Öffentliche Bauten

Schlachthof

Städtisches Schlachthaus

Im Mittelalter gab es in Winterthur zwei Metzgereien. Nach der Reformation baute man 1534 an der Metzggasse, Ecke Steinberggasse, eine gemeinsame Metzgerei. Am selben Ort errichtete man 1614 einen Neubau. 1833 verlegte die Stadt das Schlachthaus an die Technikumstrasse. 1940 bezogen die Metzger erneut einen Neubau, den Schlachthof Nägelsee in Töss.


Schlachthaus an der Metzggasse, Ecke Steinberggasse. Aquarell von Jakob Ziegler-Sulzberger, 1867
Foto: winbib (Signatur 022807_O)

Das alte Schlachthaus an der Metzggasse

Während in den ländlichen Gebieten die Metzger ohne Ausbildung arbeiten durften, waren die Metzger in der Stadt ab dem Spätmittelalter in Zünften organisiert und mussten sich an die geltenden Zunftnormen halten. Das Schlachthaus unterstand der Aufsicht des städtischen Rats. Dieser regelte die Verteilung der Fleischbänke (Verkaufsstellen) und vermietete sie den Metzgern gegen eine Gebühr. Die begrenzte Anzahl Fleischbänke führte dazu, dass nur eine bestimmte Anzahl Metzger in der Stadt tätig sein konnte. So war die Fleischversorgung gewissermassen monopolisiert. In Winterthur gab es vor der Reformation zwei Metzgereigebäude. Eines befand sich in der Oberen Vorstadt, das andere beim damaligen Rindermarkt. Nach der Reformation wurden die beiden Schlachthäuser 1534 an der Metzggasse, Ecke Steinberggasse zusammengelegt und 1614 am selben Ort durch einen zwanzig Meter langen, dreiteiligen Neubau ersetzt. So wurde 300 Jahre lang, bis 1833, mitten in der Stadt an der Metzggasse geschlachtet und Fleisch verkauft. 

Der alte Schlachthof muss weg

Im Zuge der Modernisierungen der Stadt, die mit der Aufschüttung der Gräben und dem Abriss der Stadttore in den 1830er-Jahren begann, störten sich die Anwohnenden zunehmend an den Geruchs- und Lärmemissionen des Schlachthauses im Stadtkern. Der Ruf nach einem modernen Schlachthof ausserhalb der Stadt oder am Stadtrand wurde laut. Daher verlegte die Stadt 1833 das Schlachthaus von der Metzgasse an die Technikumsstrasse. Der Neubau, der wegen seines modernen Designs und der höheren Gebühren von den Metzgern als palastähnlich wahrgenommen wurde, erfuhr alle 15 Jahre eine Erweiterung, zuletzt im Jahr 1906. 1910 verlangte eine Verordnung des Zürcher Regierungsrats, dass ausländisches Schlachtvieh nur noch eingeführt werden darf, wenn das Schlachthaus über einen direkten Anschluss an die Eisenbahn verfügt. Nach eingehender Überprüfung kam die Stadt zum Schluss, dass es unmöglich sei, das Schlachthaus an die neuen Anforderungen anzupassen. Ein neuer Standort musste gesucht werden. Dabei wurde auch über die Aufhebung und Zusammenlegung der Schlachthäuser der Vorortsgemeinden diskutiert. Neben dem Winterthurer Schlachthaus gab es in Oberwinterthur und in Seen je ein privat geführtes Schlachthaus sowie in Töss, Veltheim und Wülflingen je ein Gemeindeschlachthaus. 1914 fiel die Wahl für den Bau auf den Oberen Deutweg. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs verhinderte jedoch die Realisierung der Pläne, und die Suche nach einem geeigneten Standort wurde erst Jahre später nach der Stadtvereinigung 1922 wiederaufgenommen. 

Der modernste Schlachthof Europas

Als neuer Bauplatz wurde 1933 das Nägelsee-Areal in Töss bestimmt. Für den Bau beauftragte die Stadt die Architekten Sträuli & Rüeger. Wegen der hohen Arbeitslosigkeit, die zu dieser Zeit herrschte, begann der Bau der Anlage sofort nach der Kreditfreigabe. Neben der Anlage bauten die Architekten auch das Wirtshaus Nägelsee. Es sollte mit seinem «etwas behäbigen und soliden ländlichen Einschlag einen Gegensatz zur reinen Sachlichkeit seiner Umgebung» bieten, wie es in der Schweizerischen Bauzeitung 1940 hiess. 1939 war der Schlachthof Nägelsee fertiggestellt. Er galt als modernster Schlachthof Europas. Der Zweite Weltkrieg verhinderte jedoch seine sofortige Inbetriebnahme, da die Kühlräume vorerst dem Amt für Kriegswirtschaft für die Einlagerung von Gemüse zur Verfügung gestellt werden mussten. Erst Ende der 1940er Jahre konnte der Schlachthof den geplanten Betrieb vollständig aufnehmen und 1946 begann der Abbruch des alten Schlachthauses.

Neuüberbauung auf dem ehemaligen Schlachthofareal

Anstelle des alten Schlachthofareals entstanden an der Technikumstrasse mehrere Geschäftshäuser. Der Stadtrat erliess 1946 eine Spezialbauordnung, um die Technikumstrasse zu verbreitern. Diese Massnahme war aufgrund des zunehmenden Verkehrsaufkommens notwendig. In der Bauordnung legte die Stadt eine Arkadenbaulinie fest, um das Trottoir ins Hausinnere zu verlegen. Verschiedene Architekturbüros realisierten die Häuser. Das Geschäftshaus mit dem Kino Palace an der Technikumstrasse 84 wurde vom Architekten Walter Hitz erstellt. Das Geschäftshaus Paul Reinhart und Co. wurde von den Architekten Sträuli & Rüeger gebaut. Trotz unterschiedlicher Bauweise bilden die Häuser durch die auf Pfeilern gebauten Arkaden eine Einheit.

Der Schlachthofbetrieb im Nägelsee

Im Zuge des Baus des neuen Schlachthofs Nägelsee gründete sich die Genossenschaft Metzgermeisterverein Winterthur. Die Stadt stellte der Genossenschaft alle Gebäude und Betriebseinrichtungen zur Miete zur Verfügung. Sie kümmerte sich um den Unterhalt der Maschinen, den Betrieb der Waage sowie um die Reinigungs-, Stall- und Verwaltungsarbeiten. Da in der Stadt Winterthur Schlachthofzwang herrschte, mussten alle gewerblichen Schlachtungen im Schlachthof Nägelsee durchgeführt werden. Eine Ausnahme bildeten nur die Hausschlachtungen, die unter bestimmten Bedingungen noch längere Zeit toleriert wurden. So konnten die Immissionen in den verschiedenen Stadtteilen reduziert und im abgelegenen Areal im Nägelsee konzentriert werden. Ebenso wollte die Stadt mit der Zusammenlegung eine bessere Verarbeitung der Nebenprodukte (Kutteln, Därme, Häute und Knochen) sowie eine genauere Kontrolle der Abfallbeseitigung, wie zum Beispiel der Abwässer, ermöglichen. In der Nachkriegszeit nahm das Schlachtgewicht ständig zu und erreichte 1968 mit 6,16 Millionen Kilogramm einen Höchststand. Ende der Sechzigerjahre genügte der Betrieb den aktuellen technischen Anforderungen nicht mehr. 1973 bewilligten der Grosse Gemeinderat und die Stimmberechtigten Winterthurs für die Modernisierung des Schlachthofs Nägelsee einen Kredit von über 2 Millionen Franken. In der Folge konnte der Schlachthof 1974 nochmals modernisiert werden.

Schliessung des städtischen Schlachthofs

 Mit den Jahren nahm das traditionelle Metzgergewerbe immer mehr ab, und es wurden zusätzliche Mieter:innen für den Schlachthof gesucht. Von 1962 bis 1969 mietete die Micarna der Migros den Schlachthof Nägelsee, bis sie 1969 einen eigenen Schlachthof in Bazenheid in Betrieb nahm. An ihre Stelle trat die Firma Kropf & Müller (später Carnag AG). 1979 gewann die Firma Bell einen neuen Grosskunden, der neben der Genossenschaft Metzgermeisterverein Winterthur und der Carnag AG 60 Prozent des Betriebs auslastete. Als Bell 1982 seine Schlachtungen nach Hinwil verlegte, geriet der Betrieb erneut in eine Krise, und bald war klar, dass die Weiterführung des Betriebs nicht mehr möglich war. Sanierungen in Millionenhöhe standen an. Zudem war die Konkurrenzfähigkeit nicht mehr gegeben. Nach einigen gescheiterten Kaufverhandlungen musste die Stadt den Schlachthof am 30. Juni 1983 schliessen. Seither hat Winterthur keinen eigenen Schlachthof mehr.


Benutzte und weiterführende Literatur

Geschäftshaus mit Kino Palace und Geschäftshaus Paul Reinhart und Co. Technikumstrasse 82 und 84. in: Schutzwürdige Bauten der Stadt Winterthur. Ergänzung um neuere Bauten und Freiräume bis 1980. Hrsg. Denkmalpflege der Stadt Winterthur, Winterthur, 2013. S. 90-93. 
Hablützel, Emil: Der neue Schlachthof Winterthur: Architekten Sträuli & Rüeger, Winterthur. in: Schweizerische Bauzeitung, Band 116, Heft 13 (1940). S. 141-148.
Müller, Henry: Die Geschichte des Schlachthofes Nägelsee. in: De Tössemer, Nr. 1 (1984).
Widmer, Hans im Namen des Stadtrates: Antrag: Für den Bau eines Schlachthofes auf dem Areal «Nägelsee» … Winterthur, 1936.

Bibliografie

    Schlachthof

    • Einträge ab 2011

      Briner, Karin: Der modernste Schlachthof Europas. In: De Tössemer, September 2022. S. 7. m. Abb.

      Einträge 1991–2010

      Zukunft: Winterthurer Arbeiterzeitung 1992/289.
      Keine Übernahme durch Rieter AG: Winterthurer Arbeiterzeitung 1993/59. - Landbote 1993/62. - Anträge, Anfragen und Interpellationen des Grossen Gemeinderates Winterthur 1993/12.
      Rechtsstreit Rieter-Milchverband: Landbote 1993/155.
      Kein Rückkauf durch Stadt: Landbote 1995/68. - NZZ 1995/69 S. 57.
      Vergammelt: Stadtblatt 1998/53 m.Abb.
      Zukunft Areal ? Landbote 1999/233.
      Käufer HG Commerciale: Landbote 2006/272 1Abb.
      Abbruch: Landbote 2007//123 1Abb. - Tössemer 2007/4 von Henry Müller, 1Abb.
      Erinnerungen: Landbote 2008/132 m.Abb.


Autor/In:
Karin Briner
Letzte
Bearbeitung:
23.09.2024