Die Zeit der zweiten Hälfte des 19. Jhdt. war in Winterthur geprägt durch das rasche Wachstum der Industriefirmen wie Sulzer, Rieter und SLM. So verdoppelten sich die Einwohnerzahl in den Jahren 1860-bis 1880 auf über 10'000 Menschen. 1910 waren in Winterthur und den damals noch eigenständigen Vororten über 46'000 Einwohner zu Hause. Zwei Drittel dieser erwerbtätigen Bevölkerung arbeite in der Maschinenindustrie. Klar, dass der Wohnungsbau nicht mithalten konnte. Die langen Arbeitszeiten, die schlechten Verkehrsbedingungen und auch die Schichtarbeit verlangten aber nach bezahlbarem Wohnraum in der Nähe der Arbeitsstelle. Zwar hatte die Rieter mit der Wohnsiedlung an der Rieterstrasse (1865), die SLM an der Jägerstrasse (1872) und die Sulzer mit den „Sulzerhäusern“ in Veltheim (1872) in dieser Richtung bereits etwas vorweg genommen. Die bescheidenen aber zweckdienlichen Wohnräume reichten aber bei weitem nicht.
Die Gesellschaft für Erstellung billiger Wohnhäuser (GebW), gegründet 1872, als gemeinnützige Organisation, gab sich familienfreundlicher und wollte etwas mehr anbieten. Ihre Wohnbauten, EFH und kleinere MFH, waren, wenn immer möglich, mit einem Pflanzgarten zur Selbstversorgung mit Gemüse versehen. Sie wurden zu den Selbstkosten abgegeben bzw. vermietet. Trotz den Bemühungen die Kosten tief zu halten, wurde entgegen der damaligen Zeit, eine eigene Küche und ein eigenes WC für jede Wohnung gebaut. Die Gesellschaft baute anfänglich, dies zum Unterschied von Fabrikwohnungen, kleine Mehrfamilienhäuser und Einfamilienhäuser, um diese zu verkaufen. Später kam der Bau von Mietshäusern hinzu. Der Grund dazu lag darin, dass der Wohnungsbesitz bei der "Billigen" neutraler war.
Das heisst, die Mieter fühlten sich nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis, als wenn der Arbeitgeber und Hausbesitzer identisch war. Die tragenden Kräfte der GebW waren nebst Zollinger die Winterthurer Grossindustriellen. Heinrich Sulzer-Steiner war 1883-1906 Präsident. Ihm folgte von 1907-1911 Ernst Jung. Robert Sulzer-Forrer hatte die GebW in der Zeit von 1907 bis 1952 als Verwaltungsrat und Präsident geprägt. Architekt Ernst Jung war von Anfang an dabei und entwarf und realisierte viele der Bauwerke. Anschliessend trat Architekt Lebrecht Völkl (1879-1937) in Jungs Fussstapfen. Er war ab 1911 Vorstandsmitglied in der GebW und realisierte in dieser Funktion verschiedene Siedlungen.
Als erstes Bauprojekt (Architekt Ernst Jung) wurde 1872-1877 ein Arbeiterdorf im Deutweg erstellt. Im heutigen Dreispitz, unterer Deutweg-Weberstrasse-Tösstalstrasse entstand eine rechtwinklige Gesamtanlage mit vier Haustypen. Den Wohnbauten an der unteren und oberen Schleifestrasse an der mittleren und unteren Gerberstrasse sowie an der Färber- und Weberstrasse sind Nutzgärten vorgelagert und ein zentraler Quartierbrunnen diente der Wasserversorgung. Nach einer Pause wurden Sichtbacksteinsiedlungen im Geiselweid (Mühlebrückestrasse), an der Albrechtstrasse und im Bahndreieck (Eichliacker) erstellt. Wieder zeichnete Ernst Jung als verantwortlicher Architekt. Wegen der gestiegenen Bodenpreise kam man von den Reihen-EFH weg und baute Doppel- und Dreifamilienhäuser.
1891 baute man nochmals Reiheneinfamilienhäuser an der unteren Vogelsangstrasse 133-161. Der Innenausbau entsprach mit Abort, Kachelofen, Küche mit fliessendem Wasser, Kochherd und Bratofen höherem Standard. Die Häuser im Schöntalquartier, im Steinegg Wiesendangen, die Siedlung Schooren und Hegifeld in Oberwinterthur, in Seen das Rotenbrunnen-Quartier und die Weiherhöhe und in Veltheim an der Winzerstrasse waren weitere Bauten der GebW. So entstanden in diesen bewegten Zeiten um die beiden Weltkriege unter Robert Sulzer 823 Wohnungen in 459 Häusern.
Jungs Typisierung des Wohnungsbaus für die Arbeiter wurde auch von anderen Bauherren übernommen. Damit wurde den Quartieren nicht nur ein einheitlicher Charakter gegeben, sondern zusammen mit den nie fehlenden „Pflanzblätzen“ entstanden lockere Überbauungen für gesundes und hygienisches Wohnen. In einer Baufach-Zeitschrift war 1928 zulesen, dass die Typenbauten von Ernst Jung der 70er und 80er Jahre durch ihre klaren und ökonomischen Grundrisse, wie auch der schlichten, wohl proportionierten äusseren Gestaltung wegen, das Prädikat Musterhäuser verdienten. Mit ihnen sei auch das „Paradigma einer schweizerischen Gartenstadt“ entstanden.