Siedlungen

Überbauung Sidi-Areal

Bäckerstrasse, Grüzenstrasse, Töpferstrasse

Die zwischen 1874 und 1883 von der Seidenstoffweberei Winterthur erstellten Arbeiterhäuser bei der «Sidi» zählen zu den wenigen und ältesten intakten Werksiedlungen im Kanton Zürich. Sie wurden zwischen der Bäcker-, Grüzen- und Töpferstrasse errichtet und standen in einem engen räumlichen Verhältnis zur Seidenstoffweberei, der Schleife und der Elastiquefabrik.


Baujahr
1874–1883


Flugaufnahme der mechanischen Seidenspinnerei, dahinter die verschiedenen Arbeiterhäuschen mit ihren Selbstversorgungsgärtchen, Aufnahme um 1920.
Foto: winbib (Signatur St.Gallerstrasse 10_02)

Geschichte

Die zwischen 1874 und 1883 von der Seidenstoffweberei Winterthur erstellten Arbeiterhäuser bei der «Sidi» zählen zu den wenigen und ältesten intakten Werksiedlungen im Kanton Zürich. Sie stehen zwischen der Bäcker-, Grüzen- und Töpferstrasse in engem räumlichen Verhältnis zur Seidenstoffweberei, zur Schleife und zur Elastiquefabrik.

Sozialhistorisch markieren sie die schrittweise Loslösung von den bis dahin üblichen Kosthäusern, die kaum ein geordnetes Familienleben zuliessen. Pflege, Reinlichkeit und Ordnung in der Familie wurden zu einem der wichtigsten bürgerlichen Ideale des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Mit den Arbeitersiedlungen sollte die Sittlichkeit und Moral innerhalb der Arbeiterschaft gesichert und gefördert werden. Gleichzeitig waren die meist in Reihenbauweise erstellten Siedlungen auch Mittel zur gegenseitigen sozialen Kontrolle, die durch die gemeinsame Nutzung von Gärten, Waschhäusern usw. gefördert wurde. Zudem wurde die Arbeiterschaft durch die Arbeiterhäuser an den Betrieb gebunden. Der Bau solcher Werksiedlungen trug wesentlich zur Verbesserung der allgemeinen Wohn- und Lebensbedingungen der Arbeiterschaft bei und war eine Vorstufe zum genossenschaftlichen Wohnungsbau, wodurch die finanzielle Autonomie und die Trennung von Wohnsituation und Arbeitgeberschaft weiter gefördert wurden.

Architektur

Da die Werksiedlungen in der Regel kostengünstig und schnell realisiert werden mussten, bevorzugte man die rationelle Reihenbauweise mit wiederholbaren Elementen. Die erste Bauetappe von 1874 umfasst eine achtteilige Häuserzeile mit schlichten, zweigeschossigen Satteldachbauten. Die etwas grösseren Kopfbauten wurden als Zweifamilienhäuser und die dazwischenliegenden Parzellen als Einfamilienhäuser konzipiert. Zur Gliederung verwendete man spätklassizistische Formen. Jedes Häuschen verfügte zudem über charakteristische hölzerne Vordächer. Im Gegensatz zur Arbeitersiedlung an der Jägerstrasse war die Siedlung bei der Sidi etwas grosszügiger gestaltet.

In einer zweiten Bauetappe zwischen 1877 und 1878 entstand eine sechsteilige und etwas grössere Hausreihe. Alle Häuser verfügen über eigene Hof- und Vorgärten, die zur Selbstversorgung dienten. 1968 schloss die Seidenstoffweberei in Winterthur. Die Stadt Winterthur wollte die Anlage kaufen, doch das Vorhaben scheiterte 1969 am Stimmvolk. 1974 kaufte der Kanton Zürich die ehemalige Industrieanlage und liess die Wohnungen sanieren. 1987 bewilligte der Zürcher Regierungsrat eine Wettbewerbsausschreibung für eine Umnutzung des Sidi-Areals. Dabei ging 1988 das Projekt des Ateliers ADP als Sieger hervor. Umgesetzt wurde es jedoch vorerst nicht. Ursache für die Verzögerung war die zur gleichen Zeit stattfindende Debatte um die zukünftige Entwicklung des Sulzer-Areals. Dem Winterthurer Stadtrat gelang es damals, den Kanton davon zu überzeugen, in das Projekt «Megalou» des Stararchitekten Jean Nouvel zu investieren. Weil sich der Kanton nun am Sulzer-Areal beteiligte, wurde das mit 80 Millionen Franken veranschlagte Bauprojekt für das Sidi-Areal immer wieder aufgeschoben. Durch die Verzögerung kam es auf dem Sidi-Areal zu verschiedenen Zwischennutzungen. So quartierte sich beispielsweise das Theater Kanton Zürich im Areal ein, aber auch ein Otto-Restpostenmarkt sowie ein Erotikmarkt.

Erst nachdem «Megalou» 2001 definitiv gescheitert war, widmete sich der Kanton Zürich wieder dem Sidi-Areal und liess es auf Basis einer überarbeiteten Version des 1987 vorgeschlagenen Projekts durch das Atelier ADP umsetzen. Zuständig war der Architekt Walter Ramseier. Die Planungs- und Bauarbeiten dauerten von 2002 bis 2009. Im Areal entstanden 157 Wohnungen sowie Büro- und Atelierräume. Von der historischen Bausubstanz blieben neben den Arbeiterhäusern auch der Hochkamin und das ehemalige Kesselhaus erhalten.

Besetzung

Nachdem der Otto’s Discounter 2004 das Areal verlassen hatte, wurden die leeren Räumlichkeiten der ehemaligen Druckerei zeitweise von einer autonomen Gruppe, die sich «Das Konglomerat» nannte besetzt. Die zuständige Verwaltung duldete die Besetzung, die dann im Februar 2006 auf das ganze Areal ausgeweitet wurde. Ziel der Gruppierung war es, einen Kulturraum im Sidi-Areal durchzusetzen. Die Stadtpolizei hielt sich zu Beginn mehrheitlich zurück. Dies änderte sich, als in Zürich der traditionelle Secheläuten-Böög von Links-Aktivisten gestohlen wurde. Die Kantonspolizei Zürich vermutete das Diebesgut im Sidi-Areal und führte gemeinsam mit der Stadtpolizei eine Grossrazzia durch – allerdings ohne Erfolg. 

Neuüberbauung SIDI

Anlässlich zum 10-jährigen Bestehen der Kantag AG konnte die neue Wohnüberbauung im Jahr 2009 feierlich eröffnet werden. An historischer Bausubstanz ist noch der alte Hochkamin, das Kesselhaus und ein Backsteinhaus erhalten. Diese denkmalgeschützten Bauten erinnern an die industrielle Vergangenheit des Areals. Der Industriearchäologe Hans-Peter Bärtschi konzipierte für das Kesselhaus eine kleine Ausstellung, welche die Geschichte des Ortes vermittelt.

Im SIDI Areal eröffnete das Familienzentrum Winterthur ihren neuen Standort und auch das Jugendsekretariat bezog dort neue Büroräumlichkeiten. Letztere hatten jedoch einen holprigen Start, denn schon kurz nach dem Umzug klagten einige Mitarbeitende über gesundheitliche Beschwerden. Es stellte sich heraus, dass Formaldehyd und Lösungsmitteln in erheblichen Mengen vorhanden waren. Die Büros mussten deshalb ein halbes Jahr lang geschlossen werden. 

Silberner Hase für die Landschaftsarchitektur

Eine Fachjury des renommierten Architektur-Magazines hochparterre zeichnete die Landschaftsarchitektur im SIDI-Areal mit einem silbernen Hasen aus. Verantwortlich war das Büro KuhnTruninger. Sie sorgten mit ihrer Grünflächengestaltung dafür, dass die historischen und neuen Bauelemente zu einer Einheit verschmelzen. 

Schweizer Radio und Fernsehen (SRF), Kulturplatz: Die Besten 09 - Landschaftsarchitektur. 2. Preis: Seidenstrasse an der Töss - Sidi-Areal Winterthur, 09.12.2009. 

Benutzte und weiterführende Literatur

Michel, Regula/Osoegawa, Steffen: Arbeiterhäuser «Sidi», in: Inventar der Denkmalschutzobjekte von überkommunaler Bedeutung, Stadt Winterthur. Mattenbach , Oberwinterthur, Seen, 2018, S. 33–40.
Leutenegger, Marc: Luftbelastung auf ein tolerierbares Mass gesunken, in: Der Landbote, 06.01.2010.
Leutenegger, Marc: Kaum gebaut, schon geschlossen, in: Der Landbote, 18.08.2009.
Sorg, Florian: Vom Wohnen und Wirken der Winterthurer Seidenweber, in: Neue Zürcher Zeitung, 04.09.2009.
m.s.:Wo Gegenwart und Vergangenheit verschmelzen, in: Der Landbote, 27.06.2009.

Keller, Roger: Neue Chance für das Vorzeigeprojekt, in: Tagesanzeiger, 28.07.2008.
Meyer, E.: Neuüberbauung des Sidi-Areals in Winterthur, in: Neue Zürcher Zeitung, 30.04.2005.

Bibliografie

    Sidi-Areal

    • Einträge ab 2011

      Zeitungsartikel, Jugendsekretariat, 2009-2010, in : Doku Landbote 10/22.

      Einträge 1991–2010

      Überbauung; Aufschub: Landbote 1992/134, 1993/258.
      Die andere Stadt in der Stadt: Stadtblatt 1999/28 von Hans Jakob Tobler.
      Wettbewerbsprojekt 1987. Überarbeitung: Tages-Anzeiger 2003/172 [Winterthurer Dok. 2003/74]. - Landbote 2003/240, 249 Abbruch Shedhalle, m.Abb..
      Hausbesetzung durch Linksautonome, wo Wohnungen geplant: Landbote 2004/262 1Abb.
      Sidi-Besetzung: Tages-Anzeiger 2006/55. - Landbote 2006/53 Leserbriefe + Heimatschutz, von Hans Jakob Tobler, 55 Nutzungsvertrag, 67, 131 Besetzung, 229. - Anträge, Anfragen und Interpellationen des Grossen Gemeinderates Winterthur 2006/22. - NZZ 2006/98 S. 55 Besetzung und gestohlener Zürcher Böögg. - Sie; die bleiben: Saiten 2006/£Sept. von Noëmi Landolt, m.Abb.
      Abbruch: Landbote 2006/203 1Abb. --Überbauung Beamtenversicherungskasse Kt. Zürich. Stadt für Minergie: Landbote 2006/140 1Abb., 183 1Abb. - NZZ 2006/184 S. 51.
      Räumung durch Besetzer: Landbote 2007/54.
      Neues Wohnquartier: Landbote 2008/119 m.Abb., 2009/146 Einweihung. - NZZ 2009/204 S. 49 1Abb. - In: Winterthur-Mattenbach : von Backsteinhäusern, Dampfkesselnund Gärten / Hrsg. Stadt Winterthur, Departement Bau,Denkmalpflege. Winterthur : Departement Bau, 2009.
      Verdichtungsprozesse ... : Winterthurer Jahrbuch 2009 von Adrian Mebold und Christian Schwager, m.Abb.
      Verdichtetes Gartenstadt-Quartier: Landbote 2010/135 von Adrian Mebold, m.Abb. - In: Hönig, Roderick:Unterwegs in Zürich und Winterthur : Landschaftsarchitektur und Stadträume 2000-2009, 2009, m.Abb. - Gartenarchitektur: Hochparterre 2009/12 von Claudia Moll, m.Abb.


Autor/In:
Nadia Pettannice
Letzte
Bearbeitung:
16.12.2024