Architektur

Hans-Peter Bärtschi

Architekt, Industriearchäologe, Fotograf, 1950–2022

Hans-Peter Bärtschi (1950–2022) war Architekt, Wirtschaftshistoriker, Industriearchäologe und Fotograf aus Winterthur. Seine Lebensaufgabe bestand darin, industrielle Kulturgüter zu dokumentieren und zu erhalten. Neben zahlreichen Publikationen und Projekten zur Industriekultur und deren Geschichte hielt er diese in mehreren hunderttausend Fotografien fest. Er war ein Pionier auf seinem Gebiet und prägte durch seine Expertise das Bild von Winterthur als Industriestadt massgeblich.


Geburtsort
Zürich

Geboren
23.02.1950

Gestorben
02.02.2022


Hans-Peter Bärtschi, 1982
Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Bärtschi, Hans-Peter / SIK_01-014254 / CC BY-SA 4.0

Frühe Faszination für Eisenbahnen

Hans-Peter Bärtschi wurde am 23. Februar 1950 in Zürich geboren. Er wuchs in einer Arbeiterfamilie auf. Sein Vater arbeitete als Fuhrmann, seine Mutter war Näherin in Heimarbeit. 1957 zog die fünfköpfige Familie nach Winterthur an die Zürcherstrasse im Tössfeld. Dort verbrachte Bärtschi seine Kindheit unweit des Gaswerks, des Fabrikgeländes der Gebrüder Sulzer AG und der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik (SLM) sowie des Rangierbahnhofs. Schon als Kind begeisterten ihn Eisenbahnen und Industriebauten. Oft fuhr er mit dem Velo los, um Eisenbahnen, Bahnhöfe, Fabrikgelände oder andere industrielle Kulturgüter festzuhalten, zuerst mit Stift und Papier, später mit der Kamera.

Vom radikalen Weltverbesserer zum Firmengründer

Bärtschi besuchte die Kantonsschule im Lee. Dort verbrachte er seine Schulzeit in einem grösstenteils bürgerlichen Umfeld als Aussenseiter. Auch in der Pfadi lebte er seine eigenen Ideale und verfolgte als Leiter eine antiautoritäre Erziehung. Dies kam nicht bei allen Eltern gut an.

Ab 1969 studierte Bärtschi Architektur an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich. Während seiner Studienzeit engagierte er sich stark in der 68er-Bewegung, politisierte radikal und trat schliesslich den Maoisten bei. Er reiste in sozialistisch-kommunistische Länder und brachte Fotografien von Industrie, Transport und Technik mit nach Hause. Später arbeitete Bärtschi seine extreme politische Weltanschauung im autobiografischen Buch «Der Osten war rot» (2008) auf.

Nach dem Studienabschluss fand Bärtschi aufgrund seiner politischen Ausrichtung keine Anstellung als Architekt. Obwohl sein Diplom mit dem Friedrich-Preis ausgezeichnet worden war, erhielt er zahlreiche Absagen. Überall hiess es, er sei im Umgang mit Behörden nicht geeignet. Als Linker war er dreifach fichiert und zudem im Archiv von Ernst Cincera verzeichnet. Bärtschi entschied sich deswegen für ein Musikstudium, um Musiklehrer zu werden, bestand jedoch die Abschlussprüfungen nicht. 1979 folgte schliesslich der Schritt in die Selbständigkeit. Er gründete die Firma Arias Industriekultur (Architektur, Industriearchäologie, Stadtentwicklung), die sich für die Dokumentation, Pflege und Restauration von Industriekulturgut einsetzt. 1980 promovierte er als Technik- und Wirtschaftshistoriker mit einer Arbeit über die städtebauliche Entwicklung in Zürich Aussersihl.

«Vergangenheit hat Zukunft»

«Vergangenheit hat Zukunft» oder «Herkunft hat Zukunft» – dies war die Haltung von Hans-Peter Bärtschi als Industriearchäologe. Die historische Industrie und alles, was sie hervorbrachte, verstand er als Grundlage und Teil unserer Kultur, die erhaltenswert ist. Er setzte sich dafür ein, dies so authentisch wie möglich zu bewahren. In seinem Erhaltungsanspruch war er kompromisslos und radikal, was oft auf Gegenwind stiess. Trotzdem konnte er mit seiner Expertise viele historische Bauten vor dem Abriss retten. Dazu gehört beispielsweise die Nagelfabrik Winterthur, die weiterhin mit historischen Maschinen als Produktionsstätte und Schaubetrieb existiert, sowie die ehemalige Baumwollspinnerei in Neuthal bei Bäretswil. Auch bei der Umgestaltung des Sulzer-Areals im Tössfeld wirkte er entscheidend mit.

Neben der Stiftung Industriekultur, die Bärtschi gemeinsam mit seiner Frau Sylvia Bärtschi-Baumann gründete, prägte und lancierte er weitere Institutionen wie den Verein Inbahn. Zudem sensibilisierte er die Öffentlichkeit für seine Anliegen durch zahlreiche Publikationen zur Industriegeschichte, Architekturführer zu Industriedenkmälern sowie Nachschlagewerke und Fachliteratur. Ausserdem verfasste er unzählige Gutachten, kuratierte über 100 Ausstellungen und dokumentierte Industriekulturgut mit Hunderttausenden von Fotografien. Und dies nicht nur in der Schweiz: Mehr als 120 Länder bereiste Bärtschi in seinem Leben.

Auszeichnungen

Die Stadt Winterthur zeichnete Hans-Peter Bärtschi 2008 für seine Verdienste mit dem Kulturpreis aus. 2014 erhielt er den Preis der Landis & Gyr Stiftung für sein Lebenswerk.

Nachlass

Am 2. Februar 2022 ist Hans-Peter Bärtschi kurz vor seinem 72. Geburtstag verstorben. Noch zu Lebzeiten übergab er 2016 sein Fotoarchiv mit rund 380'000 Fotografien der ETH-Bibliothek. Dort wird es seither digitalisiert und online zugänglich gemacht.

Im Bildarchiv der Sammlung Winterthur befinden sich rund 400 weitere Aufnahmen von Winterthurer Häusern und Gebäuden, die Bärtschi in den 1980er- und 1990er-Jahren gemacht hat. Die Stiftung Industriekultur verwahrt sein Papierarchiv, das auf Anfrage ebenfalls einsehbar ist.


Benutzte und weiterführende Literatur

Bärtschi, Hans-Peter: Der Osten war rot. Ein gescheiterter Weltverbesserer (1967–1987), postkommunistische Reportagen (1988–2008), Zürich 2008.
Gmür, Martin: Ein Bewahrer, der neue Wege ging. Nachruf Hans-Peter Bärtschi (1950–2022), in: Der Landbote, 6.2.2022.
Gmür, Martin: Ein Industrie-Besessener präsentiert sein Fotoalbum, in: Der Landbote, 11.10.2016.
Niederhäuser, Peter: Industriekultur in Zürich. Nachruf auf Hans-Peter Bärtschi, in: NZZ, 7.2.2022.
Strehler, Remo: Hans-Peter Bärtschi: ein Winterthurer Markenzeichen, in: Winterthurer Jahrbuch 2016, S. 123–125.

Bibliografie

    Bärtschi, Hans-Peter, 1950-2022, Architekt, Historiker

    • Einträge ab 2011

      Strehler, Remo: Hans-Peter Bärtschi: ein Winterthurer Markenzeichen. In: Winterthurer Jahrbuch 2016. S. 123-125. m.Abb.
      Frei, Werner: Zum Tod von Hans-Peter Bärtschi. In: De Tössemer, Mai 2022, S. 5. m.Abb.
      Kirchheim, Eva: Nachrufe. Hans-Peter Bärtschi. In: Winterthurer Jahrbuch 2022. S. 198. m. Abb.

      Einträge 1991–2010

      Kulturpreis 2008: Landbote 2008/256 1Abb., 283 1Abb., 299 Interview, 1Abb.
      Buch "Der Osten war rot": Landbote 2008/257


Autor/In:
Angelina Immoos
Letzte
Bearbeitung:
22.07.2024