Bildung und Soziales

Verena Bräm

Bezirksrichterin, Oberrichterin, Politikerin (EVP), *1932

Verena Bräm, geborene Burckhardt, wurde 1976 als erste Frau zur Bezirksrichterin von Winterthur und 1984 zur ersten Oberrichterin im Kanton Zürich gewählt. Von 1981 bis 1983 sass sie für die EVP im Zürcher Kantonsrat und war auch als erste Frau Präsidentin einer Kantonalpartei. Ihr juristischer Schwerpunkt lag auf dem Familienrecht.


Geburtsort
Zürich

Geboren
17.03.1932


Kindheit und Jugend

Verena Burckhardt wurde am 17. März 1932 als Tochter eines Pfarrers und einer Hausbeamtin in Zürich Witikon geboren. Ihre Herkunftsfamilie entstammt einem Basler Patriziergeschlecht, doch mit Basel verbindet sie nur der im Pass eingetragene Heimatort und der Dialekt, der in ihrer Kindheit zu Hause gesprochen wurde.

Als sie zwei Jahre alt war, starb ihr Vater an den Spätfolgen einer bakteriellen Tuberkulose. Ihre Mutter, damals 24-jährig, war zu diesem Zeitpunkt mit dem zweiten Kind schwanger. Sie arbeitete als Hausbeamtin, was damals ein angesehener Frauenberuf war. Hausbeamtinnen waren in Grossbetrieben, wie etwa einem Spital oder einer Firma für die Personalführung zuständig. Voraussetzung war allerdings, dass sie im Betrieb wohnten. Das war für ihre Mutter angesichts der bevorstehenden Geburt keine Option mehr. Sie gab ihre Stelle auf und zog mit ihren Kindern für ein paar Jahre zu den Schwiegereltern nach Glarus. Verena kam gerade in die erste Primarschulklasse, als der Zweite Weltkrieg ausbrach. Das Kriegsende sechs Jahre später fiel mit ihrem Eintritt in die «Höhere Töchterschule» zusammen, dem späteren Gymnasium Hohe Promenade.

Wende im Leben

Eigentlich wollte Verena Burckhardt studieren, doch weil sie ihrer Mutter die Studienkosten nicht zumuten wollte, machte sie stattdessen eine Sekretariatsausbildung und belegte einige Vorlesungen in Germanistik. Die Arbeit in einem grossen Sekretariat in einer Import-Export-Firma gefiel ihr aber überhaupt nicht. Bevor sie sich umorientieren konnte, erkrankte sie an Tuberkulose. Für sie selbst und ihre Mutter angesichts des Schicksals ihres Vaters ein Schock. Doch Verena Burckhardt hatte Glück – es gab bereits die ersten Antibiotika. Dem Tod entronnen fasste sie während einem Kuraufenthalt in Davos den Entschluss, ein Jurastudium in Angriff zu nehmen. Eine Freundin hatte sie zuvor zu einer Einführungsvorlesung über Vertragsrecht mitgenommen und Verena Burckhardt war sofort Feuer und Flamme gewesen.

Weniger begeistert war ihr Bekanntenkreis. Dieser riet ihr – als Frau – von einem Jurastudium ab. Vor 1971 konnten Frauen höchstens Anwältinnen werden, da für das Richteramt das eidgenössische Stimm- und Wahlrecht vorausgesetzt wurde. Ihre Mutter hingegen unterstützte die Pläne ihrer Tochter. An der Juristischen Fakultät in Zürich lernte sie Heinrich Bräm kennen. Im dritten Semester wurde Verena schwanger. Die beiden Studierenden heirateten und zogen für fünf Jahre zu Verenas Mutter. Sie unterstützte ihre Tochter nicht nur finanziell, sondern half auch bei der Kinderbetreuung und Erziehung mit. 1957 schlossen Verena und Heinrich Bräm ihr Studium mit dem Lizentiat ab.

Aufbau einer Rechtsberatung

Nach dem Studium baute Verena Bräm beim Evangelischen Frauenbund eine unentgeltliche Rechtsberatung auf. Die Kontakte wurden über ihre Mutter hergestellt, die dort als Geschäftsführerin tätig war. Verena Bräm beriet Frauen zu Themen wie Güterrecht, die rechtliche Beziehung zu den Kindern, Ehrverletzungen, Eheverträge, Testamente und vielem mehr. Es war ihr wichtig, die Probleme immer zu versachlichen. Sie identifizierte sich in der Rechtsberatung nie mit den Frauenopfern und versprach auch nichts, was sie berufsrechtlich später nicht einhalten konnte. Auch wenn sie Frauen rechtlich beriet, wollte sie selbst nicht als Feministin betrachtet werden, denn der Feminismus war ihr zu einseitig. Sie sah sich als Vertreterin der Gleichberechtigung und war konsensorientiert. Fünfzehn Jahre lang führte sie die Rechtsberatung, während ihr Mann als Jurist in der Stadtverwaltung Zürich arbeitete. 1959 kam der zweite Sohn zur Welt. 

Verena Bräm war 39 Jahre alt als das Frauenstimm- und Wahlrecht auf eidgenössischer Ebene eingeführt wurde. Sofort stieg sie in die Politik ein und trat mit ihrem Mann in die Evangelische Volkspartei (EVP) ein, da die Frauen dort bereits vollberechtigte Parteimitglieder waren. 1971 stellte sie sich für den Zürcher Gemeinderat zur Wahl. Trotz Spitzenplatz auf der Parteiliste wurde sie aber von zwei männlichen Kollegen überholt und verpasste die Wahl. Schwer enttäuscht beschloss sie, das Anwaltspatent zu erwerben, um bei einer kommenden Wahl als «Anwältin» statt «Juristin» auftreten zu können. Sie versprach sich davon, dass sie so mehr Eindruck hinterlassen würde.

Als Doppelverdienerin abgewiesen

1972 trat die 40-Jährige eine Auditorinnenstelle beim Bezirksgericht Zürich an. Ihr direkter Vorgesetzter war 26 Jahre alt. Ihre Kollegen beichteten ihr später, dass sie zum Personalchef gegangen seien und sich beschwert hätten, dass sie nicht mit so einer «alten» Praktikantin zusammenarbeiten wollten. Doch schon bald waren ihre Kollegen beeindruckt. Schon an ihrem ersten Arbeitstag schrieb sie zweieinhalb Urteilsbegründungen. Die speditive Arbeitsweise, die sie sich als arbeitstätige Mutter hatte aneignen müssen, kam ihr nun gelegen. Es folgten Beförderungen zur Substitutin und zur Stellvertreterin des Gerichtsschreibers.  

Zwei Mal kandidierte sie vergeblich für ein Bezirksrichteramt. Beim ersten Mal hiess es, sie habe zu wenig Erfahrung, beim zweiten Mal wurde ihr entgegengehalten, sie sei ja verheiratet und habe kein eigenes Einkommen nötig. Das abschätzige Wort «Doppelverdienerin» wurde ihr auch später immer mal wieder vorgehalten, dabei gab es auch genügend Männer, die mit gutbetuchten Ehepartnerinnen verheiratet waren. 1974 erwarb sie das Anwaltspatent. Zu diesem Zeitpunkt war sie Gerichtssekretärin am Zürcher Obergericht.

«Blaue Prozesse» in Winterthur

Einen Tag nach der mündlichen Anwaltsprüfung bekam sie ihre erste Chance sich zu profilieren: Das Bezirksgericht Winterthur suchte einen Ersatzrichter, der bei den «blauen» Prozessen behilflich sein sollte. Es handelte sich um die Fälle rund um das umstrittene Divine Light Zentrum. Verena Bräms Kollegen rissen sich nicht um den Posten, sie hingegen sagte sofort zu. 

Ein Jahr später gab es am Bezirksgericht Winterthur eine unerwartete Vakanz, weil ein von der CVP portierter Richter zurücktrat. Die Ersatzrichterin erkannte ihre Chance und fragte die Winterthurer EVP um Wahlkampfunterstützung an. Es folgte eine Kampfwahl um den Richterposten. Abgesehen von EVP und LdU unterstützten alle anderen Parteien den Gegenkandidaten. Ein grosses Wahlkampfbudget hatte Verena Bräm nicht. Um sich bekannt zu machen hielt sie verschiedene rechtskundliche Vorträge in den Gemeinden und beantwortete Fragen aus dem Publikum. Trotz einer beträchtlichen Zahl an Inseraten der CVP und der besseren Verwurzelung des Gegenkandidaten mit Winterthur, setzte sich Verena Bräm mit knapp hundert Stimmen Unterschied durch, scheiterte aber am absoluten Mehr. Im Zweiten Wahlgang vom 13. Juni 1976 ging sie dann aber deutlich als Siegerin hervor.

Freiwillig Wohnsitz nach Winterthur verlegt

Im Wahlkampf hatte sie versprochen, bei einem Sieg ihren Wohnsitz nach Winterthur zu verlegen, um die Region und ihre Menschen näher zu spüren, was sie nun auch tat. Einen Wermutstropfen gab es allerdings: Ihr Mann hatte als juristischer Sekretär und Beamter der industriellen Betriebe der Stadt Zürich Residenzpflicht in Zürich. Erfolglos stellte er einen Antrag, seiner Frau nach Winterthur folgen zu dürfen. Das Ehepaar musste sich mit zwei offiziellen Wohnsitzen arrangieren. 

Als erste Frau am Bezirksgericht Winterthur fühlte sich Verena Bräm wohl. Diskriminiert fühlte sie sich nie. Die Anwälte hatten anfänglich zwar etwas Schwierigkeiten bei der Anrede des Gerichts. Statt wie bis dato ihr Plädoyer mit «Herr Präsident, meine Herren» zu beginnen, stockten sie nach «Herr Präsident» und stotterten irgendetwas Unverständliches, bis sich mit der Zeit die Anrede «verehrte Anwesende» etablierte.  

Politisch und beruflich nahm ihre Karriere nun an Fahrt auf. 1976 wurde sie als erste Frau in Zürich zur Kantonalparteipräsidentin der EVP gewählt. 1981 folgte die Wahl in den Kantonsrat. 1982 wurde sie Vizepräsidentin des Bezirksgerichtes und Präsidentin des Mietgerichtes in Winterthur.1983 folgte die Berufung an das Zürcher Obergericht. Diese Wahl fiel deutlich weniger emotional aus. Am Obergericht arbeitete sie erst in der Strafkammer und wechselte danach in die «Familienkammer». Ihre Erfahrungen als Scheidungsrichterinnen flossen in die Revision des Zürcher Scheidungsrechtes ein. Ab 1993 war sie Lehrbeauftragte an der Juristischen Fakultät für Familienrecht und Stiftungsratspräsidentin in der Stiftung für juristische Weiterbildung. Ihre berufliche Laufbahn schloss sie als erste Vizepräsidentin des Gesamtgerichts ab.

Zur Ehrenbürgerin und Ehrendoktorin ernannt

Nach ihrer Pensionierung im Jahr 1994 arbeitete sie bis 2000 als Ersatzrichterin am Obergericht. Im selben Jahr erkrankte ihr Mann an einem Nierenleiden. Sie spendete ihm eine ihrer Nieren. Die Transplantation war erfolgreich und beide erholten sich gut. In dieser Zeit lernte sie andere Betroffene kennen und erfuhr, dass viele Lebendspender nach den Eingriffen mit finanziellen Problemen zu kämpfen hatten, aufgrund von Lohneinbussen und Streitigkeiten mit den Krankenkassen wegen Nachsorgeterminen. Daraufhin gründete Verena Bräm den Verein für Lebendspender und setzte sich für eine rechtliche Verbesserung ein. Nebenbei begann sie vermehrt zu publizieren und absolvierte einen mehrjährigen Theologielehrgang. Sie engagierte sich auch im WWF, in der Kirchgemeinde und in der Ortspartei ihrer Wohngemeinde Kilchberg. Aufgrund ihrer Verdienste ernannte die Gemeinde sie zur Ehrenbürgerin und zum «ständigen Gast des C.-F.-Meyer-Hauses».

Im Jahr 2005 wurde ihr von der Juristischen Fakultät der Universität Zürich die Ehrendoktorwürde verliehen, um ihre grossen Verdienste um die Verbindung von Rechtsprechung und Rechtswissenschaft anzuerkennen. 2007 starb ihr Mann an einem plötzlichen Herztod. Verena Bräm widmete ihre Zeit danach vermehrt ihren drei Enkeln. Ebenfalls setzte sie sich in einem Artikel mit der Geschichte der Ersten Richterinnengeneration auseinander.


Benutzte und weiterführende Literatur:

Speiser, Regina: «Winterthurs erste Bezirksrichterin: unkonventionell und sachlich» in: Winterthurer Jahrbuch 2017, S. 16-21.
Saxer, Sibylle: «Die Juristerei ist das ganze Leben», in: Zürichsee Zeitung, 27.7.2009.
Revital Ludewig, Kathleen Weislehner, Evelyne Angerhn (Hrsg).: Zwischen Recht und Gerechtigkeit. Richterinnen im Spiegel der Zeit, Bern 2007.
Schmid, Camille: Zum Rücktritt von Oberrichterin Verena Bräm, in: Neue Zürcher Zeitung, 30.04.1994.
O.a. Wahl einer Oberrichterin, in: Neue Zürcher Zeitung, 08.11.1983.
in: Der Landbote,28.02.1976.
in: Der Landbote,14.06.1976.


Bibliografie


Autor/In:
Regina Speiser
Letzte
Bearbeitung:
18.08.2023