Siedlungen
Siedlung Steig
Steigstrasse
Von 1969 bis 1973 errichteten die beiden Industriekonzerne Sulzer und Rieter am äussersten Winkel von Winterthur eine Satellitenstadt mit 296 Familienwohnungen. Am 1. April 1971 konnte der erste der sieben Wohnblöcke bezogen werden.
1971: Die Überbauung Steig wurde schnell emporgezogen, Luftbild
Foto: winbib (Signatur 080766)
Die Überbauung Steig ist ein später und kleiner Vertreter der boomenden Plattenbautätigkeit in den 1960er- und frühen 1970er-Jahren in der Schweiz. Sie befindet sich auf dem ehemaligen Breitenacker am äussersten Zipfel der Stadt entlang der Strasse nach Brütten. Die Siedlung gehört zum Quartier Dättnau-Steig.
Wie Pilze schossen damals innert kürzester Zeit gigantische Siedlungen mit mehreren hundert Wohnungen aus dem Boden. Dank industriell gefertigter Bauteile konnte kostengünstig und schnell gebaut werden. Die Baubranche war angeheizt: Auf Basis der Bevölkerungszählung von 1960 prognostizierten führende Experten, dass die Schweiz im Jahr 2000 die 10-Millionen-Einwohnermarke knacken würde. Diese Zukunftsvision stellte sich zwar nicht ein, doch Wohnungsnot war damals ein reales Problem, so auch im industriell geprägten Töss. Darunter litten auch die Mitarbeitenden der beiden Grosskonzerne Rieter und Sulzer. Für diese planten die beiden Konzerne auf dem brachliegenden Breitenacker eine eigene Siedlung. Schon 1957 hatte dort die von der Rieter getragene Baugenossenschaft Töss rund 30 000 Quadratmeter Bauland erstanden. Die benachbarte, etwas grössere Parzelle ging in den 1960er-Jahren in den Besitz der Sulzer AG über. Nach einer mehrjährigen Planungsphase stellten die Bauherren ihr Projekt vor.
Das Projekt basierte auf drei Grundsätzen: Erstens sollten an der Steigstrasse attraktive und preisgünstige Mietwohnungen entstehen. Zweitens sollten diese in möglichst kurzer Zeit verfügbar sein und drittens wurde viel Wert daraufgelegt, dass die Siedlung möglichst viele Grünflächen aufweist und nicht zu dicht gebaut wird. Letzteres sollte vor allem den Kindern zugutekommen, denn die Zielgruppe der Plattensiedlung waren mittelständische Familien und Ehepaare, die für die beiden Grosskonzerne arbeiteten.
Gelockt wurde mit einer architektonischen Trennung von Toilette und Bad, mit einem Balkon in jeder Wohnung, mit eingebautem Elektroherd in der Küche sowie Liftanlagen bei den Blöcken mit mehr als vier Geschossen. In der Rieter Hauszeitung wurden auch die ökologischen Vorzüge hervorgehoben: «Vorbildlich ist auch die zentralisierte Heizung und Warmwasseraufbereitung, die den aktuellen Forderungen des Umweltschutzes entspricht. Da eine Rodung des Baumbestandes nicht notwendig war, bleibt dem neuen Wohnquartier und den grosszügigen Kinderspielplätzen die ozonreiche Luft dieser Gegend erhalten. Der wohldurchdachte Innenausbau lässt eine attraktive Möblierung zu und macht aus dem «Wohnen im Walde» geradezu ein Vergnügen.»
Kinderfreundliches «Wohnen im Walde»
Die Grossüberbauung fand Anklang unter den Rieter- und Sulzer-Angestellten. Von den 80 am 1. Oktober 1971 bezugsbereiten Rieter-Wohnungen waren rund 50 von firmeneigenen Arbeiterfamilien gemietet worden. Abgerundet wurde das Projekt durch einen eingeplanten Kindergarten. Das dafür nötige Bauland schenkten die beiden Grundeigentümerinnen der Stadt. Die Realisierung des Doppelkindergartens verzögerte sich allerdings um einige Jahre, da der Gemeinderat den ersten Projektentwurf aus Kostengründen zurückwies. Die Eröffnung fand somit erst 1975 und damit zwei Jahre nach der letzten Bauetappe statt.
Ein Überbauungsprojekt mit Nebenwirkungen
Ganz im Geiste der hochmotorisierten 1970er-Jahre verfügte die Anlage über eine grosszügige Anzahl von Abstellplätzen: 170 Tiefgaragenplätze und 150 Aussenparkplätze wurden angelegt. 1974 richteten die Verkehrsbetriebe die erste Autobuslinie ein. Dennoch krankte das Quartier bald an seinen strukturellen Mängeln: Die grosszügigen Wiesenflächen konnten die fehlenden Unterhaltungsmöglichkeiten, Läden, Dienstleister und weitere Begegnungsräume nicht kompensieren. Es waren Probleme, die sich bei den meisten Plattenbausiedlungen in der Schweiz bemerkbar machten und für immer heftigere Kritik sorgten, die bereits ab 1973 zum Niedergang dieser Form des Bauens führte.
Nachdem städtische Pläne für einen neuen Quartiertreff in Steig scheiterten, realisierten die Pensionskassen der Sulzer (SVE) und Rieter (Rivora Sammelstiftung) im Jahr 2020 für 625 000 Franken am alten Standort einen neuen multifunktionalen Quartiertreff. Der Bau verfügt über einen 66 Quadratmeter grossen Raum und 17 kleinere Räumlichkeiten, die für verschiedene Veranstaltungen genutzt werden können. Die Vermietung der Liegenschaft läuft über den Trägerverein in Steig.
Benutzte und weiterführende Literatur:
Pettannice, Nadia: Plattenbauflair in der Waldidylle. Die Überbauung Steig ist 50 Jahre alt geworden, in: De Tössemer, September 2021.
- Autor/In:
- Nadia Pettannice
- Letzte
- Bearbeitung:
- 03.12.2023