Wissenschaft

Lucie Tanner-Hoppler

Chemikerin, Naturschützerin, 1920–2017

Die Winterthurer Chemikerin Lucie Tanner-Hoppler (1920–2017) folgte 1945 ihrem Mann, dem Auslandschweizer John Tanner nach Tansania. In Mazumbai in den Usambara-Bergen produzierten sie Kaffee, Tee und Chinin, und setzten sich für den Schutz des Urwaldes ein. Aufgrund der politischen und ökonomischen Umstände mussten sie 1982 das Land verlassen und kehrten nach Winterthur zurück.


Geburtsort
Winterthur

Geboren
1920

Gestorben
2017


Lucie Tanner-Hoppler (links) mit Marguerite Ammann (Sekundarlehrerin im Schulhaus Heiligberg, 1881-1960) bei einem Besuch in der Schweiz 1957.
Foto: winbib (Signatur: FotSch_021-002)

Pionierin am Technikum

Lucie Tanner-Hoppler kam am 11.6.1920 in Winterthur als Einzelkind zur Welt. Nach der Sekundarschule und einem Aufenthalt in der Westschweiz besuchte sie die Mädchenschule in Winterthur, wo sie ihr Interesse für Chemie entdeckte. Ab 1938 studierte sie als eine der ersten Frauen Chemie am Technikum. Nach dem Abschluss arbeitete sie ein Jahr lang als Assistentin am Technikum, danach in der pharmazeutischen Abteilung bei Sandoz in Basel.

Von Winterthur in den afrikanischen Regenwald

1945 heiratete Lucie Tanner-Hoppler ihren Studienkollegen und Auslandschweizer John Tanner (1918–2009). Dieser stammte aus Tansania, wo sein Vater seit Anfang des 20. Jahrhunderts lebte und ein Sisalunternehmen führte. John kam mit 15 Jahren für die Ausbildung in die Schweiz, besuchte die Realschule in Trogen (AR) und studierte anschliessend Chemie am Technikum in Winterthur, wo er seine spätere Frau kennenlernte. John wollte sofort nach dem Studienabschluss wieder nach Tansania zurückkehren, doch der Kriegsbeginn verhinderte diese Pläne vorerst.

Nach Kriegsende 1945 heirateten die beiden und wanderten gemeinsam nach Tansania aus. In den Usambara-Bergen im Nordosten des Landes lag mitten im afrikanischen Regenwald auf 1500 m ü. M. ihre neue Heimat Mazumbai.

Der Mazumbai-Wald

Mazumbai hiessen die Plantage und der umliegende Urwald. Dort lebten sie abgeschieden, aber eng verbunden mit der Natur und den Einheimischen. Auf nachhaltige Weise pflanzten sie Kaffee, Chinin und später auch Tee an. Zu ihrem Besitz gehörte auch ein grosses Stück unangetasteter Regenwald, das sie als einen der letzten intakten Bergurwälder von Usambara vor wirtschaftlichen und politischen Interessen zu schützen versuchten. Im Auftrag der Wissenschaft erkundeten sie den Urwald, fotografierten und beschrieben neue Pflanzen- und Tierarten. Mit Unterstützung international bekannter Wissenschaftler:innen und mit dem Aufkommen des Biodiversitätsgedankens gelang es schliesslich, den Wald zum Naturreservat, zur «Mazumbai Forest Reserve», erklären zu lassen. Um das Fortbestehen des Waldes nachhaltig zu sichern, schenkten Lucie und John Tanner ihren Wald 1968 der University of Dar es Salaam, und später ging er an die Sokoine University of Agriculture über.

«Orchideen-Geschichten»

Lucie Tanner-Hoppler arbeitete auf der Plantage als Buchhalterin, kümmerte sich um die vier Kinder und war nebenbei für den Blumen- und Gemüsegarten sowie für die Kühe zuständig. Dazu leitete sie die erste Kortisonfabrik in Kigombe an der Küste Tansanias, die ihr Schwiegervater Anfang 1952 gründete.

Nach dem Wegzug der Kinder – auch diese wurden für die Ausbildung in die Schweiz, u. a. nach Winterthur geschickt – war der Schutz und Fortbestand des Urwaldes eine ihrer Lebensaufgaben. Im Auftrag der Wissenschaft sammelte sie Pflanzen und stand im regen Austausch mit Botanikern aus der ganzen Welt. Insbesondere die Orchideen hatten es ihr angetan. Während ihrer Afrika-Jahre fand sie rund 60 Orchideenarten. Später schrieb sie ihre Erinnerungen an ihr Leben in Mazumbai in einzelnen Geschichten, den «Orchideen-Geschichten», nieder.

Wieder in Winterthur

Knapp vierzig Jahre lebte Lucie Tanner-Hoppler mit ihrem Mann in Tansania. Viele Jahre, in denen sie so manchen Ausnahmezustand miterlebten. Die Unabhängigkeitserklärung Tansanias 1961, Plünderer, Überfälle, Dürre und Hungersnot, Cholera, Missstände und Korruption – Dinge, mit denen Lucie Tanner-Hoppler im Laufe der Jahre zu hadern begann und sogar an eine Rückkehr in die Schweiz dachte. Doch so lange ihr Ehemann weitermachen wollte, machte auch sie weiter. Sie blieben, bis das Leben in dem von wirtschaftlichen und politischen Krisen gebeutelten Land für sie schliesslich unzumutbar wurde. 1982 verliessen sie Tansania endgültig. Zurück in Winterthur widmete sie sich neuen Interessen. Sie beschäftigte sich mit Kunstgeschichte und Geschichte, insbesondere mit der Geschichte des Frühmittelalters sowie ihrer Heimatstadt Winterthur.
Bis ins hohe Alter pflegte Lucie Tanner-Hoppler viele Kontakte, blieb neugierig, besuchte Konzerte und Vorträge. Ebenso war sie regelmässige Besucherin im Münzkabinett Winterthur und hinterliess auch dort in Form von Schenkungen Spuren, darunter afrikanische Münzen.

Mit 97 Jahren verstarb Lucie Tanner-Hoppler am 23.6.2017 in Winterthur.


Benutzte und weiterführende Literatur

Meier, Lukas: Mazumbai. Eine Familiengeschichte zwischen Tansania und der Schweiz, Zürich 2022.
Tanner, Lucie: Orchideen-Geschichten. Erinnerungen an Mazumbai, mit Zeichnungen von Reinhild Raistrick, Winterthur 2001.
Wettstein, Iris: Die Chemie brachte sie nach Tansania, in: Der Landbote, 1.9.2014, S. 5.
Tanner John/Tanner Lucie: Das Tagebuch unserer Hochzeitsreise September - November 1945, Winterthur 2005.

Bibliografie

    Tanner-Hoppler, Lucie, 1920-, Autorin

    • Einträge ab 2011

      Meier, Lukas: Mazumbai. Eine Familiengeschichte zwischen Tansania und der Schweiz. Zürich, 2022. 189 S., m. Abb.

      Einträge 1991–2010

      Biographie: Orchideen-Geschichten, Werbeprospekt: Winterthurer Dok. 2001/9


Autor/In:
Angelina Immoos
Letzte
Bearbeitung:
02.12.2022