Kirchengebäude

Chorherrenstift Mariazell auf dem Beerenberg

1318–1528

Auf dem Beerenberg in der Nähe von Wülflingen gründeten Menschen 1318 eine Einsiedelei. Daraus entstand im Verlauf des 14. Jahrhunderts das Kloster Mariazell. Nach der Reformation wurde die Klostergemeinde 1527 aufgelöst und das Kloster verfiel.Heute ist es eine beliebte Ausflugsstätte.


Auflösung
1527

Gründungsdatum
1318


Im 14. Jahrhundert errichteten Menschen eine Einsiedelei am Beerenberg. Über die Jahrhunderte baute sich die religiöse Stätte zu einem Kloster aus. Im Zuge der Reformation lösten die Behörden den Klosterkonvent 1527 auf. Später nutzten die Menschen das Kloster als Steinbruch und trugen es zu einem grossen Teil ab, wie ein Stich von Felix Meyer aus dem Jahr 1678 zeigt.
Foto: winbib (Signatur 110322_O

Anfänge als Einsiedelei

Im Jahr 1318 errichtete der Laienbruder Stephan Rheinauer auf dem Beerenberg (ursprünglich Berenberg) eine Einsiedelei mit Kapelle, die als steinerner Saalbau angelegt war. Diese religiöse Stätte erweiterte man 1355 durch ein Wohngebäude. Vermutlich handelte es sich dabei um die Quartiere des Franziskanermönchs Heinrich von Linz aus Österreich, der dort mit seinen vier Brüdern Paulus, Konrad, Johannes und Nikolaus mit Erlaubnis des Konstanzer Generalvikars Otto von Rheineck einen Drittordenskonvent gründete. Dies war eine religiöse Gemeinschaft von Laienbrüdern, die einem Orden angehörten, aber nicht in einem Kloster lebten. Heinrich von Linz war Anhänger der oberrheinischen Mystikerbewegung, die den Zugang zu Gott unter anderem durch die Abwendung von allem Irdischen suchte. Diese Abwendung war durch die abgeschiedene Lage auf dem Beerenberg gegeben.

Einige Jahre später trieb er die Umwandlung der Einsiedelei in ein reguliertes Augustiner-Chorherrenstift voran. 1364 stiftete Erzherzog Rudolf IV. von Österreich den Brüdern die Ländereien, auf denen die Anlage stand, sowie einen Teil des umliegenden Waldes. 1365 wurde der Ordenswechsel anerkannt. Damit war die institutionelle Umwandlung von der Einsiedelei zum Kloster abgeschlossen. Der Orden durfte nun einen Konvent mit bis zu neun Chorherren gründen. Das Chorherrenstift auf dem Beerenberg schloss sich in der Folge den Steigherren an, deren Kloster sich im elsässischen Obersteig befand. Als Klosterpatrone wurden Johannes der Täufer, Johannes der Evangelist und die Jungfrau Maria erhoben, die auch namensgebend war: Das Kloster nannte sich fortan Mariazell und Heinrich von Linz wurde der Vorsteher.

Unmittelbar nach der Umwandlung begannen die Bauarbeiten für eine neue Klosterkirche. Heinrich von Linz erlebte ihre Vollendung allerdings nicht mehr. Er starb im Alter von 60 Jahren. Vermutlich wurde er in der alten Kapelle bestattet. Seine Grabstätte wurde jedoch auch in die Neubauten einbezogen und befand sich später im Kreuzgang des Klosters. 

History - Travel - Nature: Das vergessene Kloster Beerenberg, 2023. Ein Film von Gregor Bächi. Die Doku-Reihe gibt Einblicke in die Geschichte verschiedener Burgstätten und Ruinen in der Schweiz und anderen Teilen Europas. Weitere Filme sind auf dem YouTube-Kanal von History - Travel - Nature frei zugänglich. 

Ausbau zur Klosteranlage

Im Rahmen des Neubaus der sechsmal grösseren Klosterkirche wurde die ursprüngliche Einsiedlerkapelle abgetragen. Die neue Kirche hat eine Grundfläche von rund 480,5 Quadratmetern, was etwa der Grösse eines Handballfeldes entspricht. Im Vergleich zu anderen Klosteranlagen jener Zeit war die 1372 fertiggestellte Klosterkirche jedoch eher bescheiden. Das für den Bau benötigte Baumaterial wurde vermutlich von den umliegenden Hängen südwestlich der Anlage gewonnen.

Architektonisch handelt es sich um ein dreischiffiges Langhaus, das ohne Querschiff sowohl die Klosterkirche als auch den Chor im Osten aufnimmt. Das Kloster hat Pultdächer und verfügt über ein kleines Glockentürmchen, das die innere Abtrennung zwischen Chor und Laienschiff markiert. Im Innern folgt die Abtrennung durch einen fünfjochigen Lettner.

Klausur

Die Klosterkirche erhielt an der Nordseite eine Klausur mit Kreuzgang. Dabei bezogen die Bauenden die bereits bestehenden Wohngebäude ein. In der Klausur lebten die Mönche. Dort befanden sich ihre Schlafstätten, die Küche, die Bibliothek und das Klosterarchiv. Die Klausur diente auch als Bestattungsort. Im Laufe der Zeit erweiterten die Verantwortlichen die Anlage mit weiteren Wirtschaftsgebäuden. Ausserhalb der Klausur standen Häuserzeilen, die zur Beherbergung von Gästen und möglicherweise auch von kranken Personen dienten. Eine nahegelegene Badestube deutet auf eine mögliche medizinische und therapeutische Nutzung hin.

Leben im Kloster

Im Kloster Mariazell auf dem Beerenberg zogen nach 1400 vermehrt Personen aus wohlhabenden Winterthurer Familien ein. Diese waren jedoch weniger religiös als ihre Vorgänger, was die monastische Disziplin beeinträchtigte. So wählten die Anwesenden beispielsweise 1406 den Winterthurer Heinrich Rossnagel zum Prior, obwohl er kurz zuvor in einen Erbschaftsstreit verwickelt war und sich wegen «Frävel und Unzucht» verantworten musste. Durch die Anwesenheit der Winterthurer entstand eine enge Verbindung zwischen dem Beerenberg und der Herrenstube in der Altstadt. Dabei handelte es sich um eine Trinkstubengesellschaft, in der sich Adelige und Geistliche austauschten und vernetzten.

Krisenzeit und Niedergang

1482 geriet das Kloster Mariazell in eine Krise, nachdem der Steigherrenorden aufgehoben wurde. Um das Kloster zu retten und die zunehmende Verweltlichung zu stoppen, unterstellten die Zürcher Landesherren das Kloster der Windesheimer Kongregation. Mit der Unterstützung von Mönchen aus anderen Regionen sollte das Kloster reformiert und die Klosterdisziplin wiederhergestellt werden. Dieser Reformversuch stiess jedoch auf erbitterten Widerstand der Winterthurer Chorherren und scheiterte schliesslich. Um 1500 dominierten die Winterthurer wieder das Kloster. Das Ende des Klosters besiegelte schliesslich die Reformation: 1527 wurde der Konvent aufgelöst und die Klosteranlage verkauft. Das Schicksal der letzten Mönche ist, mit Ausnahme von Dionysus Goldschmid, der heiratete, nicht bekannt.

Hans Steiner, Müller und Gerichtsherr von Pfungen und Wülflingen, kaufte daraufhin die gesamte Anlage. Das Kloster wurde jedoch nicht mehr unterhalten und dem Verfall preisgegeben. Auf Ansichten und Zeichnungen aus dem späten 16. Jahrhundert wird die Anlage bereits als Ruine dargestellt. Schliesslich nutzten die Menschen die Anlage bis ins 19. Jahrhundert als Steinbruch und trugen sie sukzessive ab, bis nur noch wenige Überreste vorhanden waren.

Archäologische Fundstätte

1922 kaufte der Verkehrs- und Verschönerungsverein Winterthur die Anlage um sie vor der kompletten Zerstörung zu retten.  Um die verbleibenden Spuren zu erhalten, liess der Verein die Klosterstelle mit Erde überdecken und erarbeitete verschiedene Projekte und Pläne für ihre Erforschung. Diese liessen sich jedoch nicht sofort umsetzen. Erst mit der zunehmenden Professionalisierung der Archäologie und der Stärkung des Denkmalschutzes kam 1958 Bewegung ins Spiel. Der damalige Kantonsarchäologe Walter Drack setzte sich auf Bitten des Verschönerungsvereins beim Stadtrat für die wissenschaftliche Erforschung der Klosterruine ein. Dennoch verzögerte sich das Vorhaben wegen finanzieller und personeller Probleme weiter. Erst 1970 konnten die umfangreichen Ausgrabungen beginnen. Ziel der bis 1973 dauernden Grabungskampagne war es, die gesamte Anlage zu erfassen. Nach Abschluss der Arbeiten stellte der Bund die Anlage unter Schutz. Bis 1974 fanden daraufhin Massnahmen zur Konservierung statt. Ein grosser Teil des Wissens über das Kloster Beerenberg stammt von den erwähnten Ausgrabungen. Die Anlage wurde nach Abschluss der Arbeiten wieder teilweise zugedeckt und etablierte sich bald als beliebtes Ausflugsziel.

Von 2009 bis 2010 fanden im Auftrag der Stadt umfangreiche Sanierungs- und Bestandssicherungsarbeiten statt. In diesem Zusammenhang führten Fachpersonen archäologische Nachuntersuchungen durch. Dabei konnte das Grab des um 1372 verstorbenen Klostergründers Heinrich Linz freigelegt werden. Im Jahr 2011 gab der Schweizerische Burgenverein eine umfassende Neuauswertung und Würdigung der Klosteranlage heraus. Über die Ergebnisse der Auswertungen und die Geschichte des Klosters informieren nun vor Ort verschiedene Informationstafeln.

Bären oder Beeren auf dem Berg?

In den Quellen des 14. Jahrhunderts ist konsequent vom Kloster am «Berenberg» die Rede. Das Wort leitet sich vermutlich von «Bärenberg» ab und hat nichts mit Waldbeeren zu tun. In jüngerer Zeit hat sich jedoch «Beerenberg» durchgesetzt.


Benutzte und weiterführende Literatur:

Cavegn, Lucia: Heiliges Winterthur: sakrale Orte im vorreformatorischen Winterthur, Winterthur 2020.
Schmaedecke, Felicia: Das KLoster Mariazell auf dem Beerenberg bei Winterthur. Neuauswertung der Ausgrabungen 1970–1972 im ehemaligen Augustiner-Chorherrenstift, Basel 2011 (Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters Bd. 38).
Ziegler, Peter: Zur Baugeschichte der Klöster Beerenberg und Heiligberg bei Winterthur, 1968.
Largiadèr, Anton: Zur Geschichte des Augustiner-Chorherrenstiftes Mariazell auf dem Beerenberg bei Winterthur, Zürich 1965.
Dejung, Emanuel: Das Kloster Mariazell auf dem Beerenberg bei Wülflingen, Winterthur 1934.

Bibliografie

    Heiligberg, Chorherrenstift

    • Einträge ab 2011

      Widmer, Urs: Heiligberg. In: Dokumentation Urs Widmer, Firmen A-Z, Diverse Themen A-Z 5 S.

      Einträge 1991–2010

      In: Erwin Eugster. Adlige Territorialpolitik in der Ostschweiz... Zürich, 1991.
      In: Roger Sablonier. Inventar spätmittelalterlicher Wirtschafts- und Verwaltungsquellen im Staatsarchiv des Kantons Zürich. Zürich, 1990.
      Abbruch uf em Häiligberg: Landbote 1992/73 von Sumervogel


Autor/In:
Nadia Pettannice
Letzte
Bearbeitung:
30.12.2024