Vereine und Verbände
Verkehrs- und Verschönerungsverein Winterthur
1899–2017
Während 117 Jahren engagierte sich der Verkehrs- und Verschönerungsverein Winterthur (VVW) für die Stadt Winterthur. Lag der Fokus in den ersten Jahrzehnten bei Aktionen für die Verschönerung des Stadtbildes wandte man sich nach dem 2. Weltkrieg den Bemühungen zu, sich aktiv um das „Verkaufen“ der Stadt einzusetzen. 1951 wurde das erste vollamtliche Verkehrsbüro am Bahnhofplatz eröffnet.
Fusion
2017
Gründungsdatum
1899
1900: Stadtansicht vom Bäumli und Kyburg, darunter Darstellung einer Lokomotive und eines Arbeiters mit einer Dampfmaschine. Sammelansicht, Postkarte des Verkehrs- und Verschönerungsvereins Winterthur
Foto: winbib, Urheberschaft unbekannt (Signatur Kombinationspostkarten Winterthur (mit Stadtansicht) 24_22)
Braucht Winterthur einen Verkehrs-und Verschönerungsverein? Diese Frage stellte Albert Hablützel am 8. Februar 1899 in einem Referat an der Versammlung des Winterthurer Gemeindevereins, einer liberalen Bürgervereinigung. Sie war allerdings rein rhetorischer Art, denn der Redner war überzeugt, «dass die Gründung des VVW ein dringendes Erfordernis ist und unsere Stadt hier nicht länger zurückstehen darf». Der Nutzen für die Stadt lag für Hablützel, dem engagierten Redaktor des „Neuen Winterthurer Tagblattes“, auf der Hand. Hablützel konnte seine Zuhörer leicht für die Idee gewinnen. Eine Kommission arbeitete nach der Versammlung einen Statutenentwurf und ein Arbeitsprogramm aus, und schon am 17. April 1899 konnte zur Gründungsversammlung im «Strauss» gerufen werden. Dort wurden die Statuten des Vereins genehmigt, das Arbeitsprogramm festgelegt und die Ämter verteilt. Die Versammlung wählte Albert Hablützel zum ersten Präsidenten.
Im Paragraph 1 der Statuten definierte der VVW seine Ziele kurz und bündig: «Der Verkehrs- und Verschönerungsverein von Winterthur und Umgebung hat den Zweck, die Verkehrsinteressen zu wahren und zu fördern, Fremde und Aufenthalter auf die Vorzüge von Winterthur und seiner Umgebung aufmerksam zu machen und zur Verschönerung der Stadt und Landschaft sein Möglichstes zu tun.
Genau dies tat der VVW denn auch während Jahrzehnten: Er baute Anlagen und Spazierwege, begrünte Strassen und Plätze und bemühte sich mit vielen Aktionen um die Verschönerung des Stadtbildes. Auch für die Fremden, die es nach Winterthur verschlug, tat er sein bestes — aber dass jemand nur zum Vergnügen nach Winterthur kommen sollte, daran glaubte er damals nicht: «Eine Fremdenstadt ist Winterthur nicht; die Fremden, die sich bei uns gelegentlich aufhalten, sind Vertreter von Handel und Industrie und Leute, die sich um diese interessieren», schreibt Albert Hablützel noch 1934 im Rückblick auf 35 Jahre Vereinsgeschichte. Und 1941 lehnte der Stadtrat den Beitritt Winterthurs zur Schweizerischen Zentrale für Verkehrsförderung ab, weil «diese sich fast ausschliesslich um die Förderung des Fremdenverkehrs bemühe, weshalb ein Beitritt der Stadt nichts nützen würde». Winterthur war halt immer noch die «Arbeiterstadt» — dass sie längst auch zur «Gartenstadt» geworden war, kam dagegen nicht an.
Und doch: nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs die Einsicht, dass man sich aktiver um den Fremdenverkehr bemühen müsse. 1951 wurde das erste Verkehrsbüro in Winterthur eröffnet, der Stadtprospekt erschien auch in fremdsprachigen Ausgaben, und der VVW entledigte sich alter Pflichten, um sich auf die Tourismusförderung konzentrieren zu können. Aber so richtig vom Fleck kam die Sache nicht. Zum einen fehlte es dazu sicher am nötigen Know-how im Verein, zum anderen waren die Winterthurerinnen und Winterthurer wohl selbst noch immer nicht so ganz überzeugt von den touristischen Qualitäten ihrer Heimatstadt. 1968 startete eine Kampagne unter dem Motto „Winterthur ist schöner, als Sie glauben“. Der Erfolg hielt sich in Grenzen.
1979 wurde das Verkehrsbüro am Bahnhof eröffnet. Im Halbbogen der Kioske neben und unter dem damaligen 1. Klasse-Buffet wurde ein Raum gemietet in dem nicht nur das administrative Büro des Verkehrsverein eingerichtet war, sondern auch das Auskunftsbüro für alle, die über Winterthur etwas wissen wollten.
Aber die Winterthurer glaubten nicht an ihre Stadt. Sie zeichneten das Bild einer langweiligen Stadt mit müden Bewohnern, ohne landschaftliche und kulturelle Reize. Dieser Mentalität sagte der damalige Präsident des Verkehrsvereins, Albert Blatter, den Kampf an: «Den alten Aberglauben vom hässlichen Winterthur werden wir in den Grundfesten erschüttern und die Gespenster geistiger Dumpfheit in ihren verstaubten Schlupfwinkeln ausräuchern. (...) Wir werden dem grauen Schatten der traurigen Statistik das farbige Bild einer liebenswerten Stadt entgegenstellen, unverzagt hoffend, alle Bewohner erwiesen sich seiner nach und nach würdig.» Erfolge der Bemühungen des Verkehrsverein, die noch heute zentrale Elemente der Attraktivitäten der Eulachstadt darstellen, sind zum Beispiel der Stadtpark, die bessere Zugänglichkeit der Walcheweiher, der Erhalt der Burgruine Beerenberg, die Förderung des Bruderhaus Tierparks. Trotz diesen Erfolgen wurde 1974 der Namensteil „Verschönerung“ aus dem Vereinsnamen weggekippt.
Blatters flammender Appell blieb nicht wirkungslos. Er stellte einen Mitarbeiter an seine Seite. Ab 1973 wirkte im VVW der Geschäftsführer Bruno Camanni (*1942), damit war erstmals ein Tourismusfachmann aktiv. Dieser, seit 1975 Verkehrsdirektor, brachte nicht nur das nötige Fachwissen ins Verkehrsbüro, als gebürtiger Winterthurer war er auch überzeugt von den Qualitäten seiner Heimatstadt.
Camanni scheute keinen Einsatz, um Winterthur ins rechte Licht zu rücken. Mit Ausstellungen, Vorträgen, Zeitungsbeiträgen und anderen Aktionen überzeugte er die Leute: Winterthur ist schön! Und siehe da: Es ging aufwärts mit dem Selbstbewusstsein der Winterthurer — und plötzlich berichteten Zeitungen in Amerika und Japan über die Schönheit Winterthurs, die Leute kamen herbei von überall her, um dieses Kleinod zu bewundern. Als Bestätigung von Winterthurs städtebaulichen Qualitäten wurde der Stadt 1989 vom Schweizer Heimatschutz der Wakker-Preis zugesprochen. Das hässliche kleine Entlein ist zum schönen, weissen Schwan herangewachsen — und diese Entwicklung verdankt Winterthur zu einem grossen Teil seinem Verkehrsverein, der längst mit dem Namen „Winterthur Tourismus“ auftrat. Stiess die Arbeit des Verkehrsvereins anfänglich beim Stadtrat auf wenig Verständnis bzw. Aufmerksamkeit, änderte sich das ab den 1920er-Jahren. Ab 1912 erhielt die Organisation einen jährlichen Beitrag von 500 Franken. Mit der neuen Gemeindeordnung von 1921/22 wurde ein Verkehrsamt geschaffen, der eine Verkehrskommission als Beraterin beigesellt wurde. In dieser konnte der VVW neu aktiv mitwirken und mitgestalten. Als 1951 das Verkehrsbüro am Bahnhofplatz eröffnet wurde, war die finanzielle Unterstützung durch die Stadt unabdingbar. 1968 fand im Vorstand des VWW durch eine Verjüngung der Mitglieder eine Wachablösung statt.
Der neue Vorstand setzte sich intensiv mit dem Tätigkeitsgebiet des VVW auseinander und er kam zum Schluss, dass seine Aufgabe in allererster Linie in der Fremdenverkehrsförderung liegen müsse. Der Wille, für Winterthur Tourismusförderung zu betreiben, war nun da, und mit der Erhöhung des städtischen Beitrags an den VVW auf 50 000 Franken pro Jahr ab 1972 standen auch mehr Mittel zur Verfügung. Blatters Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Der Geschäftsführer und Verkehrsdirektor entfaltete auf verschiedensten Ebenen Aktivitäten: Er rückte mit allen Kräften dem alten Image Winterthurs als graue Stadt der Langweiler zu Leibe. Dank Ausnützung von Beziehungen und offensiver Information kurbelte er den Kongresstourismus an. An allen wichtigen Tourismusmessen war Winterthur fortan vertreten, was Kontakte mit Reiseveranstaltern aus der ganzen Welt brachte. Und auch für die Winterthurer selbst unternahm das Verkehrsbüro viel: Es wirkte bei der Organisation unzähliger Feste und Konzerte mit.
1977 war der VVW massgeblich an der erfolgreichen Abstimmungskampagne für die Verschiebung des Wirtschaftsschlusses von 23 Uhr auf 24 Uhr und die Einführung des wöchentlichen Abendverkaufs beteiligt und gab diverse Publikationen heraus, die auf grosses Interesse stiessen. Diese Aktivitäten gingen nicht ohne politische Nebengeräusche über die Bühne. 1978 zog das Verkehrsbüro weg von den längst zu klein gewordenen Räumlichkeiten zwischen EPA (heute COOP City) und Hauptbahnhofgebäude. Es wechselte auf die andere Seite des Bahnhofplatzes. Im Neubau des Bankvereins, bei der Einmündung der Turnerstrasse, wurde das neue Tourist Office eingerichtet. Unterstützt vom konjunkturellen Rückenwind, der in der zweiten Hälfte der 70er und in den 80er Jahren wehte, zeitigten die Aktivitäten des Verkehrsbüros bald auch wirtschaftlichen Erfolg: Die Zahl der Logiernächte in Winterthur stieg an und damit wurden indirekt auch andere Wirtschaftszweige der Stadt gefördert.
Das Verkehrsbüro ist damit zur Institution geworden, die aus Winterthur nicht mehr wegzudenken ist. «Wir sind da, wenn immer Aufgaben nicht eindeutig in den Zuständigkeitsbereich oder Pflichtenkreis einer anderen Organisation fallen und wenn sich diese mit den Zielvorstellungen unseres Vereins decken» — so hat Verkehrsdirektor Camanni 1979 den Aufgabenbereich des Verkehrsbüros umschrieben. Das hat auch heute noch seine Gültigkeit. Und wenn sich das Verkehrsbüro seit 1997 offiziell Tourist Service nennt, so ist das ein weiterer konsequenter Schritt der Fremdenverkehrsförderung; es bedeutet aber überhaupt nicht, dass der Verkehrsverein und sein Büro in Zukunft nicht mehr für die Winterthurer und Winterthurerinnen da sein soll. Seit 1998 ist das freundlich auftretende Tourist Office wieder zurück am Hauptbahnhof. In der südlichen Hälfte der Schalterhalle liegt seither der Office-Stützpunkt als niederschwelliges Kundenzentrum.
2017 trat eine grosse Veränderung ein. Die 1994 gegründete Standortförderung und der 1899 gegründete Verkehrs- und Verschönerungsverein wurden auf Betreiben des Stadtpräsidenten Mike Künzle fusioniert und treten ab November 2017 unter dem modernen Namen „House of Winterthur“ gemeinsam auf. Ob diese neue Organisation in hundert Jahren ebenso erfolgreich Bilanz ziehen kann, wie das der VVW vorgemacht hat, wird die Zukunft zeigen.
Quellen: "Vom Verschönerungsverein zum Tourist Service" 1998, Text Andres Betschart; verschiedene Jahresberichte; Infos von Bruno Camanni sowie Bilder aus seinem Privatarchiv.