Kunst im öffentlichen Raum

Stolpersteine

Denkmal, Marktgasse 45

Die drei «Stolpersteine» erinnern an Therese, Bertha und Lina Levitus. Die Familie lebte zwischen 1893 und 1908 in Winterthur. Die Mutter und die Töchter verloren infolge der Ehescheidung das Schweizer Bürgerrecht und mussten später das Land verlassen. Im Jahr 1942 ermordeten die Nationalsozialisten sie in den Konzentrationslagern Theresienstadt und Auschwitz.


Baujahr
2022


Adresse
Marktgasse 45
8400 Winterthur

Auf den Messingplatten sind Eckdaten aus dem Leben der drei Frauen eingraviert, 2022.
Foto: winbib, Nadia Pettannice

«Stolpersteine» als grösstes dezentrales Mahnmal

Stolpersteine sind Betonwürfel, die mit kleinen Messingplatten versehen sind. Auf diesen Platten stehen die Namen von Opfern der nationalsozialistischen Diktatur. Die Steine werden in den Strassen vor den ehemaligen Wohnungen der betroffenen Personen eingelassen. Das Projekt startete 1992 der deutsche Künstler Gunter Demnig. Bis 2022 wurden über 90'000 Steine in 27 europäischen Ländern verlegt. Damit ist es das grösste dezentrale Mahnmal der Welt. Die Steinlegung in Winterthur geht auf die Initiative des Lokalhistorikers Miguel Garcia, des Historischen Vereins Winterthur, der Israelitischen Gemeinde Winterthur und dem Verein Stolpersteine Schweiz zurück. Diese wandten sich im Frühjahr 2021 mit ihrem Anliegen an den Stadtrat. Dieser bewilligte und unterstützte das Vorhaben. Die Steinsetzung fand am 31. August 2022 im Rahmen der Aktionswoche «für Respekt und Vielfalt!» statt. Neben Winterthur wurden in der Schweiz bereits in Zürich, Basel und Kreuzlingen Stolpersteine verlegt.

Das Leben und Schicksal der Familie Levitus

Therese Levitus wurde 1864 in Endingen (AG) geboren und gehörte zur weit verzweigten Familie Dreifuss. In Zürich lernte sie den aus Prag stammenden Händler Karl Levitus kennen, der sich gerade auf einer Geschäftsreise befand. Sie heirateten 1891. Durch die Heirat mit einem Ausländer verlor Therese Levitus ihr Schweizer Bürgerrecht und nahm die Staatsangehörigkeit ihres Mannes an. 1892 wurde ihre Tochter Frieda geboren. Nur ein Jahr später zog die kleine Familie nach Winterthur. Hier kamen Bertha, Lina, Martha und Edwin zur Welt. Die Familie zog innerhalb der Stadt mehrmals um, bis sie sich schliesslich an der Marktgasse 45 niederliess.

Bald trennte sich das Ehepaar, und Karl Levitus wanderte in die Vereinigten Staaten aus, wo er bis zu seinem Tod blieb. Unmittelbar vor seiner Ausreise erhielt Karl Levitus vom Bund die Erlaubnis, sich und seine Familie in der Schweiz einbürgern zu lassen. Ein Angebot, das er jedoch nicht annahm, was seiner Familie später zum Verhängnis werden sollte.

Prostitution und Ausweisungen

Therese Levitus zog 1908 mit ihren Kindern nach Zürich. Sie arbeitete dort als Näherin und führte ein kleines Geschäft. Zusätzlich vermietete sie Zimmer an Personen, die in der Prostitution tätig waren. Ihre erst 18- und 16-jährigen Töchter Lina und Martha wurden 1913 wegen Prostitution verhaftet. Kurze Zeit später brachte Martha das uneheliche Kind eines Freiers zur Welt. In der Folge wurden alle minderjährigen Kinder von Therese Levitus unter Vormundschaft gestellt. Die Behörden wandten sich unter Androhung einer Abschiebung der Kinder an den Vater. Dieser konnte sie jedoch wegen fehlender finanzieller Mittel nicht zu sich nehmen. 1915 beschloss die kantonale Polizeidirektion die Ausschaffung von Martha Levitus. Obwohl sie sich gegen den Entscheid wehrte, wurde die Ausschaffung vollzogen. Mithilfe des israelitischen Frauenvereins sorgte sie jedoch dafür, dass ihr uneheliches Kind nicht ausreisen musste. Es wurde später in der Schweiz zur Adoption freigegeben.

Nach der Ausschaffung reiste Martha wieder in die Schweiz ein und wurde 1922 erneut wegen Prostitution verhaftet und wieder ausgewiesen. Ihre Schwester Lina reiste nach mehreren Standortwechseln in der Schweiz ebenfalls aus dem Land aus. 1923 wurde Therese Levitus in Zürich wegen Zuhälterei in Haft gesetzt und nach der Freilassung gemeinsam mit ihrem Sohn Edwin ebenfalls ausgewiesen.

Deportation nach Theresienstadt und Auschwitz

Die Familie lebte danach in Prag und gehörte dort zur deutschsprachigen Minderheit. Nach der Besetzung durch die Nationalsozialisten versuchte die inzwischen verheiratete Bertha Weidler, nach Shanghai auszureisen. Das Vorhaben scheiterte jedoch. 1942/43 wurden die drei Frauen in die Vernichtungslager Theresienstadt und Auschwitz deportiert und ermordet. Das Schicksal von Martha Levitus ist nicht dokumentiert. Edwin überlebte den Krieg. Die Hintergründe seiner Rettung sind unbekannt. Ab 1946 war er in Frankreich registriert.

Als einzige Familienangehörige verblieb Frida Levitus in der Schweiz. Sie ging einer geregelten Arbeit nach und heiratete eine einheimische Person. Dadurch erhielt sie das Schweizer Bürgerrecht und lebte bis zu ihrem Tod 1972 in der Schweiz.


Benutzte und weiterführende Literatur:

Garcia, Miguel: Therese und Lina Levitus, Bertha Weidler, Therese Levitus, geb. Dreifuss (*1864), Bertha Weidler, geb. Levitus (*1893), Lina Levitus (*1895). Ermordet in Theresienstadt und Auschwitz, Verein Stolpersteine Schweiz 2022. (Text online als PDF)
Red.: Winterthur gedenkt mit drei Stolpersteinen jüdischer Familie, 84XO, 14.12.2021.
Von Wartburg, Deborah: Jetzt «stolpert» man in der Marktgasse über drei Mahnmale, Landbote, 01.09.2022.

Autor/In:
Nadia Pettannice
Letzte
Bearbeitung:
18.09.2024