Aus dem Bildarchiv

Selfies von damals

Was bis Anfang des 21. Jahrhunderts eine Aufnahme aus dem legendären Schwarz-Weiss-Fotoautomaten war und heute ein Selfie ist, war im vorletzten Jahrhundert die sogenannte «Carte de Visite».


Winterthurer Gymnasialverein, Gruppenbild aus dem "Carte de Visite"-Album von Theodor Reinhart, um 1865.
Foto: winbib (Signatur: ALBU 1.132/3)

Durch ein neues und weit rationelleres Verfahren als jenes der herkömmlichen Porträtfotografie und durch das kleine Format von ca. 6x9 cm erlebte die Porträtfotografie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen starken Aufschwung. Die kleinen Bilder waren erschwinglich für jedermann und erfreuten sich grosser Beliebtheit.

Man sammelte die Bildchen von Familienmitgliedern, Freundinnen und Freunden und hob sie häufig in reich verzierten Alben auf. So tat es auch der Winterthurer Kaufmann Theodor Reinhart (1849-1919) mit den Aufnahmen seiner Freunde aus dem Winterthurer Gymnasialverein (heute Vitodurania). Die jungen Herren, in Frack oder Anzug ins beste Licht gesetzt, wurden in einem Album mit geprägtem Ledereinband in eigens für das Carte de Visite-Format gefertigten Passepartouts fein säuberlich aufbewahrt, nicht nur als Einzelporträts, sondern auch in der Gruppe mit Fass und Trinkhorn.

Auf der Rückseite der auf Karton aufgezogenen Bildchen haben Winterthurer Fotografen wie Johann Linck ihren Absender hinterlassen und empfahlen sich für Nachbestellungen. Es ist davon auszugehen, dass auch in Winterthur unzählige solcher Bildchen über den Ladentisch gegangen sind. In England waren es in den 1860er-Jahren laut Wikipedia zwischen 300 und 400 Millionen jährlich!


Bibliografie


Autor/In:
Regula Geiser
Letzte
Bearbeitung:
09.04.2025