Bildung und Soziales

Heinrich Morf

Pädagoge, Waisenvater (1818–1899)

Heinrich Morf (1818–1899) war Waisenvater in Winterthur und unermüdlicher Pestalozzi-Biograf. Dank den liberalen Schulreformen der 1830er Jahre konnte er trotz seiner einfachen Herkunft eine Ausbildung zum Sekundarlehrer absolvieren, wurde Seminardirektor und 1861–1893 Waisenvater. Für seine Pestalozzi-Biografie erhielt er 1890 den Ehrendoktortitel der Universität Zürich.


Sterbeort
Winterthur

Geburtsort
Nürensdorf

Geboren
06.09.1818

Gestorben
28.02.1899


Heinrich Morf war nicht nur Waisenvater, er war auch einer der ersten Sekundarlehrer im Kanton Zürich und einer der wichtigsten Pestalozzi-Biografen seiner Zeit. Um 1895,
Foto: winbib (Signatur 170451)

Kindheit und Jugend

Heinrich Morf wurde am 6. September 1818 als fünfzehntes Kind einer Bauernfamilie in Breite bei Nürensdorf geboren, das zu dieser Zeit an der Hauptverkehrsstrasse zwischen Bodensee und Genfersee lag. Wie zu dieser Zeit üblich, unterrichtete an der Dorfschule, die Morf ab 1824 besuchte, kein Lehrer die Kinder sondern ein pädagogisch nicht ausgebildeter Handwerker. Der Unterricht bestand zu einem grossen Teil aus Auswendiglernen und fand vor allem im Winterhalbjahr statt. Dank der liberalen Schulreform der 1830er Jahre konnte der wissbegierige junge Heinrich Morf in eine der neu gegründeten Sekundarschulen eintreten.  Die Gründung von Sekundarschulen waren Teil des neuen politischen Programms der Liberalen, mit dem Schülern aus dem Mittelstand und der Unterschicht ein umfassender Unterricht ermöglicht und das Schulwesen verstaatlicht werden sollte.

Bereits nach einem Jahr an der Sekundarschule Bülach, trat Morf 17jährig ins 1832 eröffnete Lehrerseminar in Küsnacht ein, dem ersten staatlichen Lehrerseminar in der Schweiz. Geleitet wurde das Seminar durch Ignaz Thomas Scherr (1801–1870), dem Protagonisten und Vordenker der liberalen Schulreform in der Schweiz.

Erste Berufsjahre als Sekundarlehrer während den Unruhen

Kurz vor Ende der 2jährigen Ausbildungszeit am Lehrerseminar Küsnacht, wurde Morf in den Lehrdienst geschickt, da die vielen neugegründeten Sekundarschulen nach ausgebildeten Lehrpersonen riefen. Von 1837­­-1850 unterrichtete er an verschiedenen Sekundarschulen im Kanton Zürich. Dabei konnte er sich den politischen Unruhen dieser Zeit weit weniger entziehen, als er, der als ruhig und politisch zurückhaltend beschrieben wird, es gerne getan hätte. Entgegen besseren Wissens war er der Meinung, die Politik dürfe die Schule nicht beeinflussen. 1839 während dem «Züriputsch» weigerte er sich den Unterricht einzustellen, worauf er sich im Pfarrhaus vor den aufständischen Bauern in Sicherheit bringen musste. 1843 brachte Morf die Anhänger Scherr’s gegen sich auf, als er ohne politische Absicht die von Scherr entwickelte Methode des Sprachunterrichts in einem Vortrag kritisierte.

Faszination für Pestalozzi

Als sich 1846 der Geburtstag Johann Heinrich Pestalozzi’s (1746­­–1827) zum hundertsten Mal jährte, wurde Morf mit einer Ansprache an der Pestalozzifeier in Hinwil beauftragt. Pestalozzi, der zuerst in Burgdorf und dann in Yverdon ein Erziehungsinstitut leitete, besass schon während seiner Lebzeit internationale Berühmtheit, seine Elementarmethode wurde aber vor dem liberalen Umschwung von der Zürcher Regierung bekämpft. Die Figur Pestalozzi liess Morf von da an nicht mehr los. Er lehrte an den Seminaren Kreuzlingen und Münchenbuchsee die Schriften und das Leben Pestalozzis und verfasste während seiner Zeit am Waisenhaus Winterthur vier Bände zur Biographie Pestalozzis. Für dieses Werk erhielt er 1890 einen Ehrendoktortitel der Universität Zürich und trug damit einen wesentlichen Teil dazu bei, dass Pestalozzi zu einem Klassiker wurde.

Vom Seminardirektor zum Waisenvater in Winterthur

1850 berief ihn die Thurgausische Regierung als Lehrer ans Seminar Kreuzlingen. Dessen Leiter war Johann Jakob Wehrli (1790–1855), der zuvor die Armenschule in Hofwyl leitete, wo er – erfolgreicher als Pestalozzi in Yverdon – arme Kinder unterrichtete und zu Armenlehrern ausbildete. Als der Kanton Bern 1852 Wehrli bat, die Leitung  des Lehrerseminars in Münchenbuchsee zu übernehmen, empfahl dieser Morf für dieses Amt. Heinrich Morf leitete das Seminar Münchenbuchsee von 1852-1860 und nach der Heirat mit Susanna Merk 1853, gemeinsam mit seiner Frau. In der Zeit in Münchenbuchsee kamen ihre drei Kinder zur Welt. Mit der Übernahme der Seminarleitung geriet Morf erneut zwischen die politischen Fronten. Zwischen den liberalen und den konservativen Kräften im Kanton Bern tobte ein Kampf um das Seminar, der sich zunehmenden gegen seine Person richtete. 1860 wurde Morf als Seminarleiter abgewählt. 

Die Stadt Winterthur bot Heinrich Morf auf den 1. Mai 1861 das Amt des Waisenvaters an, das dieser wohl auch darum annahm, da es sich um ein Handlungsfeld handelte, das demjenigen seiner Vorbilder Pestalozzi und Wehrli ähnlich war. Die Familie Morf zog mit den drei kleinen Kindern in die Amtswohnung im Waisenhaus im alten Amtshaus am Untertor. Als Waisenmutter war Susanna Merk auch hier stark in die Arbeit ihres Mannes eingebunden. Sie erkrankte jedoch schwer und starb 1862. Kurz zuvor hatte sie Katharina Baltensperger als Gehülfin eingestellt. Sie übernahm bald alle Aufgaben der Hausmutter und mit der Heirat des 21 Jahre älteren Heinrich Morf 1876 wurde sie offiziell Waisenmutter. Im gleichen Jahr zog das Waisenhaus an die Tösstalstrasse 48 um.

Heinrich Morf war von 1861–1893 Waisenvater in Winterthur. Als erster Waisenvater mit pädagogischer Ausbildung, führte er zeitgemässe Erziehungsansätze ein und organisierte das Waisenhaus neu. In seiner Winterthurer Zeit schrieb er viel, teilweise unter dem Pseudonym Heinrich Breitner. Einige seiner Schriften erschienen in dem von ihm mitbegründeten Neujahrsblatt der Hülfsgesellschaft Winterthur. Zeitweise unterrichtete Morf zudem an der oberen Mädchenschule, dem Gymnasium und dem Lehrerinnenseminar und er setzte sich für die Gründung eines Fröbel Kindergarten durch die Hülfsgesellschaft ein. 

Am 29. September 1893 liess er sich gemeinsam mit seiner zweiten Frau in den Ruhestand versetzen. Am 28. Februar 1899 starb Heinrich Morf in Winterthur.


Benutzte und weiterführende Literatur

Werke von Heinrich Morf:
Zur Biographie Pestalozzi’s. Ein Beitrag zur Geschichte der Volkserziehung. 4 Bände, Winterthur 1868–1889.
Friedrich Fröbel und die Kindergärten. In: Neujahrsblatt der Hülfsgesellschaft Winterthur, Winterthur 1870.
Aus dem Fröbel'schen Kindergarten. In: Neujahrsblatt der Hülfsgesellschaft Winterthur, Winterthur 1875.
Aus der Geschichte des Waisenhauses Winterthur. In: Neujahrsblatt der Hülfsgesellschaft Winterthur, Winterthur 1871.
Einige Blätter aus Pestalozzi's Lebens- und Leidensgeschichte. Langensalza 1887.
Johann Jakob Wehrli (1790–1855). In: Neujahrsblatt der Hülfsgesellschaft Winterthur, Winterthur 1890.
Zwei ostschweizerische Lehrerbildungsanstalten aus dem Anfange des neunzehnten Jahrhunderts. In: Neujahrsblatt der Hülfsgesellschaft Winterthur, Winterthur 1890.
Volksbildung und Volksschule in geschichtlicher Beleuchtung. In: Neujahrsblatt der Hülfsgesellschaft Winterthur, Winterthur 1892.
Die Schule Breite von 1797 bis 1897: eine Dorfgeschichte. Erzählt von Heinrich Breitner. 1897.
Bilder aus der Geschichte der Erziehung des weiblichen Geschlechts. Ein Beitrag zur Frauenfrage. Morf, Heinrich senior 1818–1899. Frankfurt a.M. 1898.

Weiterführende Literatur:
Lengwiler, Martin; Rothenbühler, Verena; Ivedi, Cemile: Schule macht Geschichte. 175 Jahre Volksschule im Kanton Zürich 1832-2007. Zürich 2007.
Criblez, Lucien; Jenzer, Carlo; Hofstettler, Rita; Magnin, Charles (Hg.): Eine Schule für die Demokratie. Bern 1999.
Oelkers, Jürgen & Osterwalder, Fritz (Hg.): Pestalozzi - Umfeld und Rezeption. Studien zur Historisierung einer Legende. Weinheim/Basel 1995.

Autor/In:
Mirjam Staub
Letzte
Bearbeitung:
01.12.2023