Grosskonzerne
Gebrüder Volkart AG
Turnerstrasse
Das Handelshaus Gebrüder Volkart mit Sitz in Winterthur wurde 1851 gegründet und war ein in der Schweiz führendes Unternehmen im Handel mit Kolonialwaren und bis 1989 viertgrösster Baumwollhändler der Welt. Eine eigene Geschäftstätigkeit besitzt das Unternehmen heute nicht mehr.
Adresse
Volkart Holding AG
Turnerstr. 1
8401 Winterthur
um 1860: Römerstrasse 32, Villa Wehntal, Volkart'sche Haus, Lithographie
Foto: winbib, Emanuel Labhart (Signatur 033389_O)
Erst nach Aufhebung der Navigationsakte (britisches Schifffahrtsgesetz) 1849 wurde zwischen Indien und Europa der freie Warenverkehr ermöglicht. Um diese neue Handelsmöglichkeit auszunutzen, gründeten die beiden Brüder Salomon (1816-1893) und Johann Georg Volkart (1825-1862) am 1. Februar 1851 die Kollektivgesellschaft „Volkart Brothers Winterthur und Bombay“. Das Handelsunternehmen tauschte Tee, Kaffee, Gewürze, Kautschuk und andere Kolonialwaren gegen europäische Manufakturen ein: Seife, Streichhölzer, Papier, später auch Textilien und Maschinen. Die Firma war sehr erfolgreich, denn bald konnten mehrere Zweighäuser in Indien und Ceylon gegründet werden.
In der zweiten Generation übernahm die Familie Reinhart ab 1912 die Führung der Firma, da Lilly Volkart (1855-1916), die Tochter von Salomon Volkart, 1876 Theodor Reinhart heiratete.
Mit der Aufhebung der Kolonien nach dem Zweiten Weltkrieg orientierte sich das Handelshaus mehr nach Westen. So entstanden in den USA und Mexiko neue Gesellschaften. Das weltweit tätige Handelshaus gehörte im Handel von Rohbaumwolle zu den führenden Unternehmen.
Es war sehr mutig gewesen in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein internationales Handelsgeschäft zu gründen. Gab es doch zu jener Zeit weder Telefon, noch Telegraf. Nur Schriftverkehr liess eine Kommunikation zwischen den beiden Brüdern Volkart, der eine in Indien, der andere in Winterthur, zu. Diese Briefe mussten per Schiff um ganz Afrika herum befördert werden, denn auch der Suez-Kanal war vorerst noch nicht eröffnet. Die Reisezeit betrug mindestens zwei Monate. Trotzdem, das Unterfangen gelang, das Unternehmen „Gebrüder Volkart“ entwickelte sich gut und schnell. Hier mehr Details:
Am 1. Februar 1851 gründeten Salomon (1816-1893) und Johann Georg (1825-1862) Volkart in Winterthur und Bombay die Handelsfirma Gebrüder Volkart. Die Firma in- und exportierte die verschiedenartigsten Güter, vor allem aber Baumwolle, Kaffee, Kakao und andere landwirtschaftlichen Produkte, von und nach ihren Niederlassungen im südostasiatischen Raum (Indien, Pakistan, Sri Lanka) sowie Südamerika. Dank den guten Handelskenntnissen von Salomon und den indischen Verbindungen von Johann Georg, sein Wirkungsfeld und Standort war in Indien gewesen, gelang es schnell einen guten Geschäftsgang zu erzielen. Im Hause „Wasserfels“, es war im Besitz seines Schwiegervaters, am Obertor 30 (heute abgebrochen) wurde das erste Büro eingerichtet.
1859 wurde der Geschäftssitz in das 1856 gebaute Wohnhaus (Villa Wehntal) an der Römerstrasse verlegt. 1864 bereits wurde das Winterthurer Büro ins nahe gelegene „Nötzlihaus“ gezügelt. In Colombo (1957), Cochin (1859) im Süden Indiens und in Karachi (1861) sind erste zusätzliche Niederlassungen gegründet worden. 1865 entsteht erstmals eine telegrafische Verbindung, was natürlich für das Offertwesen einem riesengrossen Fortschritt bedeutete. 1868 wurde in London eine Niederlassung eröffnet. 1869 ( 16. November) wurde der Suezkanal in Betrieb genommen. Der Umweg um Afrika herum entfiel für die Schifffahrt künftig. 1871 wurde wieder einmal der Geschäftssitz den neuesten Erfordernissen angepasst. Man zog in das Haus zur Gloria an der Stadthausstrasse 135.
1875 tritt Salomon Volkart zurück. An seine Stelle folgt sein Sohn Geo G. Volkart -Ammann (1875-1908). Er wird Teilhaber. Auch die beiden Schwiegersöhne Dr. iur. Theodor Reinhart (1849-1919) und August F. Ammann-Volkart (1850-1924) treten in die Firma ein und werden Teilhaber. Auch die Entwicklung im Ausland ist nicht still gestanden. Fast laufend wurden und werden neue Niederlassungen eröffnet. Ab dem 1. Februar 1883 erleichtert eine weitere technische Neuerung den Betriebsablauf: Das öffentliche Telefon wird eingeführt. Am 24. Dezember 1893 stirbt der Firmengründer Salomon Volkart im Alter von 78 Jahren nach kurzer Krankheit. 1900 kommt zum ersten Male eine Schreibmaschine in Gebrauch. Am 1. Juli 1904 tritt Georg Reinhart (1877-1955), ältester Sohn von Theodor Reinhart in die Firma ein und wird Teilhaber. 15. Mai 1905: Der Stammsitz wird verlegt in das eigene Bürogebäude an der Turnerstrasse. Ein weiterer grosser Fortschritt in der Technik kündigt sich an. Am 23. Oktober 1910 fliegt in Dübendorf der erste Aeroplan, was den Beginn der Aviatik in der Schweiz markiert und eine neue Epoche im Verkehrswesen einläutet.
Am 1. Mai 1915 wird im Unternehmen Volkart die erste Frau als Mitarbeiterin angestellt. Am 31. Dezember wird die firmeneigene Pensionskasse mit einer ersten Einlage der Firma von 1 Mio. Franken ins Leben gerufen. Am 17. Januar 1919 stirb Theodor Reinhart nach kurzer Krankheit an einem Herzschlag. Am 26. April 1922 wird in Münchenbuchsee die erste schweizerische Marconi-Station eröffnet. Dadurch wir die Sendung und den Empfang von Telegrammen auf drahtlosem Weg ermöglicht. Die erste offizielle Flugpostverbindung zwischen der Schweiz und England wird eröffnet.
1926 feiert das Handelshaus Gebrüder Volkart das fünfundsiebzigjährige Jubiläum zu dem eine Festschrift, verfasst von Georg Reinhart, herausgegeben wurde. Aus dieser sind sind unsere Aufzeichnungen entnommen.
Im Jubiläumsjahr zeigte sich die Firma Gebrüder Volkart (Volkart Brothers), die damals weltweit 7600 Personen beschäftigte (in Winterthur im Mutterhaus nur 115), wie folgt:
-Stammhaus in Winterthur
-London (Geschäftssitz)
-Bombay, seit 1851
-Colombi (Ceylon, heute Sri Lanka), seit 1857
-Cochin (Malabar) seit 1859
-Karatschi (Sind, Pakistan), seit 1861
-Tellicherry (heute Thalassery an der Malabar-Küste in Südindien) seit 1876
-Tuticorin (heute Thoothukudi, Südindien) seit 1877
-Madras (heute Chennai, an der Südost Küste Indiens) seit 1888
-Kalkutta, seit 1921
-Singapore, seit 1924
-Bremen, seit 1920
-New York, seit 1922
Dazu kommen Beteiligungen an weiteren Firmen und eine Vielzahl von Agenturen im Hinterland der Niederlassungen.
Die dritte Generation, Kinder von Theodor und Lilly Reinhart-Volkart war die Geschwistergruppe der verschiedensten Leidenschaften. Obschon sowohl Oskar (1885-1965) wie auch Werner (1884-1951) Reinhart - wie es die Tradition verlangte - Partner der Gebrüder Volkart wurden, gehörte ihre Leidenschaft der Kunst und der Kultur; für Oskar war es die Malerei, für Werner die Musik und die Literatur. Nur Georg Reinhart (1877-1955), der älteste von vier Brüdern, blieb im Unternehmen aktiv und sicherte somit die Nachfolge in jener krisengeschüttelten Zeit. Nie in der Firma aktiv war der vierte Bruder, Hans Reinhart. Er konzentrierte sich auf seine Leidenschaft für die schönen Künste und war ein Freund vieler Künstler und Schriftsteller, ausserdem der Gründer des Hans-Reinhart¬Rings, einer bis heute wichtigen Auszeichnung für Theaterschaffende. Der Geschäftssitz an der Turnerstrasse konnte den Ansprüchen der prosperierenden Firma wieder nicht mehr genügen. Am St. Georgenplatz 2 entstand 1927/28 durch die Architekten Rittmeyer & Furrer ein monumentales Geschäftshaus. Mit seiner halbrunden Gebäudeform prägt und dominiert es seine Umgebung. Nach der Ablösung in der Geschäftsführung durch Sohn Peter Reinhart, wandte sich auch Georg Reinhart seinen Interessen zu. Sie lagen wie die seiner Brüder im kulturellen Bereich, wie Kunst, Sport, Spiritualität und anderen Facetten des „ungewöhnlichen“ Lebens.
Die Kinder von Georg Reinhart (1877-1955), Peter Reinhart (1907-1988), Balthasar Reinhart (1916-2005) bildeten die vierte Generation der Besitzerfamilie. Die beiden Brüder führten das Unternehmen durch die schwierige Zeit des zweiten Weltkrieges, wobei vor allem Peter Reinhart das Sagen hatte. Dank seinem Geschick überlebte das Unternehmen die Krisen- und Kriegsjahre erstaunlich gut. Er hatte auch erkannt, dass in Indien ein Umschwung stattfinden wird (Teilung 1947 in Indien und Pakistan) und hatte den Schwerpunkt der Handelstätigkeit rechtzeitig westlich orientiert. Pasadena (1948), New Orleans (1953), Dallas (1959), Mexiko-Stadt (1951) Sao Paulo (1942) und Santos (1954) hiessen die neuen Stützpunkte. Die Nachkriegszeit brachte wieder einen sehr guten Geschäftsgang und die Gewinne brachten den Teilhaber weitere Möglichkeiten ihr Mäzenatentum weiter zu führen. Aber auch riskante Spekulationen wurden getätigt. Ab 1962 beteiligte man sich bei Schifffahrtsbetrieben mit rund 40 Millionen Dollar. 20 Jahre später liess man dieses Abenteuer mit grossen Abschreibungen hinter sich.
Die fünfte Generation - Übergangsphase und Neuorientierung
Mit der Aufhebung der Kolonien nach dem Zweiten Weltkrieg orientierte sich das Handelshaus mehr nach Westen. So entstanden in den USA und Mexiko neue Gesellschaften. Das weltweit tätige Handelshaus gehörte im Handel von Rohbaumwolle zu den führenden Unternehmen. 1973 und insbesondere 1985 fanden die letzten Generationenwechsel in der Unternehmensgeschichte statt. Peter Reinhart, der das Unternehmen Volkart seit den 1930er Jahren leitete, übernahm den Sitz als Präsident des Verwaltungsrates. 1985 war sein Sohn Andreas Reinhart (geboren 1944) in der Lage, die restlichen Familienmitglieder auszuzahlen und die Führung des Hauses Volkart zu übernehmen. Somit war ein weiterer Stabwechsel erfolgreich vollzogen. Andreas Reinhart leitete einen Kurswechsel ein, da er überzeugt war, dass das traditionelle Handelsgeschäft im neuen Umfeld der Weltwirtschaft sich nicht mehr halten lässt. Aus dem Kaffeehandel zog sich die Firma 1989 zurück und verkaufte diesen Geschäftszweig an die Winterthurer Erb-Gruppe. Nach dem Zusammenbruch der Erb-Gruppe 2003 (Konkurs) wurde Volcafe 2004 von der englischen E D & F Man Holdings Limited, Sitz in London, übernommen. Im Rohstoffhandel mit Baumwolle war Volkart weltweit das viertgrösste Unternehmen, bis sie 1999 auch aus diesem Geschäft ausstieg. Ebenfalls bis 1999 hatte das Handelshaus eine Mehrheitsbeteiligung am 1951 mit gegründetem Suhrkampf-Verlag. Es begann eine gezielte Diversifikationspolitik in den Finanzsektor (BZ Bank AG Zürich). Das Handelsunternehmen ist über eigene Börsenmaklerfirmen in New York und London vertreten. Über die Tochtergesellschaft Volkart Invest ist sie im Portfolio-Management für Dritte engagiert. Unter der Führung von Andreas Reinhart wurden auch die Aktivitäten im kulturellen Bereich verstärkt. Die Volkart Stiftung tritt als wichtige Geldgeberin (Fotomuseum Winterthur) auf. Es war aber auch eine Bestimmung eine Form zu finden, um die Firmentradition fortzuführen und bei Lösungen weltweiter Problemen (Lebensqualität der Menschen) mitzuarbeiten. Es entstand die „Volkart Vision 2000“.Die Website des Volkart-Unternehmen verweist heute nur noch auf die diversen Stiftungen, eine eigene Geschäftstätigkeit -abgesehen von diversen Beteiligungen- besitzt das ehemalige grosse Handelsunternehmen nicht mehr. So benötigte man das grosse Bürohaus am St. Georgenplatz nicht mehr und man zog sich 1995 zurück an den vorgängigen Firmensitz an der Turnerstrasse 2, das für die neuen Bedürfnisse umgebaut und angepasst wurde.