Natur und Pärke

Freibad Nägelsee (Kanalbad Töss)

1931–1970

Das Freibad Nägelsee, auch Freibad Niedertöss oder Kanalbad genannt, wurde 1931 erbaut und diente der Bevölkerung als Naherholungsraum. Aufgrund des künstlich angelegten Bassins sammelte sich darin jedoch regelmässig Fabrikschlacke an, was bald zu erheblichen Problemen führte.


Baujahr
1931

Abbruch
1970


 Die Fotografie zeigt das frisch ausbetonierte Bassin des Freibades Niedertöss um 1932. Dort sammelte sich nach heftigen Regenfällen regelmässig Schlamm. Bis zu 30 Personen entfernten diesen einmal pro Jahr. Die Stadt Winterthur liess die Entschlammung des Kanals als Notstandsarbeit von arbeitslosen Personen durchführen.
Foto: winbib (Signatur 082350)

Das Volk braucht Abkühlung

Nach dem Ersten Weltkrieg stieg in Winterthur die Nachfrage nach Badegelegenheiten im Freien rasant an. Neben dem 1911 eröffneten Freibad Geiselweid nutzte die Bevölkerung vor allem auch die Flüsse zum Baden. In der Töss gab es zwei beliebte Badeplätze: bei der Neumühle und im Tösskanal bei der Metzgerbrücke. Da die meisten Menschen damals nicht schwimmen konnten, waren sie auf Orte angewiesen, die nicht zu tief waren und keine starke Strömung hatten.

Um 1930 bildeten sich aus den Kreisen der Quartiervereine Töss und Nägelsee eine Schwimmbadkommission, die sich für den Ausbau des natürlichen Badeplatzes am Tösskanal zu einem Strandbad einsetzte. Solche Flussbäder schossen in den 1930er-Jahren wie Pilze aus dem Boden. Sie besassen einfache Infrastrukturen wie einen Badekleiderverleih sowie Dusch- und Garderobenkabinen. Wichtig war auch die Anwesenheit einer Bademeisterin oder eines Bademeisters, die oder der die Sicherheit der Badenden gewährleistete und sich um die Pflege der Anlage kümmerte – so auch beim Tösskanal.

(K)ein Schwimmbad für Töss

Die Träume der Bevölkerung von Töss reichten weit über das Strandbad hinaus. Sie wünschten sich ein eigenes Freibad für Töss. Der Winterthurer Architekt Hermann Julius Siegrist arbeitete für die Schwimmbadkommission ein entsprechendes Projekt aus. Das Freibad Töss hätte an der Stelle des heutigen Schwimmbades entstehen sollen. Politisch hatte das Projekt jedoch keine Chancen, da die Stadtfinanzen angespannt waren. Zudem plante die Stadt damals den Bau eines zweiten Freibades auf der Schützenwiese, das jedoch nie realisiert wurde. Gleichzeitig war zu diesem Zeitpunkt noch unklar, wo der zukünftige Standort des grossen städtischen Schlachthauses sein sollte.

Baden in der Fabrikschlacke

Stadtpräsident Hans Widmer, der selbst aus Töss stammt, wollte seine Mitbürger:innen nicht im Regen stehen lassen. Er setzte sich persönlich dafür ein, dass das Naturbad beim Fabrikkanal aufgewertet wird.

Bei den Vorarbeiten stellten Fachpersonen des Tiefbauamtes jedoch fest, dass mehrere Schmutzwasserleitungen von der Maschinenfabrik Rieter direkt in den Tösskanal führten. Ähnlich war die Situation bei der Neumühle Töss. Erschwerend kam hinzu, dass die Menschen im Chrugelerquartier ihre Hausratsabfälle auch im Fabrikkanal entsorgten. Es war sofort klar, dass das Baden in einem solch stark verschmutzten Gewässer nicht gesund ist. Die Stadt reagierte deshalb mit weitreichenden Verboten und liess den Kanal temporär trockenlegen, um ihn gründlich reinigen zu lassen. Bei dieser Gelegenheit wurde ein Streckenabschnitt des Kanals um etwa 50 Meter erweitert, wodurch ein kleines Bassin entstand, das zur besseren Zugänglichkeit ausbetoniert wurde.

Das Strandbad erhielt eine Umkleidekabine und eine Toilettenanlage. Diese Arbeiten führten arbeitslose Personen während der Weltwirtschaftskrise als Notstandsarbeiten aus.

Das Strandbad Niedertöss wird eröffnet

1931 nahm das Freibad Nägelsee, auch bekannt als Freibad Niedertöss, offiziell den Betrieb auf. In der Bevölkerung hiess es auch Kanalbadi.

Die Anlage war von 6:00 bis 20:30 Uhr geöffnet. Eine Aufsichtsperson stellte sicher, dass sich danach niemand mehr im Wasser oder auf dem Gelände befand. Fast alle Schulklassen aus den Kreisen Wülflingen und Töss nutzten das Freibad für ihren Schwimmunterricht.

Baden in der Fabrikschlacke

Schon bald häuften sich beim Gesundheitsamt die Meldungen über seltsame Hautausschläge bei Kindern. Grund war das künstlich angelegte Bassin, das sich als Fehlkonstruktion erwies. Dort sammelte sich bei heftigen Regenschauern regelmässig eine bis zu 70 cm dicke Schlammschicht, die durch die Badenden aufgewirbelt wurde. Ebenso war das Wasser regelmässig mit einem Ölteppich überzogen, der vermutlich von der Maschinenfabrik stammte. Als Sofortmassnahme liess die Stadt den Schlamm im Bassin einmal pro Saison aufwendig ausheben. Wieder waren es bis zu 30 arbeitslose Personen, die diese stinkende und anstrengende Arbeit verrichteten. Die regelmässige «Entschlammung des Tösskanals» kostete so viel Geld, dass die Stadt nicht mehr gewillt war, weiter in die Infrastruktur des Kanalbades zu investieren. So badeten Kinder und Erwachsene über Jahrzehnte in der Fabrikschlacke.

Besonders prekär war die Lage im Hitzesommer 1947: 500 bis 1000 Personen suchten täglich die dringend benötigte Abkühlung im Tösskanal, und zwar Erwachsene, Kinder und Hunde gleichermassen. Letztere sorgten immer wieder für Streitigkeiten. Mit diesem Schicksal stand Töss keineswegs alleine da. Bis zur Einführung strengerer Umweltschutzgesetze und dem Aufkommen moderner Kläranlagen in den 1960er-Jahren waren viele Gewässer in der Schweiz stark verschmutzt, sodass die Behörden für Flüsse und Seen immer wieder Badeverbote verhängen mussten.

Schlusslicht in Sachen Schwimmbad

Trotz aller Schwierigkeiten dauerte es bis 1950, bis die Stadt eine neue Frischwasserzufuhr errichtete, mit der das Schlammproblem endlich gelöst werden konnte. Dennoch entsprach das Kanalbad nicht mehr den hygienischen Bedürfnissen der damaligen Zeit. 1958 bildete sich im Restaurant Löwen in Töss das «Aktionskomitee zur Erstellung eines Schwimmbades im südwestlichen Stadtteil Winterthurs».

Die Mitglieder der Kommission benötigten viel Ausdauer. Erst 1970 nahm das Schwimmbad Töss als fünftes öffentliches Freibad den Betrieb auf. Damit endete die lange Ära des Kanalbades. 1972 wurde das Kanalbadareal in einen Park mit Spielplatz umgebaut. 


Benutzte und weiterführende Literatur

Pettannice, Nadia: Freibad Nägelsee – Das dreckigste Strandbad Winterthurs, in: De Tössemer, September 2024, S. 12–13.

Archivalien
Stadtarchiv Winterthur, Schwimmbad Nägelsee (Signatur A 16/22)

Bibliografie


Autor/In:
Nadia Pettannice
Letzte
Bearbeitung:
07.10.2024