Kirchengebäude

Siechenhaus St. Georgen

Im Mittelalter war der Aussatz (Lepra) weit verbreitet. Die unheilbar kranken Personen lebten ausserhalb der Stadt in Siechenhäusern. Das St. Georgen in Winterthur war im Mittelalter eines von 200 Leprosenhäusern in der Schweiz. Im 17. Jahrhundert wurde es zum Pfrundhaus und 1813 abgerissen.


Um leprakranken Personen Schutz und Pflege zu bieten, errichteten die Behörden sogenannte Leprosenhäuser. Diese befanden sich ausserhalb der Stadtmauern. Rekonstruierter Plan von Winterthur zur Zeit der Schlacht von St.Georgen 1292. Der Plan richtet sich nach der Gygerkarte von 1667. Foto: winbib (Signatur 151215_O)

Die Krankheit Aussatz

Im Mittelalter war der Aussatz, auch Lepra genannt weit verbreitet. Da die Krankheit als sehr ansteckend galt, durften leprakranke Personen nicht ins Spital. Sie wurden aus den Städten vertrieben und viele lebten auf Wanderschaft. Um diesen Personen Schutz und Pflege zu bieten, errichteten die Behörden sogenannte Leprosenhäuser. Diese befanden sich ausserhalb der Stadtmauern. Das Sondersiechenhaus St. Georgen in Winterthur war im Mittelalter eines von 200 Leprosenhäusern in der Schweiz, das leprakranke Personen aufnahm. 

Siechen, Sondersiechen und Feldsiechen

Weil leprakranke Personen isoliert lebten, nannte man sie auch Sondersiechen. Das Wort «Siech» kommt von «siechen» und bedeutet «krank sein». In Winterthur nannte man leprakranke Personen unter anderem «Siechen», «Malatztzigen», «Miselsüchtige» oder «Sondersiechen» sowie «Feldsiechen». Das Absonderungshaus für leprakranke Personen hiess in Winterthur beispielsweise lateinisch «domus leprosum in campum» oder deutsch «Sondersiechenhaus» oder «Siechenhaus am Feld», da es in der Nähe von Veltheim, früher Feldhaim lag. Das Siechenhaus und die Kapelle wurden nach dem heiligen Ritter Georg benannt, der als Schutzpatron der leprakranken Personen und Drachentöter gilt. Der Legende nach teilte er seinen Mantel mit Aussätzigen.

Die Stiftung

Da sich in Winterthur viele Verkehrswege kreuzten, war im Mittelalter auch hier ein Siechenhaus nötig. Die Stadt suchte ausserhalb der Stadtmauern nach einem geeigneten Bauplatz, damit leprakranke Personen isoliert von der städtischen Gemeinschaft für sich leben konnten. Herzog Rudolf II. von Österreich (1260-1290), der auf der Kyburg residierte und der oberste Schirmherr von Winterthur war, stiftete laut Urkunde am 24. Mai 1287 den «Feldsiechen von Winterthur» ein Stück Land nördlich der Stadtmauer zwischen dem Schmidtor und Veltheim samt einer Kapelle. Das Land eignete sich aus verschiedenen Gründen für den Bau eines Siechenhauses für leprakranke Personen: Es lag im Norden der Stadt, was die unbeliebteste Himmelsrichtung war. Es befand sich in der Nähe des Schelmenackers (heutige Schwalmenackerstrasse), wo die zum Tode verurteilten Verbrecher, nachdem sie ihr letztes Gebet in der Kapelle verrichtet hatten, verscharrt wurden. Zudem lag das Sondersiechenhaus an einer Ausfallstrasse. So konnten die Insassen bei den Passanten um Almosen betteln. Auch in Bezug auf die Wasserversorgung war der Ort ideal: An der gewählten Stelle floss nur ein kleines Bächlein stadtauswärts. Die übrige Wasserversorgung durch die Quellen vom Lindberg und von Eschenberg sowie der Eulach und dem Mattenbach kam nicht mit den Sondersiechen in Berührung. Diese waren angehalten, nur aus diesem Bächlein zu trinken und sich sowie ihre Kleider zu waschen. 

Ein Siechenpfleger übernahm die Pflege

Die Insassen pflegte ein Siechenpfleger. Das von einer Mauer eingefasste Siechenhaus St. Georgen war dem kleinen Rat der Stadt Winterthur unterstellt. Am Albanitag wählte der kleine Rat einen Siechenpfleger. Dieser hatte für Ordnung zu sorgen und die Rechnung über Einnahmen und Ausgaben zu führen und dies dem Siechenamt, das Teil der alten Stadtverwaltung war, vorzulegen. Während die ersten Siechenpfleger noch keinen Lohn erhielten, waren sie später gut entlöhnt.

Finanzierung des Siechenhauses

Bereits 1294 erlaubte Albrecht von Österreich dem Siechenhaus, Geschenke anzunehmen und Grundstücke zu erwerben. Das Siechenhaus besass eine grosse Anzahl zinspflichtiger Höfe, die dem Siechenamt Naturalabgaben leisten mussten. Zu den Zinsen kamen das Eintrittsgeld von wohlhabenden kranken Personen sowie von Stiftungen und Schenkungen, und ein Teil der Kirchenalmosen. Zudem durften die kranken Personen an der Strasse betteln oder mit Erlaubnis auch in der Stadt. Dabei mussten sie jedoch Menschenansammlungen meiden. Auch das Vermögen von wohlhabenden Aussätzigen fiel nach deren Tod vollständig an das Siechenhaus. 

Aus dem Siechenhaus wird ein Pfrundhaus

Nach dem Rückgang der Lepra wurde im 16. Jahrhundert aus dem Siechenhaus allmählich ein Pfrundhaus, das heisst ein Armen- und Altersheim. 1681 war von den Neuaufgenommenen niemand mehr krank. 1784 wollte die Stadt gar keine leprakranken Personen mehr aufnehmen. Sie sollten abgewiesen werden. In der Pfrundanstalt gab es neben den Muspfründern auch Inhaber der guten Pfrund. Die Verpflegung der Inhaber der guten Pfrund war gut, die der Muspfründer hingegen war sehr viel weniger reichhaltig. Da alle im gleichen Speisesaal assen, war der Neid natürlich allgegenwärtig.

Haus für unliebsame Bürger:innen

Im 17. Jahrhundert wurde das Siechenhaus, das dem kleinen Rat unterstellt war, zunehmend gebraucht, um unliebsame Personen loszuwerden. So war aus der Krankenanstalt zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine Versorgungsanstalt für altersschwache, arbeitsunfähige und kränkliche Personen geoworden. Aus diesem Grund verfügte der Stadtrat 1813 die Auflösung des Siechenhauses. Zu diesem Zeitpunkt öffnete das neue bürgerliche Pfrundhaus 1814 am Neumarkt. 1828 wurde das baufällige Gebäude abgerissen. Die Kapelle St. Georgen diente noch einige Jahrzehnte als Abdankungskapelle bis der dazgehörende Friedhof 1870 verlegt wurde. 

Benutzte und weiterführende Literatur

Gantenbein, Urs Leo: Schwitzkur und Angstschweiss. Praktische Medizin in Winterthur seit 1300. Neujahrsblatt der Stadtbibliothek, 1997. S. 262-266.
Ziegler, Peter: Vom Siechenhaus St. Georgen in Winterthur. In: Winterthurer Jahrbuch, 1968. S. 61-79.

Bibliografie

    Siechenhaus St. Georgen

    • Einträge ab 2011

      Felix, Christian: Für Arme das Spital, für Sieche das Gebet. In: Winterthurer Zeitung, Nr. 4 (2022). S. 15. m.Abb.

      Einträge 1991–2010

      Landbote 1994/184 von Alfred Häberle, 1Abb.


Autor/In:
Karin Briner
Letzte
Bearbeitung:
18.02.2025