KMU und Gewerbe

Musik Baur AG

Frauenfelderstrasse 78

Mit der Handorgel oder dem Akkordeon spielt man Musik in der ganzen Vielfalt, die sich im Musikmachen anbietet. In den Dreissigerjahren kam der Boom der Handorgelmusik, welche die Familie Baur mit ihrem Unternehmen, mit ihrer Musikschule in Winterthur und mit den Orchestern der VWH, aber auch mit den Musikgeschäften an der Wartstrasse und am Obertor fast ein ganzen Jahrhundert prägten.


Gründungsdatum
1933


Adresse
Musik Baur AG
Frauenfelderstrasse 78
8404 Winterthur
1983: Musik Baur, 50 Jahre Jubiläum, Mitarbeitende und Familie Baur (?) beim Apéro Foto: winbib, Marc Dahinden (Signatur FotSch_010-203)

Bewegte Zeiten

Als in den 70er-Jahren das Handorgelspiel etwas an Popularität verlor, haben die Baurs rechtzeitig erkannt, dass eine Ausweitung des Verkaufsprogramms nötig war. Elektrogitarre, Bass und Schlagzeug wurden gefragt. Instrumente, Verstärker, Mikrofone kamen ins Geschäft an der Wartstrasse, als es noch kein Internetshopping und kaum andere Spezialgeschäfte gab. Heimorgeln, Keyboards und später Digital- oder Silentpianos kamen im Sortiment am Obertor neben die Klaviere und Flügel zu stehen. 1984, nach der Heirat von Schwester Heidi nach Sao Paulo, Brasilien, übernimmt Walter Baur die Geschäftsleitung. Nach einem unerfreulichen geschäftlichen Abstecher in der Neumühle Töss gründet 1996 Hermann Baur mit dem Geschäft an der Wartstrasse 22 die Hermann Baur Musik AG. Somit wurde die Musik Baur AG schliesslich ein Klavierfachgeschäft mit Alleininhaber Walter Baur. Beide Brüder sind jetzt selbständig. Wöchentliche Sitzungen entfallen und diese Zeit kann produktiv genutzt werden.

VWH Dirigentennachfolge an Hermi Baur jun.

Nach 50 Jahren als Dirigent und Spieler übergab Hermann Baur sen. 1978 seinem Sohn Hermi den Taktstock. Mit Persönlichkeit und Herz gelang es Hermi Baur jun. (*1950), mit der VWH an nationalen und internationalen Wertungsspielen durch höchste Auszeichnungen zu brillieren. 1993 ging die Ära "Baur" für die VWH zu Ende. Dirigent Hermi Baur trat aus dem aktiven Leben der VWH zurück und wurde für seinen unermüdlichen Einsatz zum Ehrendirigenten ernannt. Die musikalische Leitung der Orchester wurde daraufhin für die folgenden drei Jahre von Caterina Votta (Orchester 1) und Elfi Künzle (Elite-Orchester) übernommen. Noch heute ist die VWH mit zwei Formationen aktiv, dem Orchester 1 (Mittelstufe) und dem Elite-Orchester (Höchststufe). Durch die Besetzung mit Electronium, Schlagzeug, Perkussion und Piano öffnet sich den Orchestern die gesamte Literatur aus Klassik, an Originalkompositionen und aus der aktuellen Unterhaltungsmusik. Gespielt werden verschiedenste Stilrichtungen aus der in- und ausländischen E- und U-Musik (Sinfonien, Tango, Paso Doble, Swing, Walzer, etc.). Seit 1996 dirigiert der Russe Sergej Stukalin (geb. 1962) mit grossem Erfolg die beiden Orchester der VWH. Für die Auftritte während des Jahres wird pro Orchester einmal wöchentlich geprobt.

VWH-Ehrendirigent Hermann Baur sen., eine Laudatio

Wer erinnert sich nicht an seine fliegenden Locken zu rassigen Märschen und Ouvertüren? Man spürte es, dass er sein Leben ganz in den Dienst der Handorgel gestellt hatte. Und diese volle Hingabe als Dirigent und Musiker, seine Liebe zum Instrument und zur Musik, faszinierte immer wieder aufs Neue und liess ihn von einem Erfolg zum anderen gehen. Hermann Baur war nicht nur Dirigent der VWH und Leiter der Musikschule Baur. Nein, er war der Pionier im Aufbau der Handorgel- und Akkordeon-Szene Schweiz. Sei es als Gründer und langjähriger Präsident des SALV (Schweizerischer Akkordeon- Lehrer-Verband) oder dass er den Beruf des Akkordeonlehrers mit Direktor Willi Gohl vom Konservatorium Winterthur und der Berufsschule zusammen ins Leben rief. ...Und nun sass ich selber vor ihm, sah seinen Dirigentenstock durch die Luft wirbeln, sein ganzer Körper schien zu beben. Und natürlich wieder die fliegenden weissen Locken. Manch Juniorenherz rutschte einen Stock tiefer, wenn der Finger auf einen zeigte. „Nid chrüsele! Spiele!“ tönte es oft, und das war Ansporn genug, dieselbe Stelle zu Hause hundertfach zu üben.....“ Laudatio von Kurt Lüber im „Handorgle-Chnopf 42/94“

Am Anfang stand das Orchester VWH

Am 1. Mai 1928 wurde die VWH (Vereinigung Winterthurer Handharmonikaspieler) im Restaurant Erlenhof von fünf begeisterten "Handörgelern", unter ihnen der legendäre Hermann Baur, gegründet. Bereits ein halbes Jahr später trat der Club unter seiner Leitung öffentlich auf. 1932 wurde die erste Juniorenabteilung gebildet. Jeden Tag gab Hermann Baur bis spät abends Unterricht, wo er unzählige junge Leute ins Handorgelspiel einführte. Disziplin und Strenge in den Proben waren für ihn ebenso wichtig wie die Geselligkeit in fröhlicher Runde. Bereits am Eidgenössischen Turnfest Winterthur 1936 marschierte er mit über 200 Spielerinnen und Spielern durch die Gassen Winterthurs und machte die VWH über die Region hinaus bekannt. Die Teilnahme an kantonalen, eidgenössischen und internationalen Wettspielen und Konzertaufführungen gehörten jedes Jahr zum selbstverständlichen Programm.

Musikschule und Handorgelladen

Weil Vater Hermann Baur senior in der Krisenzeit 1933 als Modellschreiner bei Sulzer keine Arbeit hatte, gab er 1933 seinen Beruf auf und machte sein Hobby, das Handorgelspiel, zum Broterwerb. Er gründete an der Wartstrasse 22 ein Handorgelgeschäft. Beides, der Unterricht und das neue Musikhaus an der Wartstrasse, florierten. Der wichtigste Teil, um das sich alles drehte, war für Baur seine VWH (Vereinigung Winterthurer Harmonikaspieler). Musikschule, Verkaufsgeschäft und diverse Orchester für jedes Alter wurden von Hermann Baur geleitet und mit grösstem Engagement gehegt und gepflegt. Unvergesslich ist, wie Hermann Baur jeweils mit seinem grossen Orchester durch die Strassen defilierte. Stolz und zufrieden lächelnd, den Taktstock in der Hand, schritt er diesem Korps voraus. Familiengründung Während dem 2. Weltkrieg musste Hermann Baur in den Aktivdienst. Seine kaufmännische Angestellte Heidi Gattiker hütete in dieser schwierigen Zeit das Geschäft. 1945 heirateten die beiden in der vollen Zwinglikirche und im Herbst 1946 kam ihr erstes Kind Liselotte auf die Welt. 1949 folgten Heidi und schliesslich 1950 die Zwillinge Hermann und Walter. Filiale am Obertor Die Firma entwickelte sich prächtig: 1954 kam das Geschäft am Obertor mit der ersten Schallplattenbar hinzu.

In diesen 1950er-Jahren wurde auch die Mundharmonika, oder „d‘Schnöregiige“ ins Schul- und Verkaufsprogramm aufgenommen. Dieses Instrument, damals weltweit sehr populär, wurde in Winterthur nicht so heimisch. Immerhin gelang es der Familie Baur, 1956 die Weltmeisterschaft im Mundharmonikaspielen nach Winterthur ins Volkshaus zu bringen. Dieser Wettkampf und mächtige Unterhaltungsprogramme fanden eine sehr gute, jedoch nicht nachhaltige Resonanz.

Walter Baur *1950

Walter Baur absolvierte die Klavierbauerlehre bei Sabel in Rorschach und studierte bei Ibach Flügelbau und Konzerttuning. Er bildet später selbst über 16 KlavierbauerInnen aus. 1964 wurde das Musikhaus am Obertor zum Pianohaus. 1970 übernimmt Tochter Heidi Baur, die erste Klavierbauerin der Schweiz zusammen mit Walter Baur die Leitung. Seit 1970 betreute er Flügel und Klaviere am Konservatorium Winterthur und machte 20 Jahre lang für internationale Pianisten Konzertdienst an den Flügeln im Winterthurer Stadthaus. 35 Jahre spielte er selbst Schlagzeug und Pauken im Höchstklasse-Akkordeonorchester der VWH. Walter konnte den Klavierservice, Stimmen und Reparieren, an die Klavierbauerin Carol Rossi weitergeben.

Zwei Leben für die Musik

Hermann und Walter Baur können auf ein arbeitsreiches, aber vielfältiges Leben mit viel Musik zurückschauen. Die Baur-Zwillinge haben mit ihrem Wirken viel für die Musikkultur in Winterthur beigetragen. Im Ruhestand werden sie sich wohl bald an ihren Enkelkindern erfreuen. Und wer weiss, ob nicht noch die eine oder andere musikalische Überraschung in ihrem Innern schlummert.

Geschäftsübergabe

Klavierbauerin Carol Rossi führt das Geschäft immer noch unter dem Namen Musik Baur an der Frauenfelderstrasse weiter. Tradition und Qualität der Dienstleistungen ums Klavier sind gefragt; die Kundschaft ist gross. Den Verkauf der Digitalpianos und später auch der neuen Klaviere und Flügel bekam Musik Grimm. 2015 verkaufte Walter Baur alle Musik Baur-Aktien seiner Nachfolgerin Carol Rossi. Die junge, talentierte Klavierbauerin macht einen guten Dienstleistungs-Job und hält neben dem Klavierstimmen immer interessante Occasions-Flügel und –Klaviere bereit. Als Teilrentner bleibt Walter Baur dem Unternehmen mit seinem leidenschaftlich grossen Wissen über Klavier-/Flügelbau und -Unterhalt erhalten.

Die Zeit nach 2005 mit dem Akkordeonfachgeschäft an der Wartstrasse und mit der BELTUNA-Vertretung war erfolgreich. Mit der riesigen Auswahl von über 200 Akkordeons hatte das Geschäft eine grosse Ausstrahlung im In- und Ausland. Als feinfühliger Musiker, Fachmann und Verkäufer entwickelte Hermi Baur mit BELTUNA zusammen leichtere Instrumente mit viel Klang und Musikalität. Gerade für die hohen Ansprüche der Schweizer sind diese besonders geeignet. Trotz dem Ende des Akkordeonfachgeschäftes von Hermi Baur geht es weiter. Akkordeonbaumeister Carsten Kresse, ehem. Mitarbeiter von Hermann Baur, führt selbständig unter (www.accordeo.ch) eine neue Werkstatt für Akkordeonservice. Die BELTUNA-Vertretung geht an music-audio ag mit Robert Küpfer in Aesch (LU). Die Hermann Baur Musik AG erreicht man unter http://www.beltuna.ch.

Hermi Baur junior *1950

Im Akkordeongeschäft half Hermi schon in der Sekundarschule dem Vater, in der Werkstatt Akkordeons zu reparieren, und trat 1970 nach der Oberrealschule ins Geschäft an der Wartstrasse 22 ein. 1974 absolvierte er die Akkordeonlehrerprüfung mit Auszeichnung. Er bildete sich u.a. bei Rudolf Würthner im Dirigieren weiter und übernahm die Leitung der Akkordeonorchester der VWH Winterthur, die er über 20 Jahre sehr erfolgreich dirigierte. In der Musikschule Baur hatten seit der Gründung ca. 20‘000 Schüler ein Instrument spielen gelernt. Nach 1974 war Hermi auch an der Ausbildung von über 40 Akkordeonlehrkräften (mit Standardbass-Instrumenten) beteiligt. Daneben engagierte er sich mit Tanz- und Unterhaltungsmusik sowie Lobpreis- und Anbetungsmusik. Seine 2009 erschienene Instrumental-CD „I mis Herz“ (Unplugged Akkordeon + Band) ist ein weiterer Ausfluss seines musikalischen Schaffens. Die neue volkstümliche CD „Gottlob“, mit christlichen Gedanken gespickt, ist gut angekommen.

2004, als die Phase der Rockmusik abflachte, trennte sich Hermi von Gitarren, Schlagzeugen, Verstärkeranlagen und Musikelektronik und kehrte wieder zu seinen Wurzeln zurück, zum Akkordeon. Die Stiftung Musikschule Baur konnte gegen andere staatlich unterstützte Schulen nicht mehr bestehen und musste schliessen. Die Hermann Baur Musik AG übernahm 2004 die Vertretung der italienischen Marke „BELTUNA“, konnte erneut expandieren und sich noch einmal «über ein paar wirklich gute Geschäftsjahre freuen». Zwei Jahre, nachdem sein Bruder die Musik Baur AG verkauft hat, liquidierte nun im Herbst 2017 auch Hermi Baur das Akkordeon-Fachgeschäfte an der Wartstrasse. Anfang 2018 wird die Lokalität anderweitig vermietet. Im Hinterhaus der Wartstrasse 20 bekommt jedoch die Hermann Baur Musik AG für die nächsten Jahre eine kleine Bleibe für Spezialitäten und Garantie-Arbeiten.

Bibliografie


Autor/In:
Heinz Bächinger
Unredigierte Version
Letzte
Bearbeitung:
01.02.2022