Politik

Urs Widmer

Ingenieur, Stadtpräsident (DP, FDP), 1927–2018

Urs Widmer war von 1966 bis 1990 Winterthurer Stadtpräsident (DP, FDP). Widmer galt als volksnaher Politiker und führte die Stadt in der Zeit der Hochkonjunktur. Neben seiner politischen Tätigkeit war er auch privat vielseitig engagiert.


Geburtsort
Winterthur

Geboren
20.12.1927

Gestorben
02.09.2018


1966 wurde Urs Widmer zum Stadtpräsidenten gewählt. Ein Amt, das er bis 1990 ausübte. 
Foto: winbib (Signatur 173073)

Beruflicher Werdegang

Urs Widmer wurde am 20. Dezember 1927 in Winterthur-Töss geboren wo er auch seine Kindheit verbrachte. Er war der dritte Sohn von Hanna Widmer-Schoellhorn und Hans Widmer. Sein Vater führte eine eigene Arztpraxis in Töss und wurde 1930 zum Stadtpräsidenten gewählt. Urs Widmers Kindheit waren von zwei Schicksalsschlägen geprägt. Als er 12 Jahre alt war, verstarb sein Vater im Amt. Während seiner Mittelschulzeit in den 1940er-Jahren erlitt Urs Widmer bei einem Unfall beim Kugelstossen einen gravierenden Schädelbruch.

 

Nachdem er in Winterthur die Volksschule besucht hatte, schrieb er sich an der ETH in Zürich ein und liess sich zum Bauingenieur ausbilden. 1953 reiste Urs Widmer in die USA und arbeitete dort zuerst in New York für die Firma des berühmten Schweizer Brückenbauers Othmar Ammann und später für ein Büro in San Francisco. 1955 kehrte er in die Schweiz zurück. 1957 heiratete er Anne-Marie Rinderknecht, mit der er zwei Söhne und zwei Töchter hatte.

 

1958 eröffnete er in Winterthur sein eigenes Ingenieurbüro, das er bis 1966 betrieb.

Politisches Engagement

Schon in jungen Jahren trat Urs Widmer in die Demokratische Partei ein und folgte damit in die Fussstapfen seines Vaters. 1962 schaffte er die Wahl in den Grossen Gemeinderat und 1966 wurde er von seiner Partei als Kandidat für die Nachfolge von Stadtpräsident Hans Rüegg aufgestellt. Dabei musste er sich erst intern gegen Richard Müller durchsetzen und später auch noch im Wahlkampf gegen den Gegenkandidaten der SP Arthur Bachmann. Als Stadtpräsident fiel ihm traditionell das Kulturdepartement zu. Für vier Jahre war er Polizeivorsteher.

Urs Widmer als Stadtpräsident

Die Amtsübernahme fiel in die Zeit der Hochkonjunktur. Die Industriestadt blühte und entwickelte sich baulich stark weiter. So entstanden innert kurzer Zeit unter anderem das erste Parkhaus auf dem Archplatz, neun Schulhäuser, zwölf Kindergärten, die Kehrrichtverbrennanalge (KVA) und das Hallenbad Geiselweid. Das grösste damalige Bauprojekt war jedoch das Stadttheater, das Urs Widmer 1979 feierlich eröffnen konnte und für das er sich später auch im Theaterverein ehrenamtlich als Präsident engagierte. Ebenfalls sehr verbunden war er mit dem 1982 eröffneten Technorama, wo er Stiftungsratspräsident wurde.

 

Auch die Altstadt wurde vom Bauboom erfasst. Immer mehr Häuser wurden aufgekauft und umgebaut. Hier trat Urs Widmer gemeinsam mit Stadtbaumeister Karl Keller auf die Bremse. Zum Erhalt der historischen Bausubstanz wurde die städtische Denkmalpflege gegründet und neue Vorschriften erlassen.

 

Als Kulturminister war er 1970 an der Neulancierung des Albanifests beteiligt. Ebenfalls engagierte er sich für die Etablierung Kellertheaters und dem Figurentheater. Auch die Gründung der Musikfestwochen fielen in seine Amtszeit und wurde von ihm unterstützt. Weiter initiierte er die Städtepartnerschaften mit Yverdon und La Chaux-de-Fonds und machte Winterthur zur Gastgeberin von drei eidgenössischen Grossanlässen, namentlich das 70. Turnfest (1984), das 28. Musikfest (1986) und das 52. Schützenfest (1990). Er selbst beteiligte sich ehrenamtlich in den jeweiligen OKs.

 

Urs Widmer blieb bis 1990 im Amt und prägte so die Winterthurer Politik rund 24 Jahre lang. Dabei erlebte er Phasen der Hochkonjunktur wie auch jene der Rezession. Der Magistrat galt als volksnah und guter Kommunikator. In den 1970er-Jahre scheiterten allerdings seine Vermittlungsbemühungen im Kontext der Auseinandersetzungen mit dem Divine-Light-Zentrum im Brühlgutquartier. Ein schwieriges Kapitel seiner Amtszeit waren die Jugendunruhen in den 1980er-Jahren, die sogenannten Winterthurer-Ereignisse. Damals geriet er als vermittelnder Stadtpräsident zwischen die Fronten.

 

Nach seinem Rücktritt 1990 sorgte Urs Widmer medial für Aufsehen, als er aus der FDP austrat. Obwohl er 1971 noch zu den Befürwortern der Fusion zwischen den Demokraten und Freisinnigen gehört hatte, kühlte das Verhältnis zu seiner Partei später ab. 

Vom Stadtpräsidenten zum wandelnden Lexikon

Urs Widmer engagierte sich auch nach seinem Rücktritt weiterhin für die Stadt und nahm rege am kulturellen Leben teil. Er sammelte Kunstwerke vieler lokaler Künstler:innen. Diese fanden in seinem Domizil – dem ehemaligen Atelier von Hans Schoellhorn – einen würdigen Platz. Weiter trieb es ihn immer wieder in die Welt hinaus. Er unternahm gemeinsam mit seiner Frau ausgedehnte Reisen – oft in die Vereinigten Staaten. Als seine Ehefrau erkrankte, pflegte Widmer sie bis zu ihrem Tod im Jahr 2000.

Urs Widmer – ein begeisterter Skifahrer – zog sich im Winter immer häufiger in sein Ferienhaus in Valbella zurück. Neben der Kunst und Musik interessierte er sich sehr für die Winterthurer Stadtgeschichte. Er bot Stadtführungen an und publizierte mehrere Artikel. In mehreren Ordnern, die er «Bausteine zur Winterthurer Stadtgeschichte» nannte, sammelte er verschiedene Aufsätze und selbstgeschriebene Texte zu Winterthurer Persönlichkeiten, Bauwerken und Institutionen. Ab 2006 beteiligte er sich neben Heinz Bächinger als Co-Autor am Aufbau und der Erweiterung des Winterthur-Glossars. Seine Artikelsammlung überliess er der Sammlung Winterthur, wo sie vor Ort konsultiert werden kann.

Am 2. September 2018 verstarb Urs Widmer.


Benutzte und weiterführende Literatur:

Gubler, Jean-Pierre: Urs Widmer (1927–2018): Winterthurer durch und durch, in: Winterthurer Jahrbuch 2020, Winterthur 2019, S. 56–58.
Gmür, Martin: Reiches Leben, zufriedener Mensch, in: Landbote 20.12.2017.
Hoster, Alex: Ein Zeitzeuge Winterthurer Geschichte, in: Landbote 29.11.2008.
Schaufelberger, Hans: Urs Widmer, in: Die Stadt Winterthur im 20. Jahrhundert. Eine Chronik mit begleitenden Texten. Neue helvetische Gesellschaft, Winterthur, 1991. S. 270–271.

Bibliografie

    Widmer, Urs, 1927-2018, dipl. Ing. ETH, alt Stadtpräsident

    • Einträge ab 2011

      Alt-"Stapi" Urs Widmer gestorben. In: Winterthurer Zeitung, Nr. 35 (2018). S. 3. m. Abb.
      Gubler, Jean-Pierre: Urs Widmer (1927-2018): Winterthurer durch und durch. In: Winterthurer Jahrbuch, 2020. S. 56-58. m.Abb.

      Einträge 1991–2010

      In: Hans Schaufelberger. Die Stadt Winterthur im 20. Jh. 1991, S.270 f., 1Abb.
      Tössemer 1992/3 von Henry Müller, 1Abb.
      Rücktritt aus FDP: Landbote 1995/278. - Winterthurer Arbeiterzeitung 1995/278.
      75: Landbote 2002/295 von Rudolf Gerber, 1Abb.
      Vier Stadtpräsidenten: Winterthurer Jahrbuch 2004 von Martin Gmür, 1Abb.
      Stadtblatt 2006/23 von Christina Lanz, 1Abb.
      Erinnerungen an Töss: Landbote 2006/210 1Abb.
      80; Publikation "Gesprochenes": Landbote 2007/296 von Jean-Pierre Gubler, 1Abb., 297


Autor/In:
Nadia Pettannice
Letzte
Bearbeitung:
17.09.2022