Religiöse Gemeinden

Römisch-katholische Kirchgemeinde Winterthur

In der protestantisch geprägten Stadt Winterthur des 19. Jahrhunderts waren katholische Gläubige in der Minderheit und vor allem unter den neu Zugewanderten zu finden. Am 10. August 1862 konnte der erste katholische Gottesdienst seit der Reformation gefeiert werden und am 13. Dezember desselben Jahres fand die konstituierende Versammlung der «katholischen Kirchgemeinde Winterthur» statt. 1868 baute man mit der Kirche St. Peter und Paul die erste katholische Kirche seit der Reformation auf Zürcher Gebiet. Zunächst bildeten die katholischen Gläubigen eine Sondergesellschaft. Erst der gesellschaftliche Wandel der Nachkriegszeit führte zu einer stärkeren Integration. Heute besteht die römisch-katholische Kirchgemeinde Winterthur aus acht Pfarreien.


Gründungsdatum
1863


Adresse
Römisch-katholische
Kirchgemeinde Winterthur
Laboratoriumstrasse 5
8400 Winterthur

Nach der Gründung der «Katholischen Kirchgemeinde Winterthur» stellte die Stadt ein Grundstück im neuen Quartier Neuwiesen für den Bau einer Kirche zur Verfügung. Die Kirche St. Peter und Paul wurde nach den Plänen des Stadtbaumeisters Wilhelm Friedrich Carl Bareiss gebaut und am 5. Juli 1968 eröffnet. Aquarell von Jakob Ziegler-Sulzberger aus dem Jahr 1867.
Bild: winbib (Signatur 062517_O)

Schwierige Anfänge

Der letzte katholische Gottesdienst vor der Reformation fand in Winterthur im Jahr 1524 statt. Danach war die Stadt protestantisch. Eine feste Niederlassung war für «Fremde» nicht möglich, darunter fielen auch Menschen jüdischen oder katholischen Glaubens. Erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts begann sich die Situation langsam zu ändern. Im 19. Jahrhundert gab es im Kanton Zürich mehrere Petitionen von katholischen Gläubigen, mit der Bitte ihnen eine Kapelle für die Gottesdienste zur Verfügung zu stellen. Die Behörden lehnten die Anträge mit verschiedenen Begründungen ab. Einerseits sah man «kein dringend notwendiges Bedürfnis», andererseits warf man den katholischen Gläubigen wegen ihrer Romtreue fehlende Verbundenheit mit der Eidgenossenschaft vor.

Im Frühling 1860 reichte ein auf die Empfehlung des Churer Weihbischofs gegründetes Initiativkomitee eine weitere Petition beim Stadtrat von Winterthur ein. Die Petitionäre argumentierten, dass mittlerweile 500 Personen und damit knapp 5 Prozent der Winterthurer Bevölkerung katholischen Glaubens seien. Zudem verfügten sie über ein Startkapital von 4'000 für die Finanzierung von Gottesdiensten. Der Stadtrat lenkte ein, knüpfte aber seine Zustimmung an die Bedingung, dass zuerst eine staatlich anerkannte «kirchliche Kooperation» gegründet werden müsse. Am Palmsonntag 1862 versammelte sich die «katholische Kirchgemeinde Winterthur» zum ersten Mal im Betsaal in der Alten Kanzlei. Für die offizielle Gründung fehlte jedoch noch die Genehmigung des Stadtrates. Diese erfolgte erst am 13. Dezember 1863. An dieser konstituierenden Sitzung waren von den 114 stimmberechtigten Katholiken Winterthurs 66 anwesend.

Die Stadtregierung unterstützte die junge Kirchgemeinde, war jedoch nicht bereit, den (protestantischen) Betsaal dauerhaft kostenlos für katholische Gottesdienste zur Verfügung zu stellen. Deshalb legte sie bereits am 20. Juni 1862 einen provisorischen Standort für eine katholische Kirche fest und zwar mitten im neuen Stadtviertel Neuweisen, wo auch die meisten zugewanderten Menschen lebten. Was jetzt noch fehlte war ein Geistlicher, der regelmässig Gottesdienst halten konnte – am liebsten unentgeltlich. Nach mehreren Absagen aus verschiedenen Klöstern konnte am 10. August 1862 endlich der erste katholische Gottesdienst in Winterthur seit der Reformation gefeiert werden. Und als der Kanton der neuen Kirchgemeinde wertvolle liturgische Gegenstände aus dem verstaatlichten Kloster Rheinau schenkte, waren die wichtigsten Grundsteine gelegt.

Städtebauliche Ambitionen und die Kirche St. Peter und Paul

Die Suche nach einem repräsentativen Ort für die erste katholische Kirche in Winterthur seit der Reformation gestaltete sich einfach, da die Stadt zur gleichen Zeit hinter dem 1855 eröffneten Bahnhof eine «Neustadt» ausserhalb der alten Stadtmauern schaffen wollte. Dies war der Beginn des Neuwiesenquartiers. Die Kirche sollte in diesem neuen Quartier als erstes öffentliches Gebäude eine besondere Stellung einnehmen.

Die Kirche sollte die grosszügige Religionspolitik der Stadt zum Ausdruck bringen. Stadtpräsident Johann Jakob Sulzer bat den Architekten Gottfried Semper um einen Bauplan. Dieser reichte wenig später einen Entwurf ein obwohl er gleichzeitig mit der Planung des Winterthurer Stadthauses beschäftigt war. Der Entwurf von Semper war ein monumentaler italienischer Zentralbau im Stil der Neorenaissance. Die Kosten für den Bau betrugen jedoch 200'000 Franken (ein einfacher Arbeiter verdiente damals etwa 1'000 Franken pro Jahr). Deshalb musste die Kirchgemeinde beim Kanton um zusätzliche finanzielle Hilfe anfragen. Der Regierungsrat bezweifelte, dass dieses Bauprojekt «für die Verhältnisse der dortigen katholischen Gemeinde passe» und wollte nur einen Viertel der Kosten übernehmen.

Im Juni 1865 stellte man der Öffentlichkeit das Projekt von Semper sowie weitere sechs Projekte vor. In der Kirchenpflegeversammlung vom 10. September 1865 entschied man sich für den Plan des Stadtbaumeisters Wilhelm Friedrich Carl Bareiss, der sich an einer spätmittelalterlichen Stadtkirche orientierte. Im Protokoll wurden folgende Gründe für den Entscheid genannt: «die Vorzüge des niedrigsten Preises, eines rein durchgeführten gotischen Styles, des richtigen Verhältnisses der Dimensionen, genügenden Raumes für 500 Sitz- & 500 Stehplätze & zweckmässiger Einteilung im Innern». Die Bauarbeiten begannen im Herbst 1865 und bereits am 5. Juli 1868 konnte die Kirche, deren Patrone die Heiligen Peter und Paul waren, eröffnet werden.

Das «Katholische Milieu» in Winterthur

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich aus der kleinen katholischen Minderheit eine grosse Gemeinschaft. Dieses Wachstum zeigte sich in der Gründung von zahlreichen katholischen Vereinen und Interessengruppen. 1906 wurde die Christlich Soziale Partei (CVP) Winterthur gegründet und ab 1921 erschien mit der «Hochwacht» täglich eine katholische Zeitung. Ziel dieser Gruppierungen und Organisationen war es, sich gegen die moderne Gesellschaft zu behaupten, deren Liberalismus und Sozialismus als gefährlich für das Seelenheil galt. Auch sorgte man sich darum, dass bei gemischtkonfessionellen Ehen die Kinder mehrheitlich protestantisch erzogen wurden. Besonders kämpferisch traten die Stadtpfarrer Johann Theodor Meyer (1901–1929) und Anton Mächler (1929–1955) auf. Pfarrer Mächler schrieb in einem Bericht: «Unsere katholische Bevölkerung setzt sich vorwiegend aus Arbeitern, Handwerkern und kaufmännischen Angestellten zusammen, daher ist die Pfarrei der Gefahr des Sozialismus sehr ausgesetzt, der in Winterthur, der Industriestadt, starke Wurzeln gefasst hat.»

In den 1930er-Jahren gab es im Umfeld der Kirche St. Peter und Paul über zwei Dutzend Vereine sowie ein weiteres Dutzend politische und gewerkschaftliche Organisationen. Die Geistlichen forderten die Gläubigen auf, diese Organisationen zu unterstützen und ihre sozialen Kontakte hauptsächlich auf das katholische Milieu zu beschränken. Wie in den nicht-religiösen Vereinen dieser Zeit versuchte man die Mitglieder mit Fahnen, Musik und Gemeinschaft enger einzubinden.

Als Zuhause für viele Aktivitäten diente ab 1892 das Katholische Vereinshaus an der Wartstrasse 13-17, der «Neuwiesenhof». Dieses wurde von einem Verein unterhalten, dessen Präsident der jeweilige Stadtpfarrer war. Katholische Vereine hatten bei der Miete Vorrang. 1968 ging der Neuwiesenhof in den Besitz der römisch-katholischen Kirchgemeinde Winterthur, 2002 wurde er an den Winterthurer Architekten Giovanni Cerfeda verkauft.

Ein Zeichen für das wachsende Selbstbewusstsein der katholischen Minderheit in Winterthur waren die öffentlichen Fronleichnamsprozessionen. Die erste fand 1919 statt. Vergleichbare Prozessionen gab es damals im protestantischen Kanton Zürich nur in Rheinau und Dietikon, in allen anderen katholischen Pfarreien wurde das Fest in der Kirche gefeiert. Bereits bei der ersten Prozession nahmen beinahe die Hälfte aller Katholik:innen in Winterthur teil und der Anlass wurde zur festen Tradition im Kirchenjahr – der Tag, an dem man den katholischen Glauben öffentlich demonstrieren konnten. So berichtete die Volkszeitung vom 11. Juni 1920: «Es ergeht den Prozessionsteilnehmern wie patriotischen Soldaten in der Nähe des Feindes: sie fühlen sich durch die gleichen Ideale, durch Bande der nämlichen Liebe verbunden zu einer mächtigen Einheit vereint.»

Die Entstehung der weiteren Pfarreien im Überblick

Als im Rahmen der Industrialisierung vermehrt katholische Arbeiterfamilien nach Winterthur und in die anfangs noch selbstständigen Dörfer um die Stadt zogen, entstand das Bedürfnis nach weiteren Kirchengebäuden und unabhängigen Pfarreien. Der Weg nach St. Peter und Paul war ziemlich weit – sowohl für die Gläubigen beim Gottesdienstbesuch am Sonntag als auch für die Priester, die in den Aussenbezirken Religionsunterricht erteilten.

1914 wurde mit St. Josef in Töss die erste Tochterpfarrei gegründet. In den 30er-Jahren folgten die Kirchen Herz Jesu in Mattenbach (1934) und St. Marien in Oberwinterthur (1936). Die Kirche St. Laurentius in Wülflingen wurde 1959 gebaut, St. Ulrich im Rosenberg 1972 und in Seen entstand 1974 St. Urban, die jüngste Kirche Winterthurs. Eine achte Pfarrei ohne eigenes Kirchengebäude ist die Pfarrei San Francesco für italienischsprachige Katholik:innen, deren Ursprünge bis ins Jahr 1946 zurückreichen, als sie noch «Italienische Katholische Mission» hiess.

Vom Neben- zum Miteinander

Im Sommer 1963 erliess der Kanton Zürich ein neues Kirchengesetz. Darin wurden die Evangelisch-reformierte Landeskirche, die Römisch-katholische Körperschaft und die Christkatholische Kirchgemeinde öffentlich-rechtlich anerkannt. Winterthur sollte ursprünglich in fünf Kirchgemeinden eingeteilt werden. Da dies jedoch zu Schwierigkeiten bei der Aufteilung von Vermögen und Schulden geführt hätte, blieb man trotz der Grösse bei einer Kirchgemeinde. Mit der staatlichen Anerkennung der «Römisch-katholischen Kirchgemeinde Winterthur», die am 1. Januar 1964 rechtsgültig wurde, wurden auch eine neue Gemeindeordnung, eine grössere Kirchenpflege und eine hauptamtliche Verwaltung eingeführt. Zudem erhielten Frauen das Stimm- und Wahlrecht.

Die römisch-katholische Kirchgemeinde heute

Die Kirchgemeinde Winterthur ist die grösste katholische Kirchgemeinde im Kanton Zürich. Sie bildet das organisatorische Dach über den sieben lokalen Pfarreien und der «Missione Cattolica di Lingua Italiana» (San Francesco), die keinen festen Standort hat. Die Kirchgemeinde als gemeinsame Dachorganisation vereinfacht die Koordination oder Zusammenlegung von Aktivitäten, wenn Pfarreien aufgrund fehlender finanzieller oder personeller Ressourcen Unterstützung benötigen. Auch können pfarreiübergreifende Aufgaben, wie der Internetauftritt, zentral koordiniert werden.


Benutzte und weiterführende Literatur

Weber, Markus: Sakrales Zürich. 150 Jahre katholischer Kirchenbau im Kanton Zürich, Ruswil 2018.
Niederhäuser, Peter: Von der Diaspora zur Ökumene. 150 Jahre römisch-katholische Kirchgemeinde Winterthur, Winterthur 2012.
Plüss, Mirko: Leben in der Parallelgesellschaft. In: Der Landbote, 20.11.2012.
Niederhäuser, Peter; Pescatore, Flurina: St. Peter und Paul. Die Mutterkirche von Katholisch-Winterthur, Winterthur 2006.

Bibliografie

    Katholische Kirchgemeinde Winterthur

    • Einträge 1991–2010

      Tellstrasse 11, Marienheim. Sanierung, und Wohnungen: Pfarreibulletin St.Peter und Paul 1991/25 m.Abb., 1994/35 Krypta, m.Abb., 1998/53 Einweihung, m.Abb. - Landbote 1993/45.
      25 Jahre Entwicklungshilfe: Landbote 1996/297 von Hildegard Zumstein, m.Abb.
      Pfarreiheim Laboratoriumsstrasse 5. Sanierung: Pfarreibulletin 1989/17, 1990/20, 1991/25. - Landbote 1997/40 m.Abb., 1998/127 Kunst am Bau.
      Verkauf Tellstrasse 15: Landbote 1999/131.
      Missione cattolica italiana. Amtsenthebung Don Carlo Pepe: Pfarreibulletin 1999/54.
      Nur 2 Pfarreien eigener Pfarrer: Landbote 2000/73.
      Minis-Fest [Schweizer und Liechtensteiner Ministranten]: Landbote 2002/202 1Abb. - Tages-Anzeiger 2002/202 1Abb.
      Neuer Gottesdienst: Landbote 2005/62.
      Generalabsolution. Weiterführung: Landbote 2009/22.
      Vinzenzverein. 111 Jahre: Pfarreibulletin St. .Peter und Paul 2010/98.
      Erste Pfarrerwahl "in solidum" (für mehrere Pfarreien): Pfarreibulletin St. Peter und Paul 2010/98.
      150 Jahre St. Peter und Paul 2012: Pfarreibulletin 2010/98

    150 Jahre Römisch-katholische Kirchgemeinde Winterthur

    • Einträge ab 2011

      Peter, Niederhäuser: Von der Diaspora zur Ökumene. 150 Jahre Römisch-katholische Kirchgemeinde Winterthur und Pfarrei St. Peter und Paul. Zürich 2012. 151 S., ill.
      Sagegese, Christian: Traditionell und doch aktuell: die römisch-katholische Kirchgemeinde Winterthur wurde vor 150 Jahren gegründet. In: Winterthurer Stadtanzeiger, 27. März 2012, S. 3.

    Katholische Kirchgemeinde Winterthur. Geschichte

    • Einträge 1991–2010

      Kulturkampf, in: Max Stierlin. Die Katholiken im Kanton Zürich 1862-1875 im Spannungsfeld zwischen Eingliederung und Absonderung. Zürich, 1996.
      Den "Glauben vor aller Öffentlichkeit bekennen". Das Winterthurer Fronleichnamsfest als Manifestation des Diasporakatholizismus, von Peter Niederhäuser, in: Fremd in Zürich, fremdes Zürich, Migration, Kultur und Identität im 19. und 20. Jh. Mitt. der Antiqu.Ges. in Zürich, 2005/72.
      Wie die Winterthurer Katholiken um Anerkennung kämpften: Winterthurer Jahrbuch 2007 von Peter Niederhäuser, m.Abb.


Autor/In:
Sarah Schmidt
Letzte
Bearbeitung:
12.03.2025