Architektur

Ernst Georg Jung

Architekt, 1841–1912

Ernst Jung zählt zu den bedeutendsten Architekten des Historismus in Winterthur. 37 Jahre lang führte er ein Architekturbüro und realisierte in dieser Zeit rund 184 Bauten. Er war der bevorzugte Baukünstler der lokalen Oberschicht. Daneben setzte er sich aber auch für den sozialen Wohnungsbau ein und war ein Pionier in der Planung und Realisierung von Arbeitersiedlungen in der Schweiz.


Sterbeort
Winterthur

Geburtsort
Basel

Geboren
27.02.1841

Gestorben
03.12.1912


Adresse
Villa Jungheim
Römerstrasse 36
8400 Winterthur
Portrait von Ernst Georg Constantin Jung um 1902 
Foto: winbib, Jakob Friedrich Welti (Signatur 171958)

Jugend und Ausbildung

Ernst Georg Constantin Jung wurde 1841 als drittjüngstes von 13 Kindern in Basel geboren und entstammte einer deutschen Ärztedynastie, deren bekanntester Vertreter Carl Gustav Jung war, ein Neffe Ernst Jungs. Viele seine Geschwister starben bereits in jungen Jahren an Tuberkulose. Im Alter von 14 Jahren verlor Ernst Jung auch seine Mutter an diese Krankheit.

Ursprünglich wollte Ernst Jung der Familientradition folgen und Medizin studieren. Da aber schon mehrere seiner Brüder diesen Berufszweig eingeschlagen hatten, riet sein Vater ihm zu einem anderen Fachgebiet. Die Wahl fiel schliesslich auf das Bauhandwerk. Ernst Jung absolvierte eine Lehre als Maurer und Steinhauer. Daneben besuchte er die Zeichnungs- und Modellierschule. Nach seiner dreijährigen Lehrzeit besuchte Jung ab 1861 die königliche Bauakademie in Berlin, wo er beim Architekten Friedrich Adler studierte. In seiner Berliner Zeit baute sich Jung ein umfangreiches Netzwerk auf und bewegte sich in den gehobenen Kreisen. Nachdem er sein Studium abgeschlossen hatte, arbeitete er für Friedrich Adler. 1867 wurde Jung Bauführer beim Berner Architekten Friedrich Ludwig in Mülhausen.

Architekturbüro in Winterthur

1867 erhielt der erst 26-jährige Ernst Jung als Bauführer der Villa Bühler-Egg den ersten Auftrag in Winterthur. Nach Studienreisen in Italien liess er sich 1869 als erster akademisch geschulter und freischaffender Architekt in Winterthur nieder – dies trotz der Ermahnung seines ersten Auftraggebers, des Spinnereibesitzers Eduard Bühler-Egg, dass es in Winterthur nicht genügend Arbeit für Architekten gebe. Jungs Mut wurde allerdings belohnt und schon bald boomte das Geschäft; der junge Architekt etablierte sich als bevorzugter Baukünstler der Winterthurer Oberschicht. 1870 heiratete Jung seine langjährige Freundin Fanny Biedermann und wohnte mit ihr an der Tösstalstrasse. Seine erste Ehefrau starb aber bereits 1881 und so heiratete er 1889 ein zweites Mal, diesmal Anna Egg, die Schwägerin seines ersten Bauherrn.

1888 ernannte Jung seinen Mitarbeiter Otto Bridler zum Partner. Neben dem Büro in Winterthur betrieb Jung weitere in Konstanz, Ulm und Bamberg. Dank dem Erfolg seines Büros konnte er sich 1895 seine eigene Villa an der Römerstrasse bauen, nur drei Jahre später tat Otto Bridler es ihm gleich. So wohnten die beiden Architekten nun in den gehobenen Vierteln ihrer Kundschaft. Schon bald gehörte Ernst Jung selbst zu den reichsten 50 Einwohnern der Stadt. 1907 zog er sich aus der aktiven Berufstätigkeit zurück. Otto Bridler führte das Büro mit seinem neuen Partner als Bridler & Völki weiter.

Baustil und Werk

Ernst Jung war der bedeutendste Winterthurer Architekt des Historismus. Seine architektonische Formensprache war eine Neugotik, die durch den Stil des französischen Neubarock und die englische Baukunst geprägt war. Frühe Bauten sind die Villen Bühler-Egg und Frohberg. Auffallend und charakteristisch für das Werk Jungs ist die damals ungewöhnliche Wahl von Sichtbackstien für den Villenbau. Beispiele hierfür sind die Villen Bühlstein, Jungheim und Lindeneck.

Ernst Jung konnte auch eine ganze Reihe von öffentlichen Anlagen sowie Geschäfts- und Industriebauten realisieren, beispielsweise: das Verwaltungsgebäude der SLM (1872), das Verwaltungsgebäude der Lloyd Transportversicherungsgesellschaft (1876), das Wohlfahrtshaus der SLM (1902), das Schulhaus St. Georgen (1894), Neubau Hauptbahnhof Winterthur (1894), die Freimaurerloge Akazia (1903) und das Verwaltungsgebäude der Gebrüder Volkart (1903).

Gründungsmitglied der GEbW

Obwohl das Hauptgeschäft von Ernst Jung im Villenbau und anderen Grossbauten lag, war ihm der soziale Wohnungsbau gleichermassen ein grosses Anliegen. Aus einer Initiative der Hülfsgesellschaft Winterthur heraus gründete er 1872 die Gesellschaft für Erstellung billiger Wohnhäuser in Winterthur (GEbW) mit. Mit dem Bau von günstigem Wohneigentum samt Selbstversorgungsgärtchen sollte die Arbeiterschaft entlastet werden. Ernst Jung entwarf und leitete während 40 Jahren praktisch alle Bauprojekte der GEbW und wurde damit zu einem Pionier im Bau von Arbeitersiedlungen. Beispiele für Jungs Projekte sind die Siedlungen Deutweg und Schönthal sowie Geiselweid, Vogelsang und Bahndreieck.

Engagement für Kultur und Architektur

Kurz nachdem er sich in Winterthur niedergelassen hatte, trat Jung der örtlichen Freimaurerloge Akazia bei. Ab 1875 war er dort Meister vom Stuhl und führte die Loge über 25 Jahre lang. Jung bewegte sich in den gehobenen Winterthurer Kreisen und engagierte sich in verschiedenen Vereinen. So präsidierte er  1873–1875 das Musikkollegium, danach 1877–1907 den Winterthurer Kunstverein und 1899–1905 auch den schweizerischen Kunstverein. Daneben arbeitete er als Experte im gewerblichen Fortbildungswesen.

Von der Feuerwehr zur Unfallversicherung

Auch dem Schweizerischen Feuerwehrverein fühlte sich Ernst Jung verbunden und präsidierte diesen 20 Jahre lang. Dabei bemühte er sich um die Vereinheitlichung der Ausrüstung und Professionalisierung der Ausbildung. Der Verein führte darüber hinaus eine eigene «Hülfskasse» für verunglückte und kranke Feuerwehrmänner. In diesen Kontext passt auch die Beteiligung von Ernst Jung an der Gründung der Schweizerischen Unfallversicherungsgesellschaft in Winterthur im Jahr 1875. Jung übernahm den Vorsitz im Verwaltungsrat.

Nach einem reich erfüllten Leben verstarb Ernst Jung 1912 an einer Lungenentzündung. Im Jahr 2013 ehrte die Stadt Winterthur den umtriebigen und vielfältig engagierten Architekten mit einer eigenen Strasse im Sulzerareal.

Nachlass

Ein Teilnachlass von Ernst Jung befindet sich bei der Kantonalen Denkmalpflege in Zürich

Benutzte und weiterführende Literatur

Flury-Rova, Moritz. Backsteinvillen und Arbeiterhäuser. Der Winterthurer Architekt Ernst Jung 1841–1912 (Neujahrsblatt der Stadtbibliothek Winterthur 339), Zürich 2008.
Michel, Regula: Jung, Ernst, in: Rucki/Huber (Hg.): Architektenlexikon der Schweiz. 19./20. Jahrhundert, Basel/Boston/Berlin 1998, S. 301–302.
Brossard, Gilbert und Oederlin, Daniel: Architekturführer Winterthur. Ein Führer zur Baukunst in Winterthur von 1830–1930, Bd. 1, Zürich 1997, S. 217.

Bibliografie

    Jung, Ernst Georg Constantin, 1841-1912, Architekt

    • Einträge ab 2011

      Widmer, Urs: Ernst Georg Jung. In: Dokumentation Urs Widmer, Personen A-Z 4 S.

      Einträge 1991–2010

      Ein Liberaler mit Herz, von Heinz Pantli, in: Die Schweiz unter Globalisierungsdruck. Hrsg. Walter Bührer. Jahrbuch "Die Schweiz": NHG; 2000. S. 91-97.
      Flury-Rova, Moritz: Backsteinvillen und Arbeiterhäuser : der Winterthurer Architekt Ernst Jung, 1841-1912. - Winterthur : Stadtbibliothek 2008. - 271 S. : Ill. (Neujahrsblatt der Stadtbibliothek Winterthur ; Bd. 339(2008))


Autor/In:
Nadia Pettannice
Letzte
Bearbeitung:
02.12.2022