Als Henry Müller 2007 nach fast 25 Jahren Amtszeit als Präsident der GWG zurücktrat, endete buchstäblich eine Epoche. Praktisch sein ganzes Leben war Müller (geboren 1935) der Wohnbaugenossenschaft verbunden, und lange Zeit wohnte er in der GWG-Siedlung am Vogelsang. Seine Eltern zogen 1942 in die frisch erbauten Genossenschaftshäuser an der Krummackerstrasse in Töss, wo Henry mit zahlreichen weiteren Kindern aufwuchs. Sein Vater arbeitete als Rohrschlosser bei «Gebrüder Sulzer». Seine Mutter war Verträgerin der «Arbeiterzeitung» und kam so in Kontakt mit AZ-Redaktor Brandenberger, dem Gründungspräsidenten der GWG. Dieser vermittelte der Familie 1942 eine Genossenschaftswohnung. 1952 trat Vater Müller in den Vorstand ein und kümmerte sich fortan um die Liegenschaften, nachdem er schon vorher als Hauswart tätig gewesen war. Als der Vater 1978 gesundheitsbedingt aus dem Vorstand ausscheiden musste, rückte Sohn Henry 1979 in Amt und Würden nach und übernahm 1983 das Präsidium. Henry Müller war gelernter Schriftsetzer und arbeitete lange Jahre beim Zürcher «Tages-Anzeiger». Schon früh kam er mit dem genossenschaftlichen Gedankengut in Berührung. Stark vom Vater wie auch vom SP-Politiker und Lehrer Franz Schiegg geprägt, präsidierte er ab 1970 die SP Töss, war Verwaltungsrat bei Coop Winterthur und in zahlreichen weiteren Institutionen der (Arbeiter-)Selbsthilfe aktiv. Wie selbstverständlich bezog das frisch verheiratete Ehepaar Müller-Keller 1964 eine Dreizimmerwohnung in der GWG-Siedlung Vogelsang. Als «Vollblut-Genossenschafter» erlebte Müller den genossenschaftlichen Alltag wie auch die wohnbaupolitischen Debatten aus nächster Nähe mit. Nicht zuletzt kümmerte er sich nach der vorzeitigen Pensionierung 1995 zusammen mit seiner Frau hauptsächlich um die Vermietung der annähernd 1000 Wohnungen — eine nicht immer dankbare Aufgabe, welche die Grenzen der nebenamtlichen Tätigkeit aufzeigte und schliesslich zur Einrichtung einer hauptamtlichen Geschäftsstelle führte. In den Kindheitserinnerungen von Henry Müller nimmt das GWG-Haus an der Krummackerstrasse einen wichtigen Platz ein. Der Wohnkomfort war bescheiden, aber immerhin besass jede Wohnung eine Badewanne. Und vor allem herrschte in den Häusern ein guter Gemeinschaftsgeist; so erinnert sich Müller an gemeinsame Ausflüge, begleitet vom Klang einer Handorgel. In den vier Blöcken lebten gegen 70 Kinder und Jugendliche und fanden beste Kontaktmöglichkeiten. Weil die Umgebung der Häuser als Nutzgarten diente, wo auch Kaninchen gehalten und Gemüse überwintert wurden, tobten sich die Kinder vor allem auf der Strasse, im Eschenbergwald oder auf der nahen Schlackenhalde der Lokomotivfabrik aus. Erst der von Mutter Müller 1951 initiierte Spielplatz schuf einen besonderen Ort für Kinder-Aktivitäten aller Art. Als Kind wie als Erwachsener vom Genossenschaftsgedanken geprägt und Zeit seines Lebens auf verschiedensten Gebieten engagiert, ist Henry Müller von den genossenschaftlichen Idealen überzeugt geblieben. Auch wenn der gemeinschaftliche Kitt sich langsam lockert, aktive Genossenschafter seltener werden und der Wunsch nach einer möglichst preiswerten Wohnung die wohnpolitischen Ideale in den Hintergrund drängt, zeigt die Geschichte der GWG die beinahe zeitlose Bedeutung von Wohnbaugenossenschaften auf. Wo aber wären sie ohne das Engagement von «Vollblut-Genossenschaftern» wie Henry Müller?