Siedlungen

Siedlung Hardau

Die Siedlung Hardau am westlichen Stadtrand von Winterthur im Stadtkreis Wülflingen entstand von 1943 bis 1946 durch die Genossenschaft an der Langgasse nach den Plänen des bekannten Winterthurer Architekten Franz Scheibler. Die relativ kleinen Doppel-Einfamilienhäuser vermietete man damals ausschliesslich an kinderreiche Familien mit tiefen Einkommen.


Baujahr
1943–1946


Luftaufnahme der Siedlung Hardau um 1946.
Signatur: winbib (Hardau_2_1)

Die Genossenschaft an der Langgasse und Architekt Scheibler

Seit ihrer Gründung im Jahr 1928 hat sich die Genossenschaft an der Langgasse zur Aufgabe gemacht, einfache und günstige Wohnungen für Familien mit vielen Kindern und wenig finanziellen Mitteln zu bauen. Bis 1943 erstellte sie über 200 Wohnungen. Der Zweck der Handwerkergenossenschaft war es, den Mitgliedern Arbeit zu beschaffen und sich am gemeinnützigen Wohnungsbau zu beteiligen. Frank Scheibler war als Architekt für die Genossenschaft an der Langgasse tätig. Er war bei der Gründung mit dabei und realisierte in deren Auftrag unter anderem an der Langgasse, beim Deutweg und an der Wülflingerstrasse mehrere Mehrfamilienhäuser. 

Die Siedlung Hardau

Während dem Zweiten Weltkrieg wurde die Wohnungsnot in der Stadt Winterthur immer grösser. Deshalb entschloss sich die Genossenschaft an der Langgasse nach dem Bau der Siedlung Aeckerwiesen-Wartstrasse eine zweite Siedlung in der Hardau zu bauen. Die Siedlung Hardau war eines der ersten Projekte der Stadt Winterthur, das durch das Wohnförderungsprogramm des Bundes und der Kantone mitfinanziert wurde.  Gemeinnützig bauen bedeutete damals einfache Wohnungen zu erstellen und diese zum Selbstkostenpreis an kinderreiche Familien mit kleinem Einkommen abzugeben. 

Der Bauplatz

Die Baugenossenschaft wählte die grosse Wiese beim Hard an der Töss unterhalb der Station Wülflingen zwischen Taggenberg und Beerenberg als Bauplatz für die neue Siedlung. Das Land in Wülflingen gehörte dem Unternehmer und Ingenieur Hans Stüdli und lag fernab der Stadt. Noch Mitte des 19. Jahrhunderts war das Land neben der Töss mehrheitlich bewaldet. Da die mäandrierende Töss das Gebiet immer wieder überschwemmte, war der Boden kiesig und eignete sich nicht für die Landwirtschaft.

Kleine Wohnungen und Gärten zur Selbstversorgung

1943 legte der Winterthurer Architekt Franz Scheibler die ersten Baupläne für die Siedlung Hardau vor. Auf Geheiss der Stadt musste er diese jedoch nochmals überarbeiten. Bald folgte der definitive Plan für den Bau von 41 Doppeleinfamilienhäusern mit grossen Gärten. Insgesamt entwickelte Architekt Franz Scheibler für die Hardau fünf verschiedene Gebäudetypen. Diese unterschieden sich einerseits aufgrund ihrer Lage und andererseits in ihren Grundrissen. Da während des Krieges Baumaterialien rar waren, mussten die kleinen Einfamilienhäuser kostengünstig gebaut werden. Jedes Haus war sieben mal sieben Meter gross und bot Platz für insgesamt sechs Betten pro Familie. In der Stube befand sich ein kleiner Kachelofen, der von der Küche her beheizt wurde. Es gab nur kaltes Wasser und ein Plumpsklo. Um Kosten zu sparen, wurden die Häuser schliesslich mit weniger Fenstern gebaut, als ursprünglich geplant. Rückseitig besass jedes Haus einen 400 Quadratmeter grossen Garten. Dieser ermöglichte es den Familien, sich selbst mit Lebensmitteln zu versorgen. So kamen sie trotz kleinem Einkommen über die Runden. Die Häuser waren zudem mit einem Ökonomieteil ausgestattet. In den Schöpfen, die die einzelnen Häuser verbanden, lagerten die Bewohner:innen nicht nur Holz, Heu und Gartengeräte, sondern hielten auch Hühner und Kaninchen. Die Realisierung der Häuser erfolgte in vier Etappen von 1943 bis 1946.

Die Not lindern

Nebst der Selbstversorgung betrieben viele Hardauer:innen Heimarbeit oder vermieten ihre Zimmer und den Estrich an Gastarbeitende. Einige Familien nahmen jeweils pro Saison bis zu sechs Untermieter:innen aus Italien auf.

Subventionierte Wohnungen

Wer eine Wohnung beziehen wollte, musste verheiratet sein, mindestens zwei Kinder haben, über ein geringes Einkommen verfügen und Schweizer Staatsbürger:in sein. Zwei Jahre nach dem Bezug erhielten die Bewohner:innen die Möglichkeit, ihr Haus zu kaufen. Bedingung dafür war, dass sie sicherstellten, das Haus instand zu halten und den Garten intensiv zu nutzen. Der Preis für die Häuser betrug zwischen 20'000 und 28'000 Franken. Da die meisten Bewohner:innen nicht über so viel Kapital verfügten, mussten sie das Geld leihen oder aufnehmen. Oft half auch der Arbeitgeber aus, der seine Mitarbeitenden so an sich binden konnte.

Das Ghetto von Winterthur

In der Anfangszeit hatte die Siedlung Hardau keinen guten Ruf. Das Arbeiterviertel galt als «Ghetto» von Winterthur. Regelmässig fuhr ein Streifenwagen vorbei. Öfters kam es zu Streitereien, Verleumdungen oder übler Nachrede unter den Bewohner:innen. In der Hardau herrschte ein rauer Umgangston. Nach aussen hielten die Hardauer:innen jedoch wie Pech und Schwefel zusammen.

Städtebauliche Zeugin des wirtschaftlichen und sozialen Umfeldes

Die Siedlung Hardau ist ein wichtiges Zeugnis des wirtschaftlichen, politischen und sozialen Umfelds der Kriegs- und Nachkriegsjahre. Im Jahr 2014 legte die Stadt einen öffentlichen Gestaltungsplan fest. Dieser regelt die zukünftige Bautätigkeit der Siedlung. 2016 nahm die Stadt die Siedlung ins Inventar der schutzwürdigen Bauten auf.


Benutze und weiterführende Literatur

Siedlung Hardau. In: Stadt Winterthur, Amt für Städtebau, Denkmalpflege (Hrsg.): Schutzwürdige Bauten der Stadt Winterthur. Nachschlagewerk für Eigentümer, Planende und Kulturinteressierte, winterthur, 2017. S, 144-145. m.Abb. 

Bänziger, Kathrin: Leben im Wilden Westen. In: Leben in der Hardau. Winterthurer Wohnbaupolitik und die Wohnkolonie Hardau. Neujahrsblatt der Stadtbibliothek Winterthur, Band 358 (2021). Chronos, Zürich, 2020. S. 11-62.

Huber, Werner: Welche Zukunft hat die Hardau? In: Leben in der Hardau. Winterthurer Wohnbaupolitik und die Wohnkolonie Hardau. Neujahrsblatt der Stadtbibliothek Winterthur, Band 358 (2021). Chronos, Zürich, 2020. S. 63-96.

Niederhäuser, Peter: Vom Arbeiterhaus zur «Primitivsiedlung: Die Hardau im Kontext der Winterthurer Wohnbaupolitik. In: Leben in der Hardau. Winterthurer Wohnbaupolitik und die Wohnkolonie Hardau. Neujahrsblatt der Stadtbibliothek Winterthur, Band 358 (2021). Chronos, Zürich, 2020. S. 63-96.

Scheibler, F. Die Kolonie in der Hardau der Baugenossenschaft «Langgasse» in Winterthur. 
Steinmann, Martin: ... ein Mensch, der das Einfache und Normale wollte. Franz Scheibler und seine Bauten 1924-45. in: archithese 6-83 (1983), S. 9–17.  

Bibliografie

    Siedlung und Quartierverein Hardau

    • Einträge ab 2011

      Müller, Thomas: Die Hardau- der Wilde Westen Winterthurs. Geschichten aus den Anfängen des Quartiers. Winterthur, 2019. S.185. ill.
      Felix, Christian: Kinderwonne in der Wohnkolonie. In: Winterthurer Zeitung, Nr. 40 (2021). S. 16. m.Abb.
      Bänziger, Kathrin; Huber, Werner; Niederhäuser, Peter u.a.: Leben in der Hardau. Winterthurer Wohnbaupolitik und die Wohnkolonie Hardau. Neujahrsblatt der Stadtbibliothek Winterthur; Bd. 358. Zürich, 2020. S. 120, ill.

      Einträge 1991–2010

      50 Jahre: Landbote 1997/133 1Abb. - Wülflinger Dorfspatz 1997/3 von Natascha Battus, m.Abb.


Autor/In:
Karin Briner
Letzte
Bearbeitung:
11.10.2024