Verkehr und Infrastruktur

Umfahrung Winterthur – Autobahn A1

Die 1968 eröffnete Umfahrung Winterthur gilt heute mit fast 100'000 Fahrzeugen pro Tag als eine der am stärksten belasteten Strecken im Nationalstrassennetz. Die Linienführung war bei der Planung so umstritten, dass der Bundesrat darüber entscheiden musste. Dem Ausbau auf sechs Spuren, wie ihn das Bundesamt für Strassen (Astra) vorsieht, hat die Stadt Winterthur 2022 ein Projekt mit einem Tunnel zwischen der Steigmühle und der Tössquerung in Wülflingen entgegengestellt.


Baujahr
1968


Viel Verkehr auf der Zürcherstrasse in Töss in den späten 1950er-Jahren
Foto: winbib (Signatur 081658)

Vorgeschichte und der Verkehrslinienplan von 1958

Schon 1935 und 1943 wurde eine Automobil-Umfahrungsstrasse für Winterthur diskutiert, im zweiten Fall verbunden mit einer vierspurigen Automobil-Fernverkehrsstrasse Zürich–Winterthur nach deutschem Vorbild. Erst in den 1950er-Jahren nahm die Idee konkrete Formen an. 1955 führte das Bauamt ausführliche Verkehrszählungen im gesamtenStadtgebiet durch. Diese bildeten die Grundlage für den «Verkehrslinienplan» von 1957/58, der die Verkehrsführung in Winterthur für die kommenden Jahrzehnte festlegte. Gleichzeitig plante eine eidgenössische Kommission ab 1954 ein schweizerisches Nationalstrassennetz, dessen Realisierung in einer nationalen Volksabstimmung 1958 mit grosser Mehrheit angenommen wurde.

Streit um die Linienführung

Beide Planungen sahen eine Umfahrung der Stadt Winterthur vor, um die städtischen Durchgangsachsen zu entlasten. Die Zürcherstrasse war gemäss den Verkehrszählungen von 1955 die meistbefahrene Strasse der Schweiz! Das Projekt der eidgenössischen Kommission sah eine Autobahn von Zürich über Kemptthal nach St. Gallen vor, die Winterthur in einem grossen Bogen nordwestlich umfahren sollte. Während der Stadtrat in der Detailplanung ab 1960 eine Variante durch das Schlosstal bevorzugte, setzte sich der Grosse Gemeinderat für eine etwas weiterführende Linienführung durchs Dättnau ein. Im April 1961 entschied der Regierungsrat zugunsten der Schlosstal-Variante. Im November 1962 bestätigte der Bundesrat diese Planung mit der Fortsetzung durch die Wülflinger Ebene und einem Einschnitt durch den Amelenberg.

Die Stadt Winterthur setzte sich vergeblich für eine Variante nördlich von Ohringen und vom Amelenberg durch Seuzacher Gemeindegebiet ein. Im April 1964 begannen die Bauarbeiten zwischen Töss und Wülflingen, zwei Jahre später zwischen Wülflingen und der Ruchegg, wo die Ausfahrt Oberwinterthur zu liegen kam. Der Eingriff in Landschaft und Siedlung war gewaltig, besonders in Töss , wo dem Anschlussbauwerk das traditionsreiche Hotel Krone, die beiden Kronenbrücken von 1850 und 1938 sowie ein idyllischer Abschnitt der Töss zum Opfer fielen. Der Bau der Umfahrung Winterthur geriet durch den spektakulären Einsturz der Tössbrücke bei Wülflingen am 27. Oktober 1966 national in die Schlagzeilen: Da das Stützgerüst der Belastung nicht standhielt, brach die Brücke mitten im Bau zusammen.

Eröffnung und baldige Überlastung

Am 19. September und 21. Dezember 1968 wurde die 12.7 km lange Autobahn zwischen den Ausfahrten Töss und Oberwinterthur in zwei Etappen dem Verkehr übergeben – vorerst noch ohne die Fortsetzung an beiden Enden. 1970 fand die Eröffnung der durchgehenden Autobahn A1 Winterthur–St. Gallen statt, und Ende 1974 wurde die Fortsetzung von Winterthur-Töss nach Zürich eröffnet. 1994 nahm man den Anschluss der Autobahn A4 nach Schaffhausen in Betrieb. Die Belastung der Zürcherstrasse in Töss ging mit der Eröffnung der Umfahrung zunächst markant zurück. Schon 1977 erreichte sie aber als Folge der allgemeinen Zunahme des Verkehrs wieder die Werte von 1965 und übertraf diese 1990 um ein Drittel.

Auch die Autobahn A1 weist stark steigende Verkehrszahlen auf: Von 1980 bis 2015 hat sich der Verkehr auf gegen 100'000 Fahrzeuge pro Tag annähernd verdreifacht; nur an sieben Tagen floss er 2014 staufrei. Mittlerweile zählt der Autobahnabschnitt rund um Winterthur zu den staureichsten in der ganzen Schweiz und übertrifft sogar den Gotthardtunnel. Das regionale Gesamtverkehrskonzept 2005 sah zur Entlastung der Autobahn und der Stadt eine zusätzliche Autobahn-Südostumfahrung Winterthurs unter dem Eschenberg vor. Diese sollte im Gebiet Neuhegi-Grüze den Anschluss ans städtische Strassennetz schaffen und dann mehrheitlich unterirdisch zur Autobahnausfahrt Oberwinterthur führen. Der Kanton nahm das Projekt jedoch nicht in seine Planung auf; in der Folge gab die Stadt es 2006 auf.

Ein Tunnel statt dem Ausbau auf sechs Spuren?

Im Programm des Bundes zur Beseitigung von Engpässen auf Nationalstrassen von 2014 ist der Ausbau der Umfahrung Winterthur auf sechs Spuren im zweiten Modul vorgesehen. Das generelle Projekt kann im Stand von 2022 frühestens 2023 dem Bundesrat zur Genehmigung vorgelegt werden. Der Baubeginn ist nicht vor 2032 und die Eröffnung frühestens 2039. Die Kostenschätzung von 2020 beläuft sich auf gut 1,2 Milliarden Franken. Das Projekt sieht eine oberirdische Linienführung mit verschiedenen Lärmmassnahmen vor.

Da das generelle Projekt des Bundesamts für Strassen von der Stadt Winterthur und vom Kanton Zürich abgelehnt wurde, stellte die Stadt Winterthur im April 2022 einen Gegenentwurf vor: Die Autobahn soll vom Dättnau bis zur Tössüberquerung bei Wülflingen in einem 2 Kilometer langen Tunnel geführt werden. Dies würde dem Stadtteil Töss ganz neue Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Am 6. Februar 2023 hat der Kantonsrat die Aufnahme dieser Tunnelvariante in den generellen Richtplan mit einer Zweidrittelsmehrheit unterstützt.


Schweizer Radio und Fernsehen (SRF): Umfahrung Winterthur (ab 02:35). Sendung Antenne vom 05.12.1968

Benutzte und weiterführende Literatur

Eugster, Emil (Hg.): Winterthurer Stadtgeschichte, Winterthur 2014, Bd. 2, S. 286-288.
Widmer, Urs: Von der Umgehungsstrasse zur N1, in: Winterthurer Jahrbuch 1993, S. 59-75.
Bundesamt für Strassen ASTRA (Hg.): Faktenblatt N01/48. Engpassbeseitigung Winterthur-Töss – Winterthur-Ost, 6 Spurausbau, April 2021. PDF, abgerufen am 08.03.2022.
Graf, Michael: Radikale Pläne für Töss: A1 in den Berg und S-Bahnhof Dättnau, in: Der Landbote, 14.04.2022, S. 2/3.
Graf, Michael: «Einmalige Chance»: Der Kantonsrat sagt Ja zum A1-Tunnel bei Töss, in: Der Landbote, 7.2.2023, S. 3.

Bibliografie

    A 1, Nationalstrasse. Umfahrung Winterthur. Sanierung

    • Einträge 1991–2010

      Sanierung; dreispurig: Tössüberdeckung bei Töss: Schw. Baublatt 1996/13 von Erich Suter, m.Abb., 1997/102 m.Abb. - Landbote 1994/18, 204 Lärmschutz, 1996/111 m.Abb., 1997/253 m.Abb., 1998/170. - Winterthurer Woche 1995/32 m.Abb. - Winterthurer Arbeiterzeitung 1996/111. - NZZ 1996/111 m.Abb. - Schweizer Ingenieur und Architekt 1997/6 Tössbrücke Bauwerk 13, m.Abb. - Schw. Baublatt 1997/102 m.Abb.
      Lärmgrenzwerte: Landbote 2002/222.
      Sechsspurig mit Pannenstreifen ? Tages-Anzeiger 2002/295.
      Überdachung ? Landbote 2003/207.
      Lärmarmer Belag: Landbote 2008/52 m.Abb.
      3. Spur ab 2013: Landbote 2008/167 1Abb.
      A 1 - A 7. Sanierung: Landbote 2009/40 m.Abb.
      Lärmschutz; Belalstung: Anträge, Anfragen und Interpellationen des Grossen Gemeinderates Winterthur 2009/9, 66.
      Asphalt-Recycling, Anlage: Landbote 2009/180 m.Abb. --

    A 1, Nationalstrasse. Umfahrung Winterthur (vorher N 1)

    • Einträge ab 2011

      Pettannice, Nadia: Winterthur und die A1. In: De Tössemer, November, 2024. S. 11. m.Abb.

      Einträge 1991–2010

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      Tempo 80 ? Landbote 1991/78.
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      Stadtrat fordert Sofortmassnahmen: Tages-Anzeiger 2001/90.
      Sanierung oder Umfahrung: NZZ 2001/168 S. 27 1Abb.
      Stau und Unfälle: Forderung nach Massnahmen: NZZ 2003/116 S. 43

    A 1, Nationalstrasse. Umfahrung Winterthur (vorher N 1). Tempo

    • Einträge 1991–2010

      Tempo 80 ? Landbote 1991/78.
      Tempo 100: Landbote 1992/139, 210, 238, 251 Rekurs, 1995/164. - Winterthurer Arbeiterzeitung 1992/211, 1993/194, 1994/167, 175. - NZZ 1992/252 S. 51. - Wülflinger Dorfspatz 1995/6.
      Tempo 100 zwischen Töss und Wülflingen: Landbote 2000/278

    A 1, Nationalstrasse. Umfahrung Winterthur (vorher N 1). Geschichte

    • Einträge ab 2011

      Langhart, Dieter: Wo der Pfaff seine Studen hat. In: Gallispitz, Nr. 4 (2014). S. 8-9. m. Abb.

      Einträge 1991–2010

      Winterthurer Jahrbuch 2004 von Matthias Erzinger, m.Abb.
      Autobahn A 1 prägt Winterthur: Landbote 2007/185 von Markus Binder, m.Abb.


Autor/In:
Andres Betschart
Letzte
Bearbeitung:
14.11.2024