Verwaltung
Stadtbibliothek am Kirchplatz
Die Stadtbibliothek ist die grösste öffentliche Bibliothek Winterthurs mitten in der Altstadt am Kirchplatz. Zusammen mit den sechs Quartierbibliotheken und der Sammlung Winterthur bildet sie das Netz der Winterthurer Bibliotheken. Über die Medienausleihe hinaus bietet sie der Winterthurer Bevölkerung einen Makerspace, ein Bild- und Tonstudio, eine Cafeteria und ein umfassendes Veranstaltungs- und Beratungsprogramm an. Die Stadtbibliothek wurde 1660 als Bürgerbibliothek gegründet. Ihr historischer Buchbestand geht bis in die Anfänge des Buchdrucks zurück.
Adresse
Stadtbibliothek Winterthur
Obere Kirchgasse 6
8400 Winterthur
Der erste Standort der Bürgerbibliothek: Das Hinwilerhaus, rechts neben dem Obertor, hier im Stadtmodell von 1811 im Museum Lindengut
Foto: winbib, Peter Engler (Signatur 010454)
Gründung als Bürgerbibliothek
Die Stadtbibliothek hat sich aus der historischen Bürgerbibliothek entwickelt. Als Gründungsdatum gilt der 11. November 1660. An diesem Tag schrieb der Winterthurer Bürger Hans Heinrich Meyer das Vorwort zum «Donatorenbüchlein», mit dem er auf die Suche nach Geld, Büchern und Baumaterial für eine Bürgerbibliothek ging. Gemäss der Gründungsgeschichte sollen aber bereits am 6. Mai dieses Jahres vier Männer aus dem Kreis des Musikkollegiums, darunter Meyers Sohn Jacob, bei einem Spaziergang auf dem Heiligberg den Beschluss zur Gründung einer Bürgerbibliothek gefällt haben. Sie lagen damit im Trend der Zeit: Zürich gründete 1629 eine entsprechende Einrichtung, Schaffhausen 1636.
Die erste Bürgerbibliothek war im Hinwilerhaus untergebracht, am Ort der heutigen Rathaus-Apotheke beim Obertor. 1662 zog sie ins Rathaus, wo sie bis 1842 blieb, als sie ins Knabengymnasium, das heutige Kunst Museum Winterthur Reinhart am Stadtgarten, umzog.
Professionalisierung im 19. Jahrhundert
Die erste Bibliothek sammelte nicht nur Bücher, sondern auch Gemälde, Naturgegenstände, antike Münzen und Curiosa wie etwa die Turmuhr der Stadtkirche, die durch einen Blitzschlag im 17. Jahrhundert eingeschmolzen war. Erst 1727 erhielt die Bibliothek ihren ersten Katalog – vorher hatten sich die Bücher lediglich anhand der Gestellordnung auffinden lassen. 1777 erschien ein gedruckter Katalog. Eine Professionalisierung erfuhr die Bibliothek unter der Leitung des Landschreibers und Schriftstellers Ulrich Hegner (im Amt 1789–1833); er verfasste auch einen neuen Gesamtkatalog sowie mehrere gedruckte Kataloge. Weitere Schritte hin zu einer modernen Bibliothek erfolgten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch die Übergabe der meisten Kunstwerke an den Kunstverein (1865) und die Ausgliederung der naturhistorischen Sammlungen – zu der inzwischen auch noch eine völkerkundliche Sammlung kam – in einen eigenständigen Betrieb (1881). Neben den Büchern verblieb nur noch die Münzen- und Antikensammlung in der Stadtbibliothek (bis 1982).
Der historische Buchbestand der Stadtbibliothek umfasst rund 100'000 Bücher, die vor 1900 erschienen sind, darunter 167 Bände, die vor 1500 gedruckt wurden. Diese Bücher werden heute von der Sammlung Winterthur betreut.
Von der Bürger- zur Stadtbibliothek
Im Jahr 1873 wurde die Bürgerbibliothek in eine Stadtbibliothek umgewandelt. Sie verblieb zwar bis 1914 weiterhin im Besitz der Bürgergemeinde, stand nun aber allen Einwohnerinnen und Einwohnern Winterthurs offen. Dem Selbstverständnis der aufstrebenden Industrie- und Bildungsstadt Winterthur entsprechend, entwickelte sie sich zur Studien- und Bildungsbibliothek. Die finanzielle Krise der Stadt als Folge des Nationalbahn-Debakels führte ab 1878 vorübergehend zu einer starken Reduktion des Bibliotheksbudgets. Dennoch stellte die Stadtbibliothek 1888 mit Charles Biedermann den ersten vollamtlichen Bibliothekaren an. Sein Nachfolger Hans Barth (im Amt 1902–1909) war zudem der erste ausgebildete Stadtbibliothekar.
Von der Bildungs- zur öffentlichen Bibliothek
1916 bezog die Stadtbibliothek ihren Trakt im neuen Museums- und Bibliotheksgebäude an der Museumstrasse 52, zusammen mit dem naturhistorischen Museum und dem Kunstmuseum. Der Bau vereinte Lesesaal, Schalter, Büros und die Magazine, die den grössten Teil des Raums einnahmen. Die Stadtbibliothek blieb bis 2003 in diesen Räumen, die Studienbibliothek bis 2016. Das Münzkabinett wurde 1982 aus der Stadtbibliothek ausgegliedert und zog als selbständige Organisation in die Villa Bühler nebenan.
Seit der 1960er-Jahren gingen die Ausleihzahlen der Stadtbibliothek ständig zurück. Ihr Profil als Forschungs- und Bildungsbibliothek entsprach dem Bedürfnis der Winterthurer Bevölkerung nicht mehr. Unter der Leitung von Rolf Weiss (im Amt 1984–2004) vollzog die Stadtbibliothek daher den Schritt zur modernen öffentlichen Bibliothek mit Freihandausleihe von Büchern, Tonträgern und Videos. 1997 wurde der erste provisorische Freihandbereich auf zwei Magazinetagen der Stadtbibliothek eingerichtet.
Die Stadtbibliothek am Kirchplatz
Mit dem Umbau der beiden Altstadthäuser «Tösserhaus» und «zum Blumengarten» am Kirchplatz zur neuen Stadtbibliothek bot sich die Chance, das Konzept der öffentlichen Bibliothek konsequent umzusetzen. 2003 erfolgte der Umzug an den neuen Bibliotheksstandort. Selbstausleihe und -rückgabe gehörten seit Anfang zum Konzept – die Stadtbibliothek nahm damit in Europa eine Vorreiterrolle ein. Organisatorisch hatten sich die Stadtbibliothek und die Quartierbibliotheken schon 1995 zum gemeinsam geleiteten Netz der Winterthurer Bibliotheken zusammengeschlossen. Nach dem Umzug der Stadtbibliothek an den Kirchplatz verblieben die Sondersammlungen unter dem Namen Studienbibliothek als weiterer Bibliotheksstandort bis 2016 im alten Bibliotheksgebäude. Sie sind heute als Sammlung Winterthur an der Oberen Kirchgasse 8 neben der Stadtbibliothek beheimatet.
Die Stadtbibliothek als Haus des Wissens
Die Winterthurer Bibliotheken gliedern ihr Angebot gemäss einem dänische Bibliotheksmodell in die vier Themenräume Inspiration, Lernen, Begegnen und Umsetzen. Die Stadtbibliothek versteht sich als ein Haus des Wissens. Der Themenraum Inspiration umfasst das Medienangebot, das Anfang 2022 aus 725’000 Büchern, CDs, DVDs und Zeitschriften besteht, sowie das Veranstaltungsangebot und Ausstellungen. Im Themenraum Lernen sind Arbeitsplätze und Lernveranstaltungen sowie ein grosses Angebot an Arbeitsmitteln zur spielerischen Einführung in die Robotik und die Informatik zusammengefasst. Zum Themenraum Begegnen gehören die Cafeteria, eine Leselounge und Veranstaltungen, die dem Dialog zwischen Generationen und Kulturen dienen. Dem Themenraum Umsetzen sind ein grosser Makerspace (das Atelier im 4. Stock), ein Bild- und Tonstudio, PC-Stationen zur Digitalisierung analoger Medien sowie wiederum ein grosses spezifisches Veranstaltungsprogramm zugeordnet. Im Jahr 2019 hat die Stadtbibliothek 282 Veranstaltungen mit gegen 9000 Teilnehmenden sowie 200 Klassenbesuche und -lektionen durchgeführt. Sie verfügt dafür über den Veranstaltungsraum «tiefrot» mit 80 Plätzen und verschiedene weitere Räume. Bedingt durch die Corona-Pandemie lagen die Veranstaltungszahlen 2020 und 2021 markant tiefer.
Stadtbibliothekare und Leiter/innen der Winterthurer Bibliotheken seit 1789
Jahre | Name |
1789-1833 | Ulrich Hegner |
1834-1876 | Emanuel Steiner |
1872-1887 | Albert Hafner |
1888-1901 | Charles Biedermann |
1902-1909 | Hans Barth |
1909-1928 | Heinrich Brunner |
1929-1966 | Emanuel Dejung |
1966-1982 | Peter Sulzer |
1982-2004 | Rolf Weiss |
2004-2021 | Hermann Romer |
seit 2021 | Franziska Baetcke |
Benutzte und weiterführende Literatur
Göth, Christl u.a. (Hg.): Präsent. Zum 350-Jahr-Jubiläum der Winterthurer Bibliotheken (Neujahrsblatt der Stadtbibliothek Winterthur 344), Winterthur 2010.
Weiss, Rolf (Hg.): Neue Stadtbibliothek in mittelalterlichen Mauern. Geschichte und Gegenwart der neuen Stadtbibliothek und «Tösserhauses» in Winterthur (Neujahrsblatt der Stadtbibliothek Winterthur 334), Winterthur 2003.
Dejung, Emanuel u. a.: 300 Jahre Stadtbibliothek Winterthur 1660–1960 (Neujahrsblatt der Stadtbibliothek Winterthur 291), Winterthur 1960.
- Autor/In:
- Andres Betschart
- Letzte
- Bearbeitung:
- 05.04.2023