Bildung und Soziales

Sulzer-Betriebskrankenkasse, Provita

1845–2012

Am 24. November 1845 gründeten ein paar Winterthurer Männer eine der ersten sozialen Institutionen der Schweiz: den Krankenunterstützungsverein der Firma Sulzer. Mit Stolz konnte die PROVITA Gesundheitsversicherung (ehemals Sulzer Krankenkasse) auf über 150 Jahre bewegte und erfolgreiche Geschichte zurückblicken. 2012 kam das Ende, in dem die Krankenkasse von der Swica übernommen wurde.


Gründungsdatum
1845–2012


Schwaden von Stumpenrauch ziehen schwerelos durchs enge Säli des Winterthurer Restaurants Steinbock. Bier in grossen Krügen wird gereicht. Dreissig Männer - und nur Männer - diskutieren angeregt und engagiert. Nach ein paar Stunden ist die Sache erledigt: Die Firma Sulzer soll einen Krankenunterstützungsverein erhalten. Was sich da am Abend des 24. Novembers 1845 so - oder atmosphärisch vielleicht auch ein bisschen anders - abgespielt hat, war alles andere als selbstverständlich für jene Zeit. Rücksichtsloser Manchester-Kapitalismus stand europaweit in voller Blüte. Solidarität unter Proletariern, also unter besitzlosen Arbeitern, war erst in wenigen Ansätzen zu erahnen. Und noch sollten 23 Jahre vergehen, ehe Karl Marx mit "Das Kapital" sein Hauptwerk veröffentlichen würde. Und mitten in diese noch so stark von "Oben" und "Unten" geprägte Epoche, die in der Schweiz als die vor- bundesstaatlich helvetische gilt, fällt die Gründungsversammlung dessen, was heute, über 150 Jahre später, die PROVITA Gesundheitsversicherung ist. Fast doppelt soviele Anwesende wie zu dieser Gründungsversammlung erschienen, exakt eine Woche später, zur Vorlage und Genehmigung der Statuten. Das Baby war nicht nur geboren, es hatte auch seine Taufe bestanden. Die Statuten sollten erst einmal für nur zwei Jahre Gültigkeit haben. Danach wollte man erneut über die Bücher gehen und aufgrund von Erfahrungen nötige Anpassungen machen. Austreten konnten alle jederzeit - nur Geld gab's keines.

Vier sogenannte "Grundgesetz-Paragraphen" sollten unverrückbar bleiben:

-Solang der Verein besteht, soll zu keiner Zeit an aus dem Verein Austretende, eine Rückzahlung erfolgen. -Um dem Zweck des Vereins zu entsprechen, sollen die Eintrittsgebühren und Auflagen nie stark erschwert, hingegen soll, sobald der Kassabestand die Summe von 200 Gulden erreicht hat, die Auflage ermässigt, die Nutzniessung nach Bestimmung von §4 aber nie erhöht werden. -Die in den Statuten enthaltenen Strafbestimmungen sollen weder ganz aufgehoben noch ermässigt, wohl aber verschärft werden können. -Die Bestimmungen der Statuten, dass der Fonds, solange das Unternehmen im Betrieb steht, nicht verteilt werden darf und diese Grundgesetze nicht verändert werden dürfen.

Mit einer Krankenkasse bzw. Gesundheitsversicherung nach heutigem Zuschnitt hatte der damalige Krankenunterstützungsverein allerdings noch wenig gemeinsam. Eine Pflegeversicherung für Arzt und Apotheke gab es nicht, nur zwei Kategorien von Taggeldkassen. So erhielt ein gelernter Arbeiter für seine krankheitsbedingte Abwesenheit vom Arbeitsplatz umgerechnet ca. 82, ein ungelernter ca. 52 Rappen pro Tag vergütet. Solches war zu jener Zeit geradezu so revolutionär, wie die seinerzeitige liberale Stimmung im ganzen Land. Denn Lohnfortzahlungen bei Krankheit durch den Arbeitgeber waren damals noch kein Thema. Johann Metzler hiess übrigens der einzige Patient des ersten Geschäftsjahres 1845/46. Er erhielt 9 Gulden (umgerechnet ca. 21 Franken) für 27 ausgefallene Arbeitstage. Generell geklagt wurde schon früh über Missbräuche beim Bezug der Leistungen und über eine schlechte Prämienzahlungsmoral. Das führte dazu, Mitglieder, die mit drei Beiträgen im Rückstand waren, auszuschliessen. Wer erst zweifach säumig war, dem drohte eine Busse von 5 Pfennigen. Der Franken wurde als offizielle Währung erst 1851/52 eingeführt. Sämtliche Vereinsfunktionen wurden ehrenamtlich bekleidet. Auch jene des Weibels, der als Mittelsmann zwischen Vorstand und Mitgliedern auch für die Eintreibung der Prämien zuständig war. So verwundert es nicht, dass der Geschäftsbericht von 1850, fünf Jahre nach der Gründung, einzig drei Einzelposten unter der Rubrik "Verwaltungskosten" aufführt: 1 Krankenbesuch: 6 Pfennige; 1 Weibel-Kassenmitgliederbüchlein: 12 Pfennige; diverse Schreibutensilien: 12 Pfennige. Nicht allen Ehrenamtlichen passte diese Fronarbeit allerdings. So stellte an der Generalversammlung vom 10. Mai 1858 ein Mitglied den Antrag, Kassier und Präsident des Vereins seien zumindest von der Prämienpflicht zu befreien. Das Anliegen fand jedoch keine Gnade und wurde mit dem formaljuristischen Vorwand, solche Anträge seien gemäss §46 der Statuten mindestens 14 Tage vor der GV einzubringen, abgeschmettert.

Im Laufe der Zeit hat sich die ehemalige Betriebskrankenkasse Sulzer geöffnet und auch die Familien von Angestellten der Firma Sulzer und externe Personen versichert. Da die Krankenkasse rechtlich und finanziell von der Firma schon immer völlig unabhängig war und seit 1995 der grösste Teil von den Versicherten keinen Bezug mehr zur Firma Sulzer hat, erhielt im Herbst 1997 die Sulzer-Krankenkasse (KKS) einen neuen Namen: PROVITA Gesundheitsversicherung. Mit dieser Änderung wird auf dem offenen und hartumkämpften Krankenversicherungsmarkt gegenüber den Kunden und den weiteren Partnern im Gesundheitswesen die freie Marktposition der PROVITA Gesundheitsversicherung als Unternehmen dokumentiert. Um den hohen Anforderungen im Gesundheitswesen gerecht zu werden, hat die PROVITA Gesundheitsversicherung per 01.01.2004 als eine der ersten KMU Krankenversicherer eine neue Struktur mit einer transparenten Aufgabenteilung geschaffen. Der weiterhin bestehende Verein hat das Versicherungsgeschäft an zwei eigene Tochtergesellschaften ausgegliedert, die über eine Holding zusammengefasst sind. Die PROVITA Gesundheitsversicherung AG führt die obligatorische Krankenpflegeversicherung gemäss KVG durch, die ProVAG Versicherung AG betreibt das übrige Versicherungsgeschäft gemäss VVG. Heute ist die PROVITA Gesundheitsversicherung AG eine unabhängige, moderne und offene Krankenversicherung, die alle Personen durch einen aktuellen und flexiblen Versicherungsschutz finanziell absichert.

Die Übernahme der Provita durch die Swica 2012 zog einen Schlussstrich unter eine Geschichte, die 1845 in der Sulzer-Werkstätte begonnen hatte.

Dieser Text wurde der Website der Provita im Juni 2013 entnommen.

Bibliografie


Autor/In:
Heinz Bächinger
Unredigierte Version
Letzte
Bearbeitung:
05.04.2023