Kirchengebäude

Neuwiesenhof

Wartstrasse 13 bis 17

Ab 1892 bis zu seinem Verkauf im Jahr 2002 diente der Neuwiesenhof als Vereinshaus der katholischen Kirche in Winterthur. Ursprünglich war der Neuwiesenhof nur als Unterkunft für Gesellen geplant. Das Angebot wurde jedoch bald ausgeweitet: Neben den Gastzimmern beinhaltete es das Restaurant Neuwiesenhof, einen grossen Saal für Vereinsanlässe, Zimmer für die Ordensschwestern, die bei der Hausführung halfen, und einen Kindergarten. Im Jahr 2002 verkaufte die die römisch-katholische Kirchgemeinde die Liegenschaft an den Winterthurer Architekten Giovanni Cerfeda, der sie zu einem Kulturbetrieb umfunktionierte.


Baujahr
1864


Adresse
Neuwiesenhof
Wartstrasse 15
8400 Winterthur

In den 1920er-Jahren nutzte die römisch-katholische Kirchgemeinde das Katholische Vereinshaus rege für Veranstaltungen. Auch zahlreiche katholische Vereine organisierten dort ihre Aktivitäten. Foto: winbib (Signatur 062394)

Baugeschichte

Die Häuser an der Wartstrasse 13 bis 17 wurden 1864 unter dem Bauherrn Friedrich Ludwig Imhoof-Hotze errichtet. Die vierstöckigen Gebäude sind im Stil der Spätrenaissance gestaltet und weisen Stichbögen im Erdgeschoss auf. 1895 wurde auf der Rückseite der Häuser 15 und 17 ein grosser Saal angebaut.

Nach dem Verkauf der Liegenschaft an den Winterthurer Architekten Giovanni Cerfeda wurden ab 2005 schrittweise sanfte Renovationen geplant, die jedoch oft erst mit einigen Jahren Verspätung umgesetzt wurden.

Katholisches Vereinshaus Neuwiesenhof

Ab 1868 hatte die katholische Bevölkerung von Winterthur mit St. Peter und Paul wieder eine Kirche, und zum ersten Mal seit der Reformation konnten wieder regelmässig katholische Gottesdienste gefeiert werden. Bald wuchs auch die Nachfrage nach geselligen Anlässen, doch es fehlte der Raum dafür. 1892 kaufte Pfarrer Johann Theodor Meyer (zu Beginn noch Pfarrhelfer) die Häuser an der Wartstrasse 15 und 17. Die Gelder stellte ein zu diesem Zweck eröffneter Fonds zur Verfügung. 1900 wurde zum Unterhalt der Räume ein Verein gegründet mit dem Zweck «die nötigen Räumlichkeiten und Einrichtungen für das katholische Vereinsleben, für charitative und christlich-soziale Tätigkeit» zu gewährleisten. 1905 konnte auch das Haus an der Wartstrasse 13 dazugekauft werden.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es in der Stadt Winterthur ein sehr aktives katholisches Vereinsleben. Und fast alle Veranstaltungen der katholischen Kirchgemeinde Winterthur fanden im Neuwiesenhof statt. Die Liegenschaft blieben jedoch bis in die 60er-Jahre im Besitz des Vereins, dessen Präsident der Pfarrer der Kirche St. Peter und Paul war. Die Kirchgemeinde hatte kein Mitspracherecht bei der Leitung. Erst 1968 ging der Neuwiesenhof in den Besitz der römisch-katholischen Kirchgemeinde Winterthur.

Wie soll das Vereinshaus geführt werden?

Im Vereinshaus Neuwiesenhof hatten katholische Vereine bei der Miete Vorrang. Andere Mietende mussten sich an die strengen sittlichen Regeln des Vereins halten. So mussten zum Beispiel Theaterstücke von nicht-katholischen Vereinen zuerst vom Vorstand genehmigt werden. Im Mietvertrag mit dem Gastwirt des Restaurants Neuwiesenhof wurde festgelegt, dass «Versammlungen, Anlässe, Vorträge und Aufführungen, welche gegen Sitte und Religion verstossen» nicht geduldet werden. In linken Kreisen wurde der Neuwiesenhof deshalb auch «Vatikan» genannt.

Die Diskussion, wie streng oder liberal katholisch das Vereinshaus geführt werden soll, führte manchmal zu speziellen Kompromisslösungen zwischen dem Neuwiesenhof und dem Bistum. So gewährte der Bischof dem Vereinshaus im Jahr 1902 einen Dispens, um in der Fastenzeit Fleisch anzubieten. Im Gegenzug erwartete man jedoch «Almosen» für die Restauration der Kathedrale in Chur. 1924 zeigte man sich weniger kompromissbereit. Der Neuwiesenhof erhielt vom Bischof eine Rüge, weil er an einem Sonntag einen Tanzanlass veranstaltete.

Kleinkinderschule

Schon seit 1895 gab es im Neuwiesenhof eine Kleinkinderschule. Diese entstand aus einer Initiative des Pfarrhelfers und späteren Pfarrers Johann Theodor Meyer. Der Frauen- und Töchterverein St. Peter und Paul war für die Finanzierung zuständig. Zuerst führten Ordensschwestern aus dem Kloster Ingebohl den Kindergarten, ab 1922 übernahmen Schwestern aus Baldegg die Aufgaben. Der Kindergarten war sehr erfolgreich; zeitweise wurden bis zu 80 Kinder gleichzeitig unterrichtet. 1957 wünschten die Baldegger Schwestern, die Anzahl Kinder auf 40 zu reduzieren. Bereits ein Jahr später wurde diese Höchstzahl auch vom Schweizerischen Kindergartenverein vorgeschrieben. Der Kindergarten musste 1968 geschlossen werden, weil die Ordensschwestern ins Mutterhaus zurückberufen wurden.

Nutzungen in jüngerer Zeit bis zum Verkauf

Mit der zunehmenden Individualisierung nach dem Zweiten Weltkrieg und der öffentlich-rechtlichen Anerkennung der römisch-katholischen Kirche im Kanton Zürich im Jahr 1963 begann die katholische Sondergesellschaft, in der Mehrheitsgesellschaft aufzugehen. Dies zeigte sich auch an den abnehmenden Vereinsaktivitäten. Der Saal wurde weiterhin für Kulturveranstaltungen genutzt, darunter auch regelmässig Konzerte Viktor Giacobbo sammelte hier mit seiner Band Stuzzicadenti Ende der 1970er-Jahre erste Bühnenerfahrungen, und 1979 fand ein Konzert der Hardrockband Krokus statt.

Ende der 1990er-Jahre waren im Neuwiesenhof Sozialwohnungen und eine von Ordensschwestern geführte italienische Kindertagesstätte, das «Asilo Italiano» (heute: «Kindertagesstätte Pinocchio») untergebracht. Von 1999 bis 2003 war auch die Gassenstube von Max Zeller, ein Mittagstreff für randständige Personen, im Neuwiesenhof. Ein Teil der Liegenschaft stand leer oder wurde sporadisch für Tanzveranstaltungen und private Anlässe vermietet.

Im Jahr 1999 zeigte die Paulus-Akademie Interesse am Neuwiesenhof, weil der Platz am vorherigen Standort in Zürich zu eng wurde. Nach längeren Verhandlungen und Abklärungen verworfen die Verantwortlichen den Plan im Sommer 2001.

Im Jahr 2002 verkaufte die römisch-katholische Kirchgemeinde Winterthur den Neuwiesenhof an den Winterthurer Architekten Giovanni Cerfeda.

Der Neuwiesenhof seit 2002

Giovanni Cerfeda plante, den Neuwiesenhof sanft zu renovieren und aus dem Saal einen Kulturort zu schaffen, verbunden mit einem kleinen Gastronomiebetrieb. Im Obergeschoss sollten günstige Stadtwohnungen entstehen. Die italienische Kindertagesstätte darf bleiben.

Erst Mitte 2005 wurden die dringend nötigen Renovationsarbeiten an der Fassade in Angriff genommen. 2006 kam es zu einer weiteren Verzögerung, weil sich der Architekt und die Stadt nicht auf die Fenster einigen konnten. Cerfeda liess originalgetreue Holz-Metall-Fenster nachbauen, der städtische Bauausschuss bestand jedoch für die Kernzone auf Holz-Fenstern. Die kantonale Baurekurskommission bewilligte 2008 die Holz-Metall-Fenster.

Dann geschah wieder lange nichts.  Am 2. November 2009 versprach Cerfeda im Landboten: «Anfang nächsten Jahres will ich vorwärtsmachen, dann sind meine Arbeitsequipen nicht mehr mit den Neubauten beschäftigt.» Als die Sanierung im Sommer 2011 noch nicht weiter fortgeschritten war, sah sich Cerfeda der Kritik ausgesetzt, die Häuser verlottern zu lassen. Die beiden äusseren Gebäude sind zu dieser Zeit vermietet oder werden für Anlässe oder Ausstellungen zwischengenutzt. Bei der Nummer 15 werden Böden und Wände sanft renoviert.

Ab Herbst 2013 war nur noch die Kindertagesstätte Pinocchio in der Liegenschaft eingemietet, während die anderen Räume leer standen. Die Wohnungen in den oberen Stockwerken wurden 2014 renoviert. Im Erdgeschoss, wo sich der Saal und die Küche befinden, wurde vorerst nichts verändert. Nur die Bühne erhielt eine neue Ton- und Lichtanlage, damit Veranstaltungen stattfinden konnten. Ab Herbst 2015 plante Giovanni Cerfeda zusammen mit dem Musiker Andres Valer als Kulturmanager und Geschäftsleiter «ein, zwei Jahre Probelauf» eines Kulturbetriebs mit Angeboten für die Altersklassen 40+ und 50+, bevor auch der Saal und das Restaurant renoviert werden sollten. Seither finden im Neuwiesenhof öffentliche und private Veranstaltungen statt. 2020 wurde das Dachgeschoss ausgebaut. 2021 erhielt die Eventlocation beim Swiss Location Award mit 8.1 Punkten das Gütesiegel «ausgezeichnet».


Benutzte und weiterführende Literatur

Dubach, Seline: Kulturraum im Wandel der Zeit. In: Coucou – Kulturmagazin, No. 51, 03/2017, S. 18-21.
Dworschak, Helmut: Traditionsreiches Theater auf Standby. In: Der Landbote, 28.10.2015.
Plüss, Mirko: Leben in der Parallelgesellschaft. In: Der Landbote, 20.11.2012.
Niederhäuser, Peter: Von der Diaspora zur Ökumene. 150 Jahre römisch-katholische Kirchgemeinde Winterthur, Winterthur 2012.
Leutenegger, Marc: Architekt Cerfeda kontert Kritik. In: Der Landbote, 08.09.2011.
Scholz, Michael: Neuwiesenhof wartet weiter auf Belebung. In: Der Landbote, 02.11.2009.
Scholz, Michael: Neuwiesenhof: Stadt verzichtet auf Weiterzug. In: Der Landbote, 05.05.2008.
Scholz, Michael: Ein Streit um die Fenster im Neuwiesenhof. In: Der Landbote, 04.02.2008.
Denkmalpflege der Stadt Winterthur (Hg.): Schutzwürdige Bauten der Stadt Winterthur, Winterthur 2006. S. 101.
Walter, Niels: Neuwiesenhof wird verkauft. In: Tages-Anzeiger, 31.08.2002.
Ibscher, Lisa: Neubau bevorzugt. In: Tages-Anzeiger, 06.01.2001.
Hauser, Andreas: INSA. Inventar der neueren Schweizer Architektur 1850-1920. Sonderpublikation aus Band 10. Winterthur. Architektur und Städtebau 1850-1920, Winterthur, 2001. S. 161.

Bibliografie

    Römisch-Katholische Kirchgemeinde Winterthur-Stadt. Marienheim, Wartstrasse 11-17

    • Einträge 1991–2010

      Projekt: Winterthurer Arbeiterzeitung 1992/251, 253


Autor/In:
Sarah Schmidt
Letzte
Bearbeitung:
25.01.2025