KMU und Gewerbe

Goldschmid & Co. AG

Untertor 21

178 Jahre lang versorgte die Firma Goldschmid & Co. AG die Winterthurer Bauhandwerker mit Eisenwaren aller Art, Werkzeugen und Handwerkermaschinen. Das Geschäftsdomizil war die meiste Zeit im Zentrum der Altstadt. Zu aller erst hiess die Adresse Untertor 21 und anschliessend Bosshardengässchen 1. Später zog die Firma an die Peripherie und baute „In der Euelwies 24“ in Wülflingen ein neues und grosszügiges Geschäftsdomizil.


Gründungsdatum
1780


1964: Neubau Geschäftshaus Bosshardengässchen, Architekt Max Krentel
Foto: winbib (Signatur FotSpeich_008-141)

Im Haus zur ‚Weissen Traube‘ am Untertor 21 und in der gegenüberliegenden Scheune gründete Hans Jakob Sulzer (1759-1823), Sohn von Salomon Sulzer, Metzger und Traubenwirt, 1780 einen ‚Ysenhandel‘. 1720 hatte er diese Liegenschaften zum Preis von 2530 Gulden erworben. Alexander Goldschmid (1833-1877) führte das Unternehmen vorbildlich und zielstrebend. Er baute den Kundenkreis von Landschmieden, Schlosser und Spengler aus und verkaufte Stabeisen, Hufbeschlag- und Kochherdartikel sowie Ketten, Ofen- und andere Eisenwaren. Im Ladengeschäft wurden auch Eisenpfannen, Bügeleisen, Glätteöfen und verschiedene landwirtschaftliche Geräte verkauft. Er kaufte 1864 an der Strehlgasse, also unweit des Stammhauses, eine Scheune und einen Stall, um das Geschäft nach Bedarf erweitern zu können. Die Arrondierung des Landbesitzes ging 1872 weiter. Alexander Goldschmid erwarb wieder an der Strehlgasse ein Wohnhaus mit Scheune, Stall und Remise. Ein Eisenmagazin sollte dort entstehen. Dazu kam es vorerst nicht. Im Alter von nur 44 Jahren verstarb er 1877 und hinterliess drei minderjährige Söhne. Unter Aufsicht des städtischen Waisenamtes führte die tüchtige Witwe von Alexander, Margaretha Goldschmid-Steiner (1844-1903), zusammen mit Heinrich Boller, einem langjährigen Angestellten, das Geschäft weiter.

1883 wurde eine Kollektivgesellschaft gegründet. Damit wurden die drei Söhne von Margaretha Goldschmid am Unternehmen beteiligt. Speziell war dabei, dass Max Goldschmid (1871-1953), der seit Geburt taubstumm und geistig nicht zurechnungsfähig war, als gleichberechtigter Gesellschafter aufgenommen wurde. Max Goldschmid war der stille Teilhaber während seine Brüder Paul Goldschmid-Ehrensperger (1865-1934) und Ernst Goldschmid-Schärer (1868-1944) das Unternehmen tatkräftig vorwärts führten. Durch diesen Umstand konnte die Vormundschaftbehörde immer wieder mitreden, was für die Firmenentwicklung nicht förderlich war. So konnte zum Beispiel das bereits von Alexander Goldschmid geplante Magazingebäude an der Strehlgasse erst sehr verspätet realisiert werden. Nach dem Tode von Paul Goldschmid trat 1934 mit den Kindern von Ernst Goldschmid, Ernst Goldschmid jun. (1898-1944) und Eugen Goldschmid-Heerdegen (1904-1990) bereits die nächste Generation in die Geschäftsleitung ein. Während des 2. Weltkrieges waren schwierige Zeiten, vor allem weil der Einkauf von Stabeisen, Blech und Röhren kaum aufrechterhalten werden konnte. Als Kompensation wurde eine Werkzeug- und Werkzeugmaschinen-Abteilung eröffnet. Seniorchef Ernst Goldschmid-Schärer hatte bis ins hohe Alter unermüdlich mitgewirkt. 1943 trat er zurück. Durch eine Spende ermöglichte er die Schaffung eines Wohlfahrtsfonds zu Gunsten des Personales.

1949 wurde aus der Kollektivgesellschaft eine Kommanditgesellschaft. Zusätzlich zu Ernst Goldschmid und Eugen Goldschmid-Heerdegen wurde Hans Eichenberger als Kommanditär aufgenommen. Die Geschäftsentwicklung hatte sich nach den Kriegsjahren wieder verbessert. Die Werkzeugverkaufsabteilung wurde neu im ersten Stockwerk eingerichtet. Das ausgeweitete Sortiment stand nicht mehr nur Fabriken und Handwerksbetrieben, sondern auch Privaten zur Verfügung.

um 1920: Untertor 21. Haus zur Weissen Traube mit Eisenwarengeschäft
Foto: winbib (Signatur 026576)

In den nachfolgenden Jahren setzte die grosse Bautätigkeit ein, von der das Unternehmen Goldschmid nicht viel profitieren konnte, da es an Kapital und Lagerraum mangelte, um sich mit dem Verkauf von Baustählen und Eisenträgern zu befassen. Die zweite Hälfte des Jahres 1958 stellte die damalige Geschäftsleitung vor grosse Entscheidungen. Einerseits wünschte Ernst Goldschmid auf Jahresende in den wohlverdienten Ruhestand zu treten, anderseits mussten schon im Vorjahr bedeutende Darlehen zurückbezahlt werden. Als Markstein wird wohl das Jahr 1959 in die Geschichte der Firma eingehen. In enger Zusammenarbeit mit einer der leistungsfähigsten Eisenhandelsfirmen wurde die Kommanditgesellschaft in die neue Firma «Goldschmid & Co. AG» umgewandelt, deren Geschäftsleitung in den Händen von Eugen Goldschmid, Hans Eichenberger und Otto Wyss lag. Nun galt es, Versäumtes nachzuholen. Vorerst wurde eine provisorische Baueisenbiegerei bei der Station Oberwinterthur eingerichtet.

Der Bestand an Personal und Motorfahrzeugen musste bald erweitert werden. Neu wurde auch eine Bauwerkzeugabteilung angegliedert. Die Lager- und Büroräume in der Altstadt erwiesen sich bald als zu eng. Nach langen Bemühungen gelang es, im neuen Industriegelände bei der Station Winterthur-Wülflingen Land mit Gleisanschluss zu erwerben, auf welchem eine modern eingerichtete Lagerhalle mit Biegerei gebaut wurde. Anstelle des alten Geschäftshauses am Bosshardengässchen wurde ein modernes Geschäftshaus gebaut, in welchem die Verwaltung, die Eisenwarenabteilung und ein neuzeitlich eingerichtetes Ladengeschäft für Maschinen, Betriebseinrichtungen und Werkzeuge untergebracht wurden.

1959 suchte das Unternehmen Goldschmid aus Finanzkapazitätsgründen die Zusammenarbeit mit der branchenverwandten Firma Locher, die sich mit einem Aktienkauf beteiligte. 1971 übernahm die Firma Hauser AG St. Gallen, ein Unternehmen aus der Locher Gruppe, die Geschäftsführung und die Firmenbezeichnung "Goldschmid“ verschwand als Unternehmensbezeichnung. Das Traditionshaus am Bosshardengässchen blieb jedoch im Familienbesitz. Die Firma Hauser AG Winterthur wurde 2004 aufgelöst.

Bibliografie


Autor/In:
Heinz Bächinger
Unredigierte Version
Letzte
Bearbeitung:
09.05.2022