Wissenschaft

Leonie Moser

Röntgenschwester (1897–1959)

Leonie Moser war eine Vorkämpferin für die Entstehung des Berufes der medizinisch-technischen Assistentin Radiologie (MTAR) in der Schweiz. Ihr persönlicher Nachlass dokumentiert ihre 33-jährige Berufstätigkeit und gilt als einzigartige deutschsprachige Quelle für die Geschichte der Röntgentechnik aus der Perspektive des weiblichen Hilfspersonals. Leonie Moser war die letzte Schweizerin, die 1959 einen Eintrag ins Ehrenbuch der an Strahlung verstorbenen Krankenschwestern und Ärzten erhielt. Einen grossen Teil ihrer Laufbahn absolvierte sie im Kantonsspital Winterthur.


Sterbeort
Horgen

Geburtsort
Horgen

Geboren
16.11.1897

Gestorben
17.03.1959


Leonie Moser in der Uniform des Schwesternhauses zum Roten Kreuz in Zürich-Fluntern, 1928. Nach ihrer Ausbildung legte sie ihren Taufnamen «Lina» ab und nannte sich Schwester Leonie. Der Beruf der Krankenschwester war zu Beginn des 20. Jahrhundert noch stark von den Idealen der Aufopferungsbereitschaft und Hingabe geprägt. Das Erdulden prekärer Arbeitsverhältnisse, schlechter Entlöhnung und die Inkaufnahme gesundheitlicher Risiken wurden dabei nicht selten positiv als Zeichen echter Hingabe umgedeutet. Von Krankenschwestern wurde erwartet, dass sie ihr Leben ganz in den Dienst der Medizin stellen. Diese Haltung änderte sich erst, als die Krankenpflege allmählich professionalisiert und zu einem anerkannten Beruf umstrukturiert wurde. 
Foto: winbib (Signatur: Dep_LM_46_8-001)

Kindheit und Jugend

Leonie Moser wurde am 16. November 1897 in Horgen geboren und wuchs in einfachen Verhältnissen auf.  Nachdem sie eine zweijährige Lehre als Damenschneiderin absolviert hatte, trat sie als Hilfsschwester ins Kreisspital Samaden ein. Es folgte der zu jener Zeit für Frauen übliche Aufenthalt im Welschland, danach wechselte sie ins Schwesternhaus vom Roten Kreuz in Zürich-Fluntern (heute Careum). Leonie Moser wurde von Oberschwester Rosa Hess motiviert, sich am Röntgeninstitut des Kantonsspitals Glarus in die Tätigkeit als Röntgenschwester für Diagnostik und Therapie einweisen zu lassen. Eine geregelte Ausbildung gab es bis in die 1950er-Jahre dafür nicht. Schwester Hess hatte ihre grundlegenden Kenntnisse direkt über Schulungen durch die Apparatehersteller und Erläuterungen des Chefarztes erworben. Der Rest basierte auf Erfahrungswerten aus der Praxis, die sie Leonie Moser weitervermittelte. 

Erste Anstellung am Kantonsspital Winterthur

Viel Lob hatte die literarisch begabte Krankenschwester nicht übrig, als sie 1920 zum ersten Mal eine Stelle im Kantonsspital Winterthur (KSW) antrat. In ihren Lebenserinnerungen beschrieb sie die dortigen Apparaturen als veraltet und die Sicherheitseinrichtungen als mangelhaft. Statt einer Schutzkabine mussten sich die Röntgenschwestern mit einer mobilen Bleiwand begnügen. Selbst der Dunkelraum zur Entwicklung der Röntgenbilder sei ein «enger hässlicher Raum ohne direkte Luft- und Lichtzufuhr, mit halb verfaulter und zerfressener Einrichtung» gewesen. Die Erneuerung des Röntgeninstituts im Jahr 1922 bekam Leonie Moser nur noch kurze Zeit mit, sie wurde als leitende Röntgendiagnoseschwester ans Kantonsspital Zürich abberufen.

Prekäre Arbeitsverhältnisse im Kantonsspital Zürich

Leonie Moser wurde bei Stellenantritt vor ihrem zukünftigen Vorgesetzten, Dr. Hans Rudolf Schinz, gewarnt. Regelmässig beschimpfe Schinz das weibliche Hilfspersonal als unfähig und sei kaum zufriedenzustellen. Dennoch fühlte sich Moser wohl. Sie liebte es, am Puls neuster Entwicklungen zu sein und bewunderte den 31-jährigen Institutsleiter für seinen Ehrgeiz. 

Die Röntgentechnologie befand sich um 1920 noch in den Pionierjahren. Die Apparate bestanden aus mehreren Elementen und waren mobil. Die technischen Anforderungen waren hoch und es fehlte an Standardisierungen. Röntgenschwestern mussten die Verfahren durch Ausprobieren optimieren und das Verhalten der Geräte genau protokollieren. Sie waren für die Lagerung der Patient:innen, die Durchführung des Röntgens, die Entwicklung der Bilder und die Pflege der teuren Apparate zuständig. Deren Kernstück war die gläserne Röntgenröhre, wo die Strahlung elektrisch erzeugt wurde. Wenn die Strahlung zu hoch oder zu tief dosiert wurde, konnten diese Röhren weich respektive hart werden und im schlimmsten Fall implodieren. Erfahrene Röntgenschwestern konnten alleine durch betasten «ihrer Röhren» einschätzen, wie sie zu regenerieren sind. Obwohl Technik traditionell als männliche Sphäre galt, warben die Spitäler bereits ab 1900 gezielt Frauen als Hilfspersonal an. Sie waren nicht nur günstiger, sondern entsprachen auch den Erwartungen von Privatpatient:innen. Gerade bei bürgerlichen Frauen stellte das entblössen des Körpers vor fremden Männer noch immer ein Tabu dar.

Erfahrene Fachkräfte wie Leonie Moser waren rar, und so wurde häufig auf ungelernte Volontärinnen zurückgegriffen. Aufgrund mangelnder Kenntnisse kam es gelegentlich zu Unfällen, was empfindliche Rechtsstreitigkeiten nach sich zog. Um eine ausreichende Qualität sicherzustellen, erarbeitete Dr. Schinz gemeinsam mit Leonie Moser und dem restlichen Hilfspersonal 1928 ein über tausendseitiges Lehrbuch für die Röntgendiagnostik, das Schinz eine Professur und Leonie Moser eine kostenlose Ausgabe als Lohn einbrachte.  Von Leonie Moser erwartete er, dass sie ihre Krankenschwestern und Volontär:innen nun auch lehrbuchkonform ausbildete. Mit der Einführung solcher Lehrbücher, aber auch der stetigen Verbesserung und Automatisierung der Röntgengeräte wurde die Stellung der Röntgenschwestern sukzessive geschwächt. Was früher durch intensive Aneignung und stetes Experimentieren mühsam als Erfahrungswissen angeeignet wurde, lag nun in Form standardisierter Dosierungstabellen vor.

Um eine Deklassierung der Röntgenschwestern zu verhindern, begann sich Moser energisch für die Schaffung einer geregelten Berufsausbildung für Röntgenassistentinnen einzusetzen und forderte bessere Löhne und Arbeitsbedingungen. Dadurch sollte einen berufliche und finanzielle Existenz gesichert werden. Entsprechend wichtig war für sie der Auftritt bei der Schweizerischen Ausstellung für Frauenarbeit (SAFFA) im Jahr 1928, wo erstmals die Tätigkeit der Röntgenschwester einer breiten Öffentlichkeit präsentiert wurde. Für diese Ausstellung publizierte Moser ihren ersten Artikel. 50 weitere sollten im Verlauf ihrer beruflichen Laufbahn folgen. 

Kündigung und persönliche Krisenjahre

1928 konnte Leonie Moser eine ausgedehnte Studienreise nach Frankfurt am Main, Hamburg, Berlin und Leipzig unternehmen. Das Röntgeninstitut in Zürich entwickelte sich derweil zu einer führenden Ausbildungsstätte für Radiologen, was auch internationales Publikum anzog. Um sich fachlich austauschen zu können, wollte Leonie Moser unbedingt Englisch lernen. Aufgrund des stetigen Personalmangels schlug die Spitalleitung ihre Ferienwünsche jedoch konsequent aus. Der Arbeitsdruck war derart hoch, dass es zu Konflikten zwischen Leonie Moser und ihren Vorgesetzten kam. Moser kündigte darauf ihre Anstellung. Tief gekränkt und erschöpft geriet sie in eine Sinnkrise, wurde schwermütig und liess sich dann wegen lebensmüder Gedanken in der Psychiatrischen Klinik Burghölzli psychotherapeutisch behandeln. Trotz sporadisch auftretender Krisen konnte sie ihre Arbeit danach wieder aufnehmen. Um ihre Englischkenntnisse zu vertiefen, reiste sie nach London und nahm dann eine Stelle in Bristol an, wo sie bis zum Ablauf ihres Arbeitsvisums im Jahr 1932 arbeitete.

Zurück in der Schweiz übernahm sie die Stelle ihrer einstigen Lehrmeisterin im Kantonsspital Glarus. Auch dort kam es nach einiger Zeit zu Konflikten, weil sich Leonie Moser dafür stark machte, ausschliesslich als Röntgenschwester eingesetzt zu werden und nicht auch noch in anderen Pflegebereichen. Die Auseinandersetzung mündete in der Entlassung Mosers. Weil sie sich durch die Spitäler nicht genug wertgeschätzt fühlte, begann sie ihre beruflichen Erfahrungen schriftlich für die Nachwelt festzuhalten. Es handelt sich um eine der vielen Strategien von Leonie Moser, um die Leistungen, Bedeutung und Notwendigkeit gut ausgebildeter Röntgenschwestern hervorzuheben. Sie animierte ihre Mitstreiterinnen dazu, das Gleiche zu tun. 

Marschbefehl und Lehrschwester am KSW

1936 wurde Leonie Moser als leitende Röntgenschwester wieder ins Kantonsspital Winterthur berufen, da sich ihre Vorgängerin der Aufgabe nicht mehr gewachsen sah. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges erhielt sie wie die meisten anderen Ärzte, Schwestern und Pfleger den Marschbefehl. Moser wurde in Grafenort und Lungern eingesetzt, wo sie für Röntgenuntersuchungen an Flüchtlingen zuständig war.

1942 führte die Schweizerische Röntgengesellschaft erstmals Examen für Röntgenschwestern ein. Eine national anerkannte und geregelte Ausbildungsstätte gab es allerdings bis 1967 nicht; die Ausbildung geschah nach wie vor direkt vor Ort in den Instituten.  Als eine der schweizweit ersten Lehrschwestern für Radiologieassistent:innen wurde Moser 1950 ans KSW beordert und übernahm dort bis 1953 die Ausbildungsverantwortung. In dieser Zeit erstellte sie Lehrpläne und Schulungsunterlagen für das Kantonsspital und begann auch, Tagebuch über ihre Zeit am KSW zu führen.

Die Folgen lebenslanger Strahlenexposition

1953 sah sich Leonie Moser gesundheitlich nicht mehr in der Lage, ihren Beruf auszuüben, und trat vorzeitig in den Ruhestand. Die verheerenden Folgen der jahrzehntelangen Strahlenexposition hatten sich bei ihr in Form von Leukämie manifestiert. Sie publizierte aber weiterhin Artikel über die prekären Verhältnisse im Pflegeberuf. Im Alter von 61 Jahren verstarb die Röntgenpionierin an den Folgen ihrer Berufsausübung. Auf ihren Wunsch hin wurde ihr Leichnam dem Anatomischen Institut der Universität Zürich übergeben, damit ihr Skelett für Lehrzwecke präpariert wird. Dies war allerdings aufgrund der massiven Strahlenschäden nicht möglich. Stattdessen wurde ihr Körper kremiert. Im Jahr 1959 wurde sie als letzte Schweizerin in das Internationale Ehrenbuch der Radiologie für während der Pionierzeit an Strahlung verstorbene Medizinfachpersonen eingetragen.

Bedeutender Nachlass und späte Ehrung in Winterthur

1941 bat Leonie Moser den Aktuar der Stadtbibliothek Winterthur darum, ihre gesammelten Dokumente in die Sammlung aufzunehmen. Bis 1955 lieferte sie regelmässig Unterlagen nach. Ihr umfangreicher Nachlass enthält Lebenserinnerungen, Fachartikel, Schulungsunterlagen, Röntgenbilder, Reiseberichte, Korrespondenzen und Fotografien. Ebenfalls verfügt das Archiv für Medizingeschichte der Universität Zürich über einen weiteren Nachlassbestand, der sich teilweise von jenem in der Sammlung unterscheidet. Beide Bestände bieten eine einzigartige medizinisch- und berufshistorische Perspektive auf die Pionierzeit der Röntgentechnologie durch das weiblicher Hilfspersonal im deutschsprachigen Raum.

2023 wurde in Oberwinterthur die Querung Grüze anlässlich ihres Baus nach Leonie Moser benannt. Der Vorschlag stammte vom Verein Frauenstadtrundgang Winterthur. Die Brücke soll 2026 fertiggestellt sein. 


Benutzte und weiterführende Literatur

Nachlass Leonie Moser, Sammlung Winterthur
Nachlass Leonie Moser, Archiv für Medizingeschichte der Universität Zürich
Domann, Monika: Durchsicht - Einsicht - Vorsicht. Eine Geschichte der Röntgenstrahlen 1896–1963, Zürich 2003 (Interferenzen – Studien zur Kulturgeschichte der TechnikBand 5).
Walther, Kurt. M: Ein Leben mit Röntgenstrahlen. Röntgenschwester Leonie Moser und ihre Lebenserinnerungen, 1967.
Molineus. W. u. a. (Hg): Ehrenbuch der Radiologen aller Nationen, 3. erw. Aufl., Berlin 1992.

Bibliografie


Autor/In:
Nadia Pettannice
Letzte
Bearbeitung:
03.08.2023