Aus dem Bildarchiv

Still sitzen bitte!

Wer sich Mitte des 19. Jahrhunderts fotografieren lassen wollte, brauchte Geduld. Die Fotografie steckte noch in den Kinderschuhen, und die Belichtungszeiten waren lang


Luise Rieter (1828-1879) und Laura Ernst-Rieter (1825-1879), Daguerreotypie um 1850.
Foto: winbib, Franz Boehme (Signatur: 172220)

Zwischen 7 und 10 Minuten lang mussten die Damen Luise Rieter (links) und ihre Schwester Laura regungslos posieren, damit dem Winterthurer Fotografen Franz Joseph Boehme ein hübsches Porträt gelingen konnte. Das unbekannte Mädchen auf dem Schoss von Laura hatte da offensichtlich weniger Disziplin, darum ist sein Gesicht etwas verschwommen.

So eine «Daguerreotypie», wie das fotografische Verfahren nach seinem Erfinder Louis Daguerre heisst, entstand in den meisten Fällen in einem Studio. Franz Boehme arbeitete häufig mit einem gemalten Winterthur im Hintergrund. Hinter Luise und Laura Rieter erkennt man die Zürcherstrasse, gesäumt von Bäumen, und rechts von Luises Hut das Untertor und einer der beiden Türme der Stadtkirche.

Dass so ein «Lichtbild» keine billige Angelegenheit war, erklärt sich von selbst. Die Schwestern Rieter stammten aus einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie und hatten Zeit, sich mit den schönen Dingen im Leben zu beschäftigen. Literatur und Kunst hatten es Luise angetan. Sie verkehrte in entsprechenden Kreisen und lernte im Frühling 1847 den damals noch wenig bekannten Schriftsteller Gottfried Keller kennen. Dieser verliebte sich auf der Stelle in sie. Doch Luise liess ihn eiskalt abblitzen. Ihm blieb im besten Falle nur ein Bild von ihr. Wer weiss, vielleicht dieses.



Autor/In:
Regula Geiser
Letzte
Bearbeitung:
08.07.2024