Schulbauten und Kindergärten

Kindergarten Inneres Lind

St. Georgenstrasse 59a

Der Kindergarten Inneres Lind befindet sich im ältesten noch erhaltenen Kindergartengebäude der Schweiz. Dieses wurde 1876/1877 nach den Prinzipien von Friedrich Fröbel gebaut. Ab 1877 war im Gebäude der erste Winterthurer Fröbel-Kindergarten untergebracht. Ab 1886 diente es zudem als erster Hort für Schulkinder in der deutschsprachigen Schweiz. Bis heute nutzt man das Gebäude als Kindergarten und Hort. Es erfuhr nur wenige bauliche Veränderungen.


Baujahr
1877

Sanierung
2006­­–2008


Adresse
Kindergarten Inneres Lind
St. Georgenstrasse 59a
8400 Winterthur

Der Kindergarten Inneres Lind wurde 1877 durch die Hülfsgesellschaft Winterthur eröffnet und betrieben. Damals besuchten rund 50 Kinder den Kindergarten, Aufnahme um 1900.
Foto: winbib (Signatur 032951)

Von der Kinderbewahranstalt zum Fröbelkindergarten

In Winterthur gab es Mitte des 19. Jahrhunderts drei Kleinkinderbewahranstalten, auch Kleinkinderschulen genannt. Diese Einrichtungen nahmen ausschliesslich Vorschulkinder aus der Arbeiterschicht auf, mit dem Ziel, dass Kinder «physisch und psychisch, geistig und körperlich von schlimmen Einflüssen bewahrt werden» (Hungerbühler 1845, S. 4) und zur Linderung der sozialen Not der Arbeiterschicht.

Die Hülfsgesellschaft Winterthur entschied 1871, ihre Kinderbewahranstalt, die sie seit 1864 im Töchterschulhaus am Kirchplatz (heute Gewerbemuseum) betrieb, in einen Kindergarten umzuwandeln. Darin sollten Kinder aller Gesellschaftsschichten aufgenommen und nicht nur betreut, sondern auch durch pädagogisch ausgebildetes Personal gefördert werden.

1874 entsandte die Stadt eine Delegation unter der Leitung des «Waisenvaters» Heinrich Morf nach Deutschland, um mehr über die neuesten pädagogischen Prinzipien von Friedrich Fröbel (1782–1852) zur Einrichtung von Kindergärten zu erfahren. Das Konzept der Kindergärten unterschied sich deutlich von Bewahranstalten. Kinder sollten hier in einer für sie angepassten Umgebung mit geeigneten Materialien, Spielen und Tätigkeiten in ihrer eigenen Entwicklung angeregt werden. Die Bezeichnung «Kindergarten» lehnte sich an eine Metapher von Fröbel an, wonach Kinder wie Pflanzen gehegt und gepflegt werden müssen.

Durchgängige Nutzung als Kindergarten und Hort

Der Kindergarten Inneres Lind erfüllte ein grosses Bedürfnis, sodass bereits im ersten Betriebsjahr 1877 drei Gruppen mit je etwa 50 Kindern gebildet werden mussten. Die ersten Kindergärtnerinnen, Susanne Weber, Magdalene Ernst und Margaretha Pfister-Kundert, waren sowohl für die Förderung der Kinder nach den Prinzipien der Fröbel’schen Pädagogik verantwortlich als auch für die Ausbildung junger Frauen zu Kindergärtnerinnen. Der Kindergarten Lind war ein Musterkindergarten und förderte die Entstehung eines neuen Ausbildungs- und Berufsfelds für Frauen des Bildungsbürgertums sowie eine neue Möglichkeit für Frauen, selbständig und finanziell unabhängig leben zu können. Die Räumlichkeiten des Kindergartens nutzte ab 1886 zusätzlich der neu gegründete Kinderhort. Dieser war ebenfalls eine Gründung der Hülfsgesellschaft Winterthur und fand jeweils nach Schul- bzw. Kindergartenschluss zwischen 16.00 Uhr und 18.00 Uhr statt. Im Hort konnten Kinder im schulpflichtigen Alter unter der Aufsicht der Hortleitenden Zvieri essen, Hausaufgaben erledigen, spielen, singen, basteln oder gärtnern. Der Kinderhort Winterthur war der erste Hort für Schulkinder in der deutschsprachigen Schweiz und diente als Vorbild für weitere Gründungen in den Städten Zürich (1886) und St. Gallen (1887). Der Kindergarten und der Hort im Inneren Lind waren private Einrichtungen der Hülfsgesellschaft Winterthur.

1925 wurde der Kindergarten kommunalisiert und fortan durch die Stadt Winterthur in gleicher Form und mit denselben Kindergärtnerinnen weiterbetrieben. Dem Kinderhort sicherte die Stadt die Benutzung der Räumlichkeiten weiterhin zu. 1957 wurde auch der Hort kommunalisiert und seither durch die Stadt Winterthur betrieben. Das Kindergartengebäude wird bis heute von Kindergärten und Hort genutzt.

Baugeschichte

Das Kindergartengebäude Inneres Lind wurde nach den Prinzipien Fröbels «in freier, von Häusern in keiner Weise beengter Umgebung» gebaut, wie aus dem Jahresbericht der Hülfsgesellschaft von 1877 zu entnehmen ist. Die Entwicklung des Quartiers in Inneren Lind stand noch am Anfang, nur wenige Villen und Reiheneinfamilienhäuser waren bereits gebaut. Den Auftrag zum Bau des Kindergartengebäudes Inneres Lind gab die Hülfsgesellschaft Winterthur. Realisiert wurde er 1876/1877 durch den Architekten Ernst Jung.

Die in der Fröbel’schen Pädagogik wichtigen Elemente der Symmetrie und Ästhetik flossen auch in den Bau des Gebäudes und des Gartens ein. Im streng symmetrisch gebaute Gebäude befand sich im Erdgeschoss ein grosser Spielsaal und eine Abwartswohnung. Im Obergeschoss gab es drei Räume für drei Kindergartengruppen. Im grossen Garten steht noch heute die damals erstellte offene Spielhalle, weiter gab es Grünflächen zum Spielen, Nutzbeete und Schatten spendende Gebüsche.

Seit der Erstellung des Kindergartengebäudes wurden kaum bauliche Veränderungen vorgenommen. Im Zweiten Weltkrieg ist ein Luftschutzkeller eingerichtet worden, die ehemalige Abwartswohnung im Erdgeschoss wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts zum Hort für Schulkinder umgebaut. Der grosszügige Garten wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verkleinert, als die Stadt einen Teil des Grundstückes zum Bau eines neuen Verwaltungsgebäudes der Winterthur Versicherung verkaufte.

Der grösste Umbau erfuhr das Kindergartengebäude in den Jahren 2006­­–2008. Dabei wurde der Spielsaal im Erdgeschoss mit reversiblen Zwischenwänden in mehrere Kindergartenräume unterteilt. Die Räume im Obergeschoss wurden zu Gruppenräumen umgebaut. Die ursprüngliche Farbigkeit der Räume wurde wiederhergestellt, neue Einbauten bewusst von den historischen Teilen abgehoben. So konnte das als schutzwürdiges Baudenkmal inventarisierte Gebäude zwar heutigen pädagogischen Konzepten angepasst werden und dennoch die ursprüngliche Grundstruktur erhalten bleiben.


Benutzte Quellen und weiterführende Literatur

Quellen
Küttel, Caspar: Der Fröbel’sche Kindergarten in der Schweiz. Zürich 1882.
Hülfsgesellschaft Winterthur: Jahresbericht 1877, Winterthur 1877.
Morf, Heinrich: Kurzer Bericht über das Ergebniss einer Reise nach Deutschland zum Besuche von Kindergärten im Juni 1874. In: Neujahrsblatt der Hülfsgesellschaft Winterthur 1875, S.7-65.
Hungerbühler, Johann Matthias: Über Kleinkinderbewahranstalten und Kleinkinderschulen. Ein Beitrag zu Beleuchtung der, von der schweizerischen gemeinnützigen Gesellschaft 1844, ausgeschriebenen, diesen Gegenstand beschlagenden Konkursfrage, St.Gallen 1845.

Literatur
Staub, Mirjam: Betreuung – Erziehung – Bildung. Die Anfänge der Horte für Schulkinder in der Schweiz, 1880–1930, Zürich 2021.
Buomberger, Thomas: Helfen als Verpflichtung. Die Hülfsgesellschaft Winterthur 1812–2012. Neujahrsblatt der Stadtbibliothek Winterthur, Zürich 2011.
Amt für Städtebau Winterthur: Umbau und Renovation 2006–2008 Kindergarten Inneres Lind Winterthur. Baudokumentation 08.004. Winterthur 2008.
Criblez, Lucien: Die Gründung von Kleinkinderinstitutionen vor dem Hintergrund des bildungspolitischen Aufbruchs nach 1830, in: Pädagogische Fachstelle KgCH (Hg.): «Pädagogische Revolution» vom 31. März 1999 anlässlich der Fröbel- Ausstellung in Burgdorf, Bern 1999, S. 11–20.
Winkler, Hermann: Schulgeschichte der Stadt Winterthur bis zum Jahre 1922. 280. Neujahrsblatt der Stadtbibliothek Winterthur, Winterthur 1947.
 

Bibliografie

    Kindergarten Inneres Lind, St.Georgenstrasse 59a

    • Einträge 1991–2010

      Integration Behinderte: Tages-Anzeiger 2002/64 1Abb.
      Sanierung: Landbote 2005/80, 2007/79, 2009/116 1Abb.. - Lindeblatt 2005/43. - In: Hönig, Roderick:Unterwegs in Zürich und Winterthur : Landschaftsarchitektur und Stadträume 2000-2009, 2009, m.Abb.


Autor/In:
Mirjam Staub
Letzte
Bearbeitung:
23.09.2024