Siedlungen

Terrassensiedlungen Haltenrebenstrasse

Haltenrebenstrasse 100–122

1969 entstand am Taggenberg eine der ersten Terrassensiedlungen im Kanton Zürich. Die Siedlung ist ein Baudenkmal und steht sinnbildlich für den Bauboom der 1960er- und 1970er-Jahre. Aufgrund der damaligen eidgenössischen Baugesetzgebung entwickelten Fachpersonen neue Konzepte für den Bau an Hängen.


Baujahr
1969–1971


Adresse
Haltenrebenstrasse100–122
8408 Winterthur

Das Bauen in Hanglagen begann in der Schweiz gegen Ende der 1950er-Jahre. Die wachsende Beliebtheit beruhte jedoch nicht auf gestalterischen oder stadtplanerischen Zielen, sondern war eine Reaktion auf die damals geltende Baurechtsgesetzgebung. Die Terrassensiedlungen gerieten bald in die Kritik, weil die grünen Naherholungsräume verschwanden und die Siedlungen den Eindruck einer raschen «Verstädterung» hinterliessen.
Foto: winbib (Signatur 112961)

Eine der ersten Terrassensiedlungen im Kanton Zürich

Zwischen 1969 und 1971 entstand am südlichen Hang des Taggenberges eine der ersten Terrassensiedlungen im Kanton Zürich. Sie basieren auf den Entwürfen des Winterthurer Architekten Anton Brunold (1922–2009). Die Siedlung war inspiriert von den bereits bestehenden Siedlungen der Architektengruppe «team 2000» in Klingnau, Umiken und Rohrdorf im Kanton Aargau.

Die Überbauung besteht aus zwei gestaffelten und zueinander versetzt angeordneten Häuserzeilen aus Sichtbeton. Sie enthalten je sechs Etagenwohnungen mit rund 200 Quadratmetern Wohnfläche. Auf der westlichen Seite hat jede Wohnung einen kleinen Privatgarten. Markant sind die rot gestrichenen Holzbandfenster und die schweren Geschossdecken aus Eisenbeton, die jedoch in den 1980er-Jahren bereits teilweise ersetzt werden mussten. Die Wohnungen betreten die Bewohner:innen über eine Treppenanlage auf der östlichen Seite. Weil die Wohneinheiten direkt übereinander liegen, verfügen sie über speziell isolierte Bodenbeläge zur Schalldämmung.

Wohnen in Hanglage – ein baurechtlicher Kunstgriff

Im Kanton Zug entstanden 1958 die ersten Terrassenhäuser der Schweiz. Sie waren eine Reaktion auf die damalige eidgenössische Baurechtsgesetzgebung, die seit 1907 im Schweizerischen Zivilgesetzbuch (ZGB) enthalten ist. Beim Baurecht handelt es sich um einen Vertrag zwischen zwei Parteien, der die Eigentumsverhältnisse einer Liegenschaft für eine beschränkte Zeitdauer in Land und Baute aufteilt. Der Grundeigentümer erteilt dem Baurechtsnehmer das Recht, auf der Bodenfläche ein Gebäude zu errichten. Dadurch kann Land über längere Zeit bebaut werden, ohne dass man dessen Eigentümer ist. Als Gegenleistung wird ein Baurechtszins fällig.

In den 1960er-Jahren bestand im Mittelstand ein ausgeprägtes Bedürfnis nach erschwinglichem Wohneigentum. Das ZGB kannte bis 1965 jedoch kein Stockwerkeigentum, was den Markt erschwerte, denn das Gesetz sah vor, dass jedes Wohneigentum zwingend einen physischen Kontakt mit dem Grundstück haben musste. Findige Architekturbüros erkannten bald in den mehrheitlich unbebauten Hängen eine Chance, günstig und dennoch rechtskonform zu bauen. Durch eine genau geplante Parzellenteilung im steilen Terrain liessen sich auf kleinem Raum eigenständige Wohneinheiten mit direktem Bodenkontakt umsetzen.

Zusätzlich profitierten die Architekturbüros von der Tatsache, dass sich die Hänge meist ausserhalb der bestehenden Bauzonen befanden und es oftmals nur rudimentäre Bauordnungen gab, was ihnen einige gestalterische Freiheit einräumte. Deshalb entstanden in jener Zeit vermehrt sogenannte Teppich- und Terrassensiedlungen. Diese stellten zudem eine attraktive Alternative zu den bereits etablierten Reihenhausbauten und Hochhäusern dar und sind Ausdruck des verdichteten Bauens. 

Bauboom mit Nebenwirkungen

Bald entstanden in der Schweiz Terrassensiedlungen wie Pilze aus dem Boden. Diese neue Bauform wurde besonders attraktiv für Spekulierende. Die serielle Bebauung der Hänge führte zu Kritik, weil dadurch wichtige Naherholungsräume verloren gingen und die Terrassensiedlungen das Landschaftsbild stark prägten. In einigen Städten wurden die Bauten deshalb teilweise verboten. Auch in Winterthur reagierte die Politik auf die Entwicklung: Am 11. März 1986 traten erstmals Sonderbauvorschriften für Terrassen- und ähnliche Überbauungen in Kraft. Darin sind bestimmte bauliche und gestalterische Mindestanforderungen für Terrassensiedlungen festgeschrieben. 

Der Taggenberg wird überbaut

Der Südhang des Taggenberges wurde in den folgenden Jahrzehnten schrittweise überbaut. Zwischen 1990 und 1993 entstand eine neue Terrassensiedlung mit 22 Gebäuden. Der Winterthurer Architekt Ulrich Isler realisierte diese. 1998 folgte am Ende der Haltenrebenstrasse eine weitere Siedlung mit zwölf Wohneinheiten. Diese wurde durch den Architekten und Generalunternehmer Fritz Bamert aus Gutenswil umgesetzt. 2001 baute der Winterthurer Architekt Beat Rothen eine weitere Siedlung. Zwischen 2005 und 2006 folgte die letzte Überbauung durch das Winterthurer Architektenkollektiv Kisdaroczi, Jedele, Schmid und Wehrli.

Die Einwohnenden entlang der Haltenrebenstrasse erlebten 2006, dass Terrassensiedlungen auch spezifische Nachteile haben. Nach starken Regenfällen kam es zu einem Hangrutsch. Zudem entwickelten sich Bachströmungen, die die Wohnungen überschwemmten.


Benutzte und weiterführende Literatur

Sollberger, Raphael: Terrassensiedlung, in: Inventar der Denkmalschutzobjekte von überkommunaler Bedeutung der Stadt Winterthur, Band 5. 2018, S. 201–205
Scheibler, Ulrich: Nicht immer glücklich am Hang gebaut, in: Der Landbote, 20.01.2007.
Landolt, Karin: Sturzbach in der Waschküche, in: Der Landbote, 11.03.2006.
Brossard, Gilbert / Oederlin, Daniel: Architekturführer Winterthur. 1925–1997, 1997, S. 114–115.

Bibliografie

    Haltenreben. Terrassensiedlungen 1969-2006

    • Einträge 1991–2010

      Nicht immer glücklich am Hang gebaut: Landbote 2007/16 von Ulrich Scheibler, m.Abb.


Autor/In:
Nadia Pettannice
Letzte
Bearbeitung:
11.10.2024