh-Computern und einem Linotronic-Belichter ausgerüstet, verkörpert die Firma WIZEP eine neue Generation in der Satzherstellung. Der Foto-und der Bleisatz werden endgültig liquidiert.
Nach dem Tode von Alfred Sailer (1915-1991) wird die Firma von der Erbengemeinschaft unter der Geschäftsführung von Stefan Sailer übernommen. Später, 2002, wird sie in eine GmbH umgewandelt. Die Druckerei ersteht eine leistungsfähige Vierfarben-Speedmaster von Heidelberg. Die Miller wird verkauft. Die Offsetabteilung wird 1992 renoviert und durch eine Plattenkopier- und eine Direktplattenmaschine verstärkt. Ab 1996 werden in der Druckerei Sailer die Aufträge voll EDV-unterstützt bearbeitet. Text und Bilder werden im Desktop-Publishing zusammengeführt und ausgegeben. Im Druckbereich sorgt ein moderner Maschinenpark für vierfarbige Drucksachen, die in der Ausrüsterei vielfältig vollendet werden. Mit einem kleineren Personalbestand erfolgt ein immer grösserer Ausstoss von immer umfangreicheren Produkten. Im neuen Jahrhundert denkt Stefan Sailer langsam an die Pension. Da er keine Nachfolger in der Familie hat, sieht er sich nach einem geeigneten Nachfolger, der die Traditionsfirma übernehmen und in seinem Sinne weiterführen könnte um. Erste Kontakte blieben erfolglos. Aber warum auch in die Ferne schweifen, sie das Gute liegt so nah. 1997 war Rolf Schellenberg in die Druckerei Sailer eingetreten. Rolf Schellenberg war ein Spross aus dem Hause Schellenberg Druck in Pfäffikon ZH.
Er war aus dem Betrieb seines Bruders Oskar ausgestiegen, um im Betrieb von Stefan Sailer eine neue Zukunft zu finden. Die Chemie zwischen den beiden stimmte und bald waren sie sich einig. 2008 übernahm Rolf Schellenberg die Druckerei Sailer samt der Liegenschaft. Per Ende 2009 trat Stefan Sailer zurück und verliess die Firma. Es war ihm eine Genugtuung sein Familienunternehmen in gute Hände weitergegeben zu haben. Leider war die Freude nur von kurzer Dauer. Bereits 2011 erkrankte Rolf Schellenberg (*1958) schwer und verstarb. Die Liquidation des Druckbetriebes wurde unvermeidlich. Ende August 2013 wurde bei Sailer die letzte Firmenbroschüre gedruckt. Oskar Schellenberg aus Pfäffikon ZH übernahm den Kundenstamm und den grössten Teil des Personals.
Sailer Druck schliesst nach 100 Jahren
Die Druckmaschinen und Gebäude wurde verkauft und das Haus geräumt. Der neue Eigentümer baute das Haus zu einem Hotelbetrieb um. Seit 100 Jahren für Sie da, lautet der Slogan auf dem Briefkopf der Sailer Druck GmbH. Nun schliesst die Traditionsfirma aber ihre Pforten. Per Ende August 2013 wird der Standort Winterthur aufgelöst. Broschüren, Poster, sogar Bücher wurden hier im Offsetverfahren produziert. In ersten Stock, direkt über dem Durchgang zur Obergasse, liefen die modernen, fast mannshohen Druckmaschinen. Grund für die Schliessung war 2011 der Tod ihres Eigentümers Rolf Schellenberg, der das Geschäft wenige Jahre zuvor von Stefan Sailer übernommen hatte. Er starb im Alter von nur 53 Jahren. Die Suche nach einem Nachfolger verlief erfolglos. Niemand wollte sich in der hart umkämpften Druckbranche mit seinem Vermögen engagieren. Ende August 2013 wurde bei Sailer die letzte Firmenbroschüre gedruckt. (Lb) Nun übernimmt die Schellenberg Druck aus Pfäffikon ZH die gesamte Produktion von Sailer Druck. Die 11 Angestellten und 4 Lernenden wurden übernommen. Der Besitzer von Schellenberg Druck, Oskar Schellenberg, ist ein Bruder des Verstorbenen Besitzers der Sailer Druck. Dieser Schritt war möglich, weil es in seiner Firma mehrere Abgänge zu ersetzen galt. Er will aber auch die soziale Verantwortung gegenüber seinem Bruder wahrnehmen. Der Name Sailer mit dem Regenbogen-Signet verschwindet nicht aus Winterthur.
2012 wurde die Sailer Druck Medien GmbH gegründet. Ihr Firmendomizil befindet sich am der Thurgauerstrasse 2. In den ehemaligen Lokalitäten der Poststelle Geiselweid betreiben ehemalige Mitarbeiter der Sailer Druck eine Kleindruckerei und dienen als Annahmestelle für alle Druckaufträge, die sie an Schellenberg Druck in Pfäffikon ZH zur Verarbeitung weitergeben.
Hotel Plaza
2015 wurde das Haus Druckerei Sailer komplett umgebaut und ein Hotel und ein Restaurant eingerichtet. 31 Zimmer und Suiten sind auf vier Etagen vorhanden. Im Januar 2016 wurde es eröffnet. Der Hoteleingang liegt an der Obergasse, wo früher auch der Eingang zur Druckerei Sailer lag.
Zum Restaurant und zur Bar gelangt man direkt ab dem Trottoir von der Technikumstrasse her. Das Hotel kam sofort gut an und florierte. Das Restaurant hatte es schwieriger. Die nötige Anzahl Gäste, die für eine ausgeglichene Rechnung sorgen sollte, blieben aus. Nach einem Jahr wurde es geschlossen.
Etwas später zog ein Trade Center in die Restaurant-Räume ein. Das Konzept war bei Drinks an der Bar mit der Börse zu spekulieren. Mit Bildschirmen und Touchscreen waren die Räume zusätzlich ausgestattet. Die Idee, dass normale Menschen ohne Finanzhintergrund sich hier treffen, um bei einem Getränk Rohstoffe und Devisen handeln, scheitert auch hier. Im Juli 2018 schloss der Initiant Sehattin Kavsuk seinen Betrieb. Das Lokal steht zur Vermietung zur Verfügung.