KMU und Gewerbe

Mosterei Erb und Erb Getränkehandel

Jahrzehntelang war die Mosterei Erb mit ihren Produkten erfolgreich und wichtig für Winterthur und ihr Umfeld. Der Wandel in der mechanisierten Landwirtschaft mit weniger Arbeitskräften und der Rückgang des Obstbaumbestandes wegen des Baubooms ab den 1960er Jahren, reduzierten die Mosterei-Aktivitäten. Dies leitete den Wandel des Unternehmens Erb zum reinen Getränkehandel ein.


Gründungsdatum
1908


Adresse
Erb Getränkehandel, Laden & Bistro
Hinterdorfstrasse 48
8405 Winterthur
1971: Hinterdorfstrasse 26, Mosterei Erb Foto: winbib (Signatur 070881)

Seemer Mosterei Erb

1908 zog der Landwirt Armin Erb (1886-1962) nach Seen, wo er an der Hinterdorfstrasse ein kleines Anwesen kaufte. Darin richtete er eine Mosterei ein. Die Landwirtschaft in der Gegend war noch stark auf Milchwirtschaft mit grossen Obstbaumbeständen ausgerichtet. Dieses Potential an Mostobst konnte Armin Erb ausnützen, sodass sich sein Geschäft rasch ausweitete. Mit einer Mostpresse und einem Fasskeller konnte er den Anfall an Mostobst verwerten und Private und Gasthäuser in der weiteren Umgebung mit Most beliefern. Mit der Erweiterung des Einzugsgebiets bis ins Tösstal musste die Verwertungskapazität erhöht werden. 1915 wurde ein zweites Gebäude für eine zusätzliche Mostpresse, Eichenfässer und Betontanks erstellt.

Vor dem zweiten Weltkrieg gab es in Winterthur drei Mostereien. Erb in Seen, Schällenbaum in Oberwinterthur und Müller in Veltheim (später Perrot). Dies wiederspiegelte das grosse Potential der Obstbaumkulturen zu diesen Zeiten. Schon in den Dreissigerjahren besass Erb einen grossen Lastwagenpark, denn das Mostobst wurde aus einem weiten Umfeld herangeholt. Die Bauern aus der Umgebung brachten ihr Mostobst per Fuhrwerk. In der Hochsaison standen sie oft Schlange, bis sie das Gut abladen konnten.

Schnapsbrennen als Zusatzprodukt

Schon früh war das Brennen ein wichtiges Handwerk. Dieses erlaubte die intensivere Ausnützung des Obstes. Nebst Most wurde auch Schnaps zubereitet. Gleichzeitig konnte diese Tätigkeit zeitverschoben ausserhalb der Mostsaison gemacht werden. Bereits Ende der Zwanzigerjahre besass Erb schon vier fahrbare Brennereien. So war der Schritt zu einer stationären Brennanlage fällig. Etwa 1930 wurde ein Kesselhaus angebaut, gut sichtbar mit dem Hochkamin. Darin entstand eine grosse Brennanlage. Beliebt bei den Bauern war natürlich auch die Verwertung von überschüssigen Kirschen, Zwetschgen, Quitten und Pflaumen. Zusätzlich konnten grössere Mengen an Walliser-Aprikosen gebrannt werden. Diese Schnäpse gingen an die Wirte und an die Privatkundschaft. Die Gastwirtschaften wurden mit gläsernen Standflaschen zu 25 Litern beliefert.

Süssmost und «Seener Orange» für neue Trends

Bis sich Konservierungsmethoden für Obstsaft durchsetzten, konnte Most nur in vergärter Form als Apfelmost gelagert werden. Alkoholfreie Getränke waren eigentlich nur als Tee bekannt. Nachdem es möglich wurde, Most in kleineren Glas-Standflaschen bis 25 Liter zu sterilisieren, konnte sich der Süssmost zu einem beliebten Getränk entwickeln. Um den Trend zu alkoholfreien Getränken auszunützen, kreierte Walter Erb das «Seener Orange» gegen den Willen seines Vaters. Süssmost wurde mit Orangensaft gemischt und ergab so einen feinen, durstlöschenden Trank. Die Hochkonjunktur verändert die Landwirtschaft und das Mostgewerbe. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte eine grosse Konjunkturwelle ein, welche die Industrie extrem wachsen liess. Die dazu benötigten Arbeitskräfte mussten in Scharen vor allem aus Italien hergeholt werden. Dies und auch neue Ansprüche an das Wohnen lösten einen gewaltigen Bauboom aus. Dies bedeutete, dass immer mehr Landwirtschaftsareale als Bauland genutzt und so die Obstbaumbestände stark dezimiert wurden. Auch die zunehmende Mechanisierung der Landwirtschaft mit immer weniger Arbeitskräften liessen die Verwertung der Obstbaumerträge in den Hintergrund treten. Das Gewerbe der Mosterei schrumpfte so stark, dass nur noch die Mosterei Seen übrig blieb.

Die zweite Generation tritt neue Pfade an

Nach dem Tod von Armin Erb sen. im Jahr 1962 entschlossen sich sein Sohn Walter Erb (1928-2020) mit seiner Frau Marta einen Getränkehandel zu gründen. Sie sassen zusammen mit den Zuständigen der entsprechenden Firmen (Rivella, Sinalco, Orangina, Eptinger usw.). Es wurden bald auch drei verschiedene Biere geführt. Für drei Jahre wurde die Firma von den drei Geschwistern als Erbengemeinschaft geführt. Nach 1966 war fertig geteilt und die Mosterei und Brennerei wurden aufgegeben. Walter und Marta Erb konnten das neue Lager planen. Sie übernahmen das alte Gebäude an der Hinterdorfstrasse 48 und baute an dessen Stelle von 1966 bis 1968 das neue Betriebsgebäude mit Laden, Lager, Verwaltung und Wohnung. Auch wurde ein Restaurant mit einer für die damalige Zeit wichtigen Kegelbahn geplant. 1972 wurde die «Trotte» eröffnet. Das Mostereigebäude von 1915 mit der Brennerei ging an die Schwestern, wo dann 1973 das Einkaufszentrum entstand. Walter Erb besuchte die Obst- und Weinbaufachschule in Wädenswil. Mit dem zusätzlichen Fachwissen, welches sich Marta Erb an speziellen Wein-Mix-Spezialkochkursen aneignete, konnte die wachsende Kundschaft gut beraten werden.

Die dritte Generation in Aktion

1992 trat Walters Sohn, Hansjörg Erb, in die Fusstapfen seines Vaters. Das Geschäft in Seen entwickelte sich unter der neuen und jungen Führung. Das Sortiment wurde mit Weinen und feinen Gebrannten laufend erweitert. So kamen auch mehr Whisky- und Grappa-Sorten dazu. Leider wurde die «Trotte» nach verschiedenen unglücklichen Wirtewechseln ein Sorgenkind. Auch verlor die Kegelbahn den früheren Anziehungspunkt. So entschloss sich Hansjörg Erb zu einem Neuanfang. Der Wechsel eines Pächters erlaubte es ihm, grosse Pläne umzusetzen. 2016 konnte das alte Restaurant total umgebaut werden. Es gab Platz für eine Vergrösserung der Ladenfläche, welche jetzt das zunehmend wachsende Sortiment optimaler präsentiert. So kann heute aus über 500 Weinen, 500 Whiskys, 100 Grappasorten, 100 Rums usw. ausgelesen werden. Ein feines angegliedertes Bistro zum Verweilen und Geniessen erlaubt auch das Degustieren von monatlich wechselnden Weinen.

Text (gekürzt) im Seemer Boten November 2018 von Bernhard Stickel und Archiv der Familie Erb

Bibliografie


Autor/In:
Heinz Bächinger
Unredigierte Version
Letzte
Bearbeitung:
01.02.2022