Ende Oktober 1970 weihte die Stadt Winterthur das renovierte Rathaus ein, und am 9. November hielt der Grosse Gemeinderat seine erste Sitzung im neuen Ratssaal ab.
Mehr als die politischen Geschäfte an diesem Abend interessieren beim Blick auf die Fotografie aus dem Ratssaal die Besucherplätze: Sie sind bis auf den letzten Platz besetzt – fast ausnahmslos mit Frauen. Diese grosse Präsenz dürfe «als ein erfreuliches Zeichen der wachsenden Anteilnahme des zarten Geschlechts an den politischen Fragen und Aufgaben unserer Gemeinde gewertet werden», schrieb der «Landbote» am nächsten Tag dazu. Das ist ein grosses Geschwafel, denn eigentlich sollten damals bereits auch Frauen in den Reihen der Räte sitzen: Ende 1969 hatten die Winterthurer dem Wahlrecht für Frauen auf Gemeindeebene deutlich zugestimmt. Mit einer juristischen Finte verhinderte aber eine Gruppe von Ewiggestrigen, dass Frauen bei den Gemeinderatswahlen im Frühjahr 1970 kandidieren durften. Daher mussten sie sich im November im neuen Ratssaal mit der Tribüne begnügen – aber dort zeigten sie demonstrativ Präsenz. Sie setzten damit auch ein Zeichen für die Abstimmungen über das Frauenstimmrecht auf kantonaler Ebene, die unmittelbar bevorstand, und auf nationaler Ebene im Februar 1971. Beiden Vorlagen stimmten die Winterthurer Männer klar zu. Bis die zwei ersten Winterthurerinnen in den vorderen Reihen im Ratssaal Platz nehmen durften, dauerte es aber noch bis 1974.