Hotels und Gastronomie

Hotel zum goldenen Löwen / Hôtel du Lion d'Or

Unterer Graben 1

1836 kaufte der Metzger Rudolf Bindschedler das Eckhaus und die beiden Nebenhäuser am Unteren Graben 1. Er liess alle drei abreissen und baute an ihrer Stelle das Hotel zum goldenen Löwen. Das Hotel nahm im gesellschaftlichen Leben von Winterthur bald eine wichtige Rolle ein. 1952 wurde der Betrieb eingestellt und das Hotel durch einen Verwaltungsneubau der Genossenschaft Krankenfürsorge Winterthur ersetzt.


Baujahr
1846–1854

Abriss
1952


Adresse
Unterer Graben 1
8400 Winterthur

Der Holderplatz vor dem Abriss des Holdertors 1836.
Foto: winbib, Jakob Ziegler-Sulzberger (Signatur 020276_O)

Der Holderplatz im Zuge der Modernisierung der Stadt

Nachdem im 16. Jahrhundert die militärische Bedeutung der mittelalterlichen Stadtbefestigung immer mehr abgenommen hatte, entfernte die Stadt am Holdertor 1763 als erstes die Zugbrücke. 1835 wurde im Zuge der Modernisierung der obere und der untere Graben zugeschüttet, eine Allee erstellt und 1836 das Holdertor abgebrochen. In dieser neuen Umgebung plante der Metzger Rudolf Bindschelder (1803-1867) 1838 den Bau eines Hotels. Zuvor lebte er bei seiner Familie. Sein Vater, der ebenfalls Metzger war, kam seinerzeit aus Männedorf nach Winterthur und führte das Gasthaus zum Lamm an der Obergasse 19. 1838 konnte Bindschedler dem Bäcker Johannes Studer-Studer das Haus zur Rosenstaude zusammen mit dem Nebenhaus zum Mohrenkopf abkaufen. Etwas später kaufte er auch das Nachbarhaus zum Weissen Kreuz, sowie Remise, Stallungen und eine Scheune in der nahegelegenen Neustadt. Ein paar Jahre später liess Bindschedler alle drei Häuser abreissen und von 1846-1854 an Stelle ihrer das Hotel zum goldenen Löwen» bauen. Der Standort schien gut gewählt. Die in den 1830er bis 1840er neu ausgebaute Tösstalstrasse brachte viel mehr Personen-, Karren- und Kutschenverkehr aus dem Tösstal in die Altstadt. Wegen des grossen Verkehrsaufkommens musste sogar der 1660 neu gebaute Holderbrunnen weichen. Dem Hotel hingegen brachte die neue Strasse viel Kundschaft.

Ein Hotel direkt am Bahnhof

Vermutlich spekulierte Bindschedler beim Kauf der Häuser am Unteren Graben auch darauf, dass der neue Bahnhof Winterthur bald  auf dem nahegelegenen Viehmarktareal (ab 1877 Technikumsplatz, heute ZHAW) an der Technikumsstrasse 9 gebaut würde. Der direkte Zugang vom Bahnhof zur Altstadt wäre dann beim Holderplatz gewesen. Dies hätte bedeutet, dass das Hotel zum Goldenen Löwen direkt am Bahnhof gewesen wäre.  Der Bahnhof wurde jedoch zum Leid von Rudolf Bindschedler nicht an der Technikumsstrasse 9 gebaut, sondern von 1856 bis 1860 vor dem Untertor. Trotz der Entfernung zum Bahnhof erfreute sich das Hotel bald grosser Beliebtheit und galt lange Zeit als das beste in Winterthur. 1867 verkaufte Rudolf Bindschedler das Hotel zum Goldenen Löwen seinem Sohn, Albert Bindschedler-Tschudi, der wie sein Vater und Grossvater ebenfalls Metzger war. Nach dem Tod von Albert Bindschedler-Tschudi 1885 übernahm sein 18-jähriger Sohn Rudolf Bindschedler-Suter mit seiner Frau Berta den Goldenen Löwen. Nach seinem Tod ging der «Löwen» 1923 an seine Erben weiter, die ihn 1929 an den Hotelier Heinrich Maurer (geb. 1888) verkauften, der ihn bis 1952 betrieb. 

Wichtige Rolle im gesellschaftlichen Leben der Stadt Winterthur

Obwohl sich das Hotel abseits des neu gebauten Bahnhofs an einer eher verlassenen Ecke der Altstadt befand, galt es lange Zeit als das beste der Stadt und spielte im gesellschaftlichen Leben in Winterthur eine wichtige Rolle. Im Hotel, das über eine grosse Eingangshalle, Gaststuben, Sitzungszimmer und Säle verfügte, wurden verschiedene gesellschaftliche Anlässe, Sitzungen und Sporttreffen veranstaltet. Im Oberen Saal, der mit roten Plüschbänken umrandet und mit elsässischen Tapeten ausgekleidet war, konnte man Tanzen und es wurden Hochzeiten gefeiert. Auch viele in Winterthur ansässige Handels- und Industriegesellschaften hielten dort ihre Generalversammlungen ab.
In den Sitzungszimmern und Gasträumen trafen sich neben der Freisinnigen Fraktion auch die Hülfgesellschaft, die Literarische Vereinigung Winterthur und die 1843 gegründete Löwengesellschaft. Die Donnerstagsgesellschaft nahm jeweils das übliche Wurstmahl im Löwen ein, die Herrenstuben-Gesellschaft ihr alljährliches Hühnermal und die Rotarier veranstalteten ihre Mittwochstreffen im Löwen. 

Postfiliale am Unteren Graben 1

In den 1870er- und 1880er-Jahren befand sich im Goldenen Löwen die Graben-Post bzw. die Postfiliale der Oberstadt. Dafür wurde 1875 in die Eingangshalle des Hotels ein kleines Poststübli mit Büro und Telefonkabinen eingebaut. 1892 wurde die Postfiliale an den Unteren Graben 37 verlegt. Neben der Post und dem Telegrafen verfügte das Hotel auch über einen eigenen Omnibus, der die Gäste zum Bahnhof brachte. 

Hoher Besuch im Löwen

Neben den städtischen Gästen besuchten auch Leute vom Land, Soldaten, kaufmännische Reisende oder Kurleute den Löwen. Die Nähe zur Alten Kaserne führte dazu, dass auch Leutnants und Offiziere den Weg ins Haus fanden. Während des Ersten Weltkriegs logierte General Wille immer wieder im Löwen. Und während des Zweiten Weltkriegs residierte General Guisan im Hotel zum goldenen Löwen. Aber auch König Alfons von Spanien stieg offenbar wiederholt im Löwen ab.

Vom Löwen zum Verwaltungsgebäude der Krankenfürsorge Winterthur

Die wachsende Stadt und die neuen Unterkünfte am Bahnhof machte setzten dem alten Hotel zu. Anfang der 1920er Jahre wurden dann auch die zuvor gut genutzten Sitzungszimmer und Säle des Löwen durch andere Räumlichkeiten das 1921/22 erbaute Klubhaus zur Geduld abgelöst. Ab 1934 nutzte man für Volksveranstaltungen woft nicht mehr den Saal des Hotels, sondern den im erweiterten Casino. Nachdem der Löwe im Sommer 1952 den Betrieb eingestellt hatte, kaufte die Genossenschaft Krankenfürsorge mit Sitz in Winterthur das Haus und baute es zu ihrem Verwaltungssitz um.


Benutzte und weiterführende Literatur

Die Krankenfürsorge erwirbt den «Löwen». In: Der Landbote, 11. Januar 1952. 
Die «Krankenfürsorge» im neuen Heim. In: Der Landbote, 30. Oktober 1953. 
Dejung Aus der Geschichte des «Goldenen Löwen». In: Der Landbote, 7. November 1953.
Häuserkartei der Stadt Winterthur, Sammlung Winterthur.
Kägi, Hans: Der goldene Löwe. In: Kägi, Hans: Gras zwischen Steinen. Geschichten um Winterthur. Winterthur, 1971.  


Bibliografie

    Hotel du Lion d'Or, Unterer Graben 1

    • Einträge ab 2011

      Felix, Christian: Kostümball im Lion d'Or. In: Winterthurer Zeitung, Nr. 2 (2022). S. 25. m.Abb.


Autor/In:
Karin Briner
Letzte
Bearbeitung:
15.07.2024